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Zeugnisvergabe in Schleswig-HolsteinInklusion geht anders

Die Gewerkschaft GEW in Schleswig-Holstein findet es diskriminierend, dass Kinder mit Förderbedarf ein längeres Zeugnis kriegen als Mitschüler:innen.

Zeugnisvergleich: ein unangenehmer Moment, wenn das eigene ganz anders aussieht Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Bremen taz | Die Halbjahreszeugnisse stehen vor der Tür. Unter anderem in Bremen, Niedersachsen und Schleswig-­Holstein bekommen Schü­le­r:in­nen sie am kommenden Freitag ausgehändigt. Zwei Seiten sind das in der Regel – doch nicht für alle. Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf bekommen in Schleswig-Holstein ganze 14 Seiten Bewertung.

Die dortige Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) findet das diskriminierend. Am Montag protestierten Ver­tre­te­r:in­nen deshalb vor dem Haus von Bildungsministerin Karin Prien (CDU). Sie fordern die Abschaffung dieser langen Zeugnisse.

„Kinder vergleichen sich miteinander“, sagt Kerstin Quellmann von der GEW-Landesfachgruppe Sonderpädagogik. Auch bei den Zeugnissen. Wenn eines ganz anders aussieht, könne das schon mal blöde Sprüche geben. „Bei den Kleinen ist das eher neugierig interessiert – spätestens in der Pubertät kann es aber auch sehr abwertend werden.“

Ungleichheiten, die ein Klassengefüge ohnehin schon hervorbringen, könnten so verstärkt werden. „Ich würde mir so dumm vorkommen, wenn ich so etwas kriege“, soll Quellmanns Tochter gesagt haben, als sie den Papierstapel gesehen habe, die die GEW am Montag mit zum Ministerium geschleppt hatte.

Schleswig-Holstein ist bei der Inklusion ganz vorne mit dabei

In Schleswig-Holstein können Kinder mit Förderbedarf in einem Förderzentrum oder an einer Regelschule inklusiv unterrichtet werden – von der Grundschule bis zum Abi­tur. Von den Kindern mit Bedarf würden inzwischen fast 70 Prozent inklusiv beschult, erklärt Priens Sprecherin Beate Hinse. Gemeinsam mit Bremen sei man somit­ Spitzenreiter im Ländervergleich.

Bis vor wenigen Jahren haben Kinder mit Förderbedarf keine Noten bekommen. Unter anderem die GEW hat das kritisiert – weil es eine Ungleichbehandlung ist. 2020 hat der Bildungsausschuss des Landes dann entschieden, dass alle Kinder die gleichen Zeugnisse bekommen sollen. Die Argumentation: mehr Gleichberechtigung. Auch wenn es damals absurd gewesen sei, sagt Quellmann,für Noten zu plädieren, die sie und die GEW eigentlich grundsätzlich ablehnen.

Kinder mit sonder­pädagogischem Förderbedarf bekommen in Schleswig-Holstein ganze 14 Seiten Bewertung

Seitdem ist die erste Seite mit der klassischen Notenübersicht fast identisch in ihrer Aufmachung. Allerdings sind Zeugnisse für Kinder mit Förderbedarf seitdem auch „logischerweise“ dicker: Denn auf den nächsten Seiten folgten laut Hinse Erläuterungen zu den einzelnen Noten, eine tabellarische Einordnung für jedes Fach in Bezug auf erlernte Kompetenzen. Noten allein sagten zu wenig aus. Dass es diese ergänzenden Einschätzungen gibt, sei eine „politische Entscheidung“. Sie würden „von Eltern und Schülerinnen und Schülern gebraucht“.

Doch hier tut sich laut GEW das zweite Problem auf: Die Länge der Zeugnisse verursache massive Mehrarbeit für die Lehrer:innen. „Der Aufwand ist immens“, sagt auch Quellmann, die an einem reinen Förderzentrum arbeitet und damit sogar jedes Zeugnis so angehen muss. „Zusätzlich schreiben wir zweimal im Jahr Förderpläne.“

In einem Förderplan stehe beispielsweise etwas zu Methodenkompetenz oder sozial-emotionalem­ Verhalten der Kinder. „Das sind Sachen,­ die sich auch im Unterricht ausdrücken.“ Die Pläne seien zwar je nach Schule unterschiedlich umfangreich, jedoch reichten sie als „schlüssige Bewertungsgrundlage“ für die Zeugnisse aus, sagt Quellmann. Demnach könnte der derzeitig notwendige Anhang also ersatzlos wegfallen.

Anhang der Zeugnisse soll künftig direkt an die Eltern gehen

Die Lösung der Ministerin, auf die man sich laut Hinse bereits vor Ort mit Ver­tre­te­r:in­nen der GEW verständigt habe, sieht anders aus: Man könnte den Anhang, der die Zeugnisse von denen der Kinder ohne Förderbedarf unterscheidet, einfach in dem ohnehin anstehenden Elterngespräch übergeben und besprechen. „Dann bekommt das Kind das große Paket nicht am Tag der Zeugnisvergabe.“ Die Idee sei den Schulen bereits mitgeteilt worden.

„Toll“ findet Quellmann die Idee, die zumindest das große Problem angehen würde. Die Belastung für die Leh­re­r:in­nen sei damit aber noch nicht gesenkt. „Wir haben nicht mehr Arbeitszeit, nur weil wir mehr Aufgaben bekommen.“ Kolleg:innen, die eine Überlastung angemeldet haben, hätten vom Ministerium bereits zu hören bekommen, dass sie sich anders organisieren müssten.

Auch hier hat das Ministerium Pläne: Die Vorlagen für die Zeugnisse sollen in Zukunft flexibler sein, sodass nur die Fächer ausgewählt werden müssten, die auch tatsächlich unterrichtet würden, sagt Hinse. Der Anhang könnte dann auch kürzer ausfallen. Ob die von Prien angeregte veränderte Zeugnisvergabe am Freitag schon im Klassenraum angekommen sein wird, „muss man sehen“, sagt Hinse. Eine Gesetzesänderung sei nicht geplant.

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