Zentralstaat und Regionen in Italien: Die Lega setzt sich durch
Italiens Senat beschließt eine Staatsreform zur Stärkung der reichen Regionen. Damit dürften staatliche Leistungen weiter auseinanderfallen.
Nach diesem Gesetz können in Zukunft Italiens Regionen eine ganze Latte von Zuständigkeiten, die bisher beim Zentralstaat lagen, für sich reklamieren, vom Schul- übers Gesundheitswesen zum Umweltschutz, der Energie- oder der Verkehrspolitik.
Erbittert hatten die Oppositionsparteien, die gemäßigt linke Partito Democratico ebenso wie das Movimento5Stelle (5-Sterne-Bewegung), gegen dieses Vorhaben gestritten. Denn angesichts des enormen ökonomischen und sozialen Gefälles zwischen den reichen Nordregionen, der Lombardei, des Veneto oder der Emilia-Romagna einerseits, der Armenhäuser im Süden wie Kalabrien, Sizilien oder Kampanien andererseits, fürchten sie, dass in Zukunft die staatlichen Leistungen für die Bürger*innen weiter auseinanderdriften werden.
Für diese Befürchtung gibt es gute Gründe. In der „differenzierten Autonomie“ ist nämlich vorgesehen, dass die Regionen in dem Maße, in dem sie bisher zentralstaatliche Aufgaben übernehmen, auch einen höheren Anteil des bei ihnen anfallenden Steueraufkommens erhalten, angefangen bei Einkommens- und Mehrwertsteuer. Davon würden natürlich jene Regionen profitieren, in denen das Geld verdient wird und damit ein größerer Steuertopf entsteht.
Deal zwischen Georgia Meloni und der Lega
Auf den ersten Blick leuchtet nicht ein, wieso ausgerechnet die größte Regierungspartei der postfaschistischen Fratelli d’Italia (FdI – Brüder Italiens) unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni dieses Gesetz durchwinkte, schließlich forderte der Meloni-Verein noch vor wenigen Jahren gar die Abschaffung der Regionen und ist seit jeher Fan eines starken Zentralstaats. Nur noch „Brüder halb Italiens“ seien sie jetzt, giftete am Dienstag die Opposition denn auch im Senat, unter Absingen der Nationalhymne und Schwenken der italienischen Trikolore-Flagge.
Doch Giorgia Meloni macht jetzt dieses Zugeständnis, weil sie mit Matteo Salvinis Lega einen Deal geschlossen hat. Salvini bekommt die Regionalautonomie, dafür erhält Meloni die ihr wichtige Verfassungsreform, die gegenwärtig auch im Parlament beraten wird: die Direktwahl des Regierungschefs.
Danach werden Italiens Wähler*innen in Zukunft an der Urne nicht nur ihre Parlamentarier*innen bestimmen, sondern auch den Ministerpräsidenten. Auf diesem Weg soll die Stellung der Exekutive gegenüber dem Parlament entscheidend gestärkt werden, ganz im Sinne von Melonis Vision des entschlossenen „Durchregierens“.
Zudem sei der Zusammenhalt des Nationalstaats durch die Regionalreform gar nicht gefährdet, hält die Rechte den Kritiker*innen aus der Opposition entgegen. Denn bevor die Reform in Kraft trete, werde der Zentralstaat auf allen Feldern „essentielle Leistungsniveaus“ definieren, auf die die Bürger*innen Anspruch haben, auch in armen Regionen wie Kalabrien oder Sizilien. Völlig unklar ist jedoch, woher die Ressourcen für die Aufrechterhaltung von Leistungen etwa in Bildung und Gesundheit kommen sollen, wenn die reichen Regionen höhere Steuermittel für sich behalten können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter