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Zeugnisverweigerung vor GerichtEssenzielle Vertraulichkeit

Mit­ar­bei­te­r*in­nen von Beratungsstellen bei sexualisierter Gewalt haben bis heute kein Zeugnisverweigerungsrecht. Das muss sich dringend ändern.

Mit­ar­bei­te­r*in­nen in Beratungsstellen für sexualisierte Gewalt sollten ein Zeugnisverweigerungsrecht bekommen Foto: getty

D ie Arbeit vieler sozialer Berufe beruht auf der Vertraulichkeit zwischen den professionell Unterstützenden und denen, die Hilfe suchen. Eine Person zum Beispiel, die Crack konsumiert, wird nur mit einem Sozialarbeiter sprechen, wenn sie nicht Angst haben muss, dass dieser der Polizei den Besitz illegaler Substanzen meldet. Und auch, wenn es später zu einem Gerichtsverfahren kommt und der Sozialarbeiter als Zeuge geladen wird, ist für die soziale Arbeit entscheidend, dass Vertraulichkeit gewahrt wird.

Würde der Sozialarbeiter Auskunft darüber geben, wo häufig Crack konsumiert wird, würde in Zukunft vermutlich keine Person mehr bei dem besagten Sozialarbeiter Hilfe suchen. Deshalb hat der Gesetzgeber richtigerweise Menschen, die in Drogenberatungsstellen arbeiten, ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Strafprozessordnung gewährt.

Aber nicht nur in Drogenberatungsstellen, sondern auch in anderen Beratungsstellen ist die Vertraulichkeit essenziell – zum Beispiel in Beratungsstellen für Opfer von Gewalt. Dorthin wenden sich unter anderem Betroffene von Menschenhandel oder sexualisierter Gewalt.

Sie wenden sich an Beratungsstellen, um dort – oftmals in intimsten Fragen – Unterstützung zu erhalten. Dort arbeiten überwiegend So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen und Sozialpädagog*innen. Diese haben eine Schweigepflicht nach Paragraf 203 des Strafgesetzbuchs und machen sich strafbar, wenn sie über vertrauliche Inhalte anderen Menschen erzählen – aber sie haben kein berufliches Zeugnisverweigerungsrecht.

schreibt auf diesem Platz regel­mäßig zu juristischen und rechts­politischen Debatten. Sie ist promovierte Rechtsanwältin in Berlin und arbeitet schwerpunktmäßig in der Opferberatung zu sexualisierter Gewalt. Von 2007 bis 2010 war sie Bundes­vorsitzende der Jusos.

Die Strafprozessordnung sieht vor, dass jede Person, die von einem Strafgericht als Zeu­g*in geladen wird, aussagen muss; es sei denn, sie hat ein Zeugnisverweigerungsrecht. Dies kann sich aus einem Angehörigenverhältnis ergeben oder aus der Eigenschaft als Berufsgeheimnisträger*in. Verweigert eine Person ohne Zeugnisverweigerungsrecht die Aussage als Zeu­g*in vor Gericht, droht Ordnungsgeld und ersatzweise Ordnungshaft.

Derzeit kommen Be­ra­te­r*in­nen in Fällen, in denen sie als ­Zeug*in geladen sind, in Gewissenskonflikte

Strafzahlung wegen verweigerter Aussage

Wozu die Verweigerung einer Aussage führen kann, zeigt eine Entscheidung des Amtsgerichts Karlsruhe vom März 2024: Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hatte wegen eines Pyrotechnik-Vorfalls bei einem Fußballspiel des Karlsruher SC ermittelt, bei dem elf Menschen, darunter ein Mensch mit bleibenden Schäden, verletzt wurden.

Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe wollte drei Sozialarbeitende des Fanprojekts Karlsruhe befragen. Die drei verweigerten die Aussage und schwiegen auch vor dem Amtsgericht Karlsruhe. Sie entschieden sich, das Vertrauensverhältnis zu ihren Kli­en­t*in­nen und damit die Arbeitsgrundlage ihrer Arbeit zu schützen. Sie erhielten Strafbefehle wegen Strafvereitelung in Höhe von jeweils 120 Tagessätzen à 60 Euro. Das „Bündnis für ein Zeugnisverweigerungsrecht“ (in der sozialen Arbeit) sieht darin einen massiven Eingriff in die Berufspraxis.

Eine Berufsgeheimnisträgerin wie eine Rechtsanwältin ist zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt, wenn ihr etwas in ihrer Eigenschaft als Rechtsanwältin anvertraut wurde. Als Berufsgeheimnistragende gelten zum Beispiel Psychotherapeut*innen, Apotheker*innen, Hebammen, Be­ra­te­r*in­nen zum Schwangerschaftskonfliktgesetz oder zu Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit. Aber: Mitarbeiter*in­nen in Beratungsstellen für Opfer von Gewalt sind dort bisher nicht genannt.

Dabei setzt die Beratungsarbeit der Fachberatungsstellen eine vertrauliche Atmosphäre voraus. Häufig können sich Menschen erst nach einer längeren Zeit öffnen. Voraussetzung hierfür ist, dass das von ihnen Gesagte vertraulich behandelt wird und sie keine Sorgen haben müssen, dass andere Menschen davon erfahren. Gewalterfahrung geht oft mit Kontroll- und Vertrauensverlust einher. Um zu vermeiden, dass Betroffene einen solchen noch mal erleben, ist es entscheidend, dass Betroffene wissen, dass nur mit ihrer Erlaubnis Informationen von ihnen weitergegeben werden dürfen.

Zum Beispiel kann es eine Konstellation geben, in der eine Person einer Beratungsstelle von sexualisierter Gewalt berichtet, die ihr als Kind über mehrere Jahre zugefügt wurde. In Folge dieser Gewalt hat die Person viele Jahre nachts eingenässt, was ihr bis heute äußerst unangenehm ist. Kommt es zu einem Strafverfahren und wird die Beratungsstelle als Zeugin geladen, ist sie gesetzlich verpflichtet auszusagen – auch über das Einnässen. Für die betroffene Person bedeutet dies, dass ihr Wille erneut nicht geachtet wird und sie einen solchen Kontroll- und Vertrauensverlust mit dem Risiko der Retraumatisierung erlebt.

EU-Richtlinie könnte helfen

Die Notwendigkeit eines Zeugnisverweigerungsrechts ergibt sich auch aus der EU-Opferschutzrichtlinie von 2012. Nach Artikel 8 der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass Opfer ihrem Bedarf entsprechend vor, während sowie für einen angemessenen Zeitraum nach Abschluss des Strafverfahrens kostenlos Zugang zu Opferunterstützungsdiensten erhalten, die im Interesse der Opfer handeln und dem Grundsatz der Vertraulichkeit verpflichtet sind.

Nur: Dem wird die Situation in Deutschland nicht gerecht. Beratung und Unterstützung, etwa in einer spezialisierten Fachberatungsstelle, sind oft die Voraussetzungen dafür, dass sich Betroffene überhaupt erst zu einer Strafanzeige entscheiden, da sie sich nur unter diesen Bedingungen eine Aussage in einem Verfahren zutrauen.

Mit der aktuellen Gesetzeslage kommen Be­ra­te­r*in­nen in Fällen, in denen sie vor Gericht als Zeu­g*in geladen sind und gegen den Willen ihrer Kli­en­t*in­nen aussagen sollen, in Gewissenskonflikte. Diese Gesetzeslücke sollte schnell geschlossen werden und die Arbeit von Be­ra­te­r*in­nen in Beratungsstellen für Opfer von Gewalt dringend auf rechtlich sichere Füße gestellt werden. Deshalb sollten Mitarbeitende in Beratungsstellen für Opfer von Gewalt ein Zeugnisverweigerungsrecht aus beruflichen Gründen erhalten.

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5 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Sie könnten eine "Kirche" gründen und ein "Beichtgeheimnis" reklamieren.

    Ernsthaft: inhaltlich nachvollziehbar argumentierender Artikel.

  • Viele Beispiele gehen meiner Meinung nach eher Richtung Täterschutz. Sozialarbeiter erfährt von Mutter über Pädophile des Vaters. Da ist die Zeugnisverweigerung fehl am Platz, genaumwie das Beichtgeheimnis

  • Wenn es eine Gesetzeslücke gibt, gibt es trotzdem noch das Grundgesetz, dessen Verletzung das BVerfG feststellen kann.

    Gehe davon aus, dass wenn die betroffenen Berufsgruppen sich wehren und bis zum BVerfG ziehen, sie gute Chancen haben, zu gewinnen, zumal sie zusätzlich das EU-Recht auf Ihrer Seite haben, das zu achten sich Deutschland verpflichtet hat.

  • Ich kann die Argumentation insgesamt nachvollziehen, verstehe aber das Fußballbeispiel gar nicht. Opferberatungsstellen gehen von einem Opferverhältnis aus. Wenn aber die betreuten Fans andere Personen zu Schaden kommen lassen, dann sind sie Täter*innen. Warum sollten Täter*innen davon profitieren, dass Zeug*innen sie decken?

    • @DieLottoFee:

      Ich spreche mal aus der Perspektive eines Sozialpädagogen (ich arbeite nicht mit Fans, aber mit Jugendlichen und die bauen auch mal Mist):



      Wenn die Fans, die Scheisse bauen, sich anvertrauen, kann das mit ihnen reflektiert und alternative Möglichkeiten erarbeitet werden.



      Wenn die Vertrauensperson dann aber vor Gericht aussagt oder aussagen muss, besteht kein Vertrauensverhältnis mehr, ergo auch keine Basis, auf der man zusammen arbeiten kann.

      Ich würde auch den Teufel tun und gegen Jugendliche aussagen, die mal über die Stränge schlagen.