Zentralrat der Juden über Antisemitismus: Kein Tabu mehr
Am Sonntag gibt Dieter Graumann sein Amt als Chef des Zentralrats der Juden ab. Antisemitismus wird in Deutschland wieder offener ausgelebt, sagt er.
BERLIN kna/afp | Nach Ansicht des scheidenden Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, wird der Antisemitismus offener ausgelebt. „Wir bekommen häufiger als früher offen antisemitische Zuschriften mit Namen und Anschrift“, sagte Graumann der Bild-Zeitung. Es sei für manche Menschen kein Tabu mehr, ihre Judenfeindschaft auszuleben und zu zeigen, so Graumann.
Graumann hatte angekündigt, bei der Neuwahl für das Präsidentenamt am Sonntag nicht noch einmal zu kandidieren. Einziger Bewerber dafür ist Vizepräsident Josef Schuster.
Offenbar sitze der Schock über die Verbrechen der Nazis bei einigen nicht mehr so tief, so Graumann. Manche Leute tarnten ihren Antisemitismus auch als Kritik an Israel. Eine solche Kritik sei zwar keineswegs per se antisemitisch. Wo sie aber völlig unverhältnismäßig und mit einer einseitigen hasserfüllten Fixierung auf Israel ausgelebt werde, sei die Grenze zum Antisemitismus überschritten.
Von der Linkspartei verlangt Graumann Klarheit über ihr Verhältnis zu Israel. Es gebe „regelrechte Israel-Hasser in der Linken, wie wir es immer wieder erleben, auch in den letzten Wochen“, so Graumann. „Das muss die Linke endlich dringend aufarbeiten.“
Daneben sehe er aber auch Linke, die Israel sachlich kritisieren. Die Partei sei in der Frage des Standpunkts gegenüber Israel gespalten. Die Linke hatte in den vergangenen Wochen intern über ihre Israel-Politik gestritten. Anlass war unter anderem die Teilnahme mehrerer Linken-Abgeordneter an einer israelkritischen Veranstaltung.
Außerdem sagte Graumann, dass ein reiches Land wie Deutschland mehr für Flüchtlinge tun könne und müsse. „Deutschland ist ein wohlhabendes Land und kann es sich leisten, deutlich mehr Menschen aufzunehmen. Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte, in der viele aus politischen Gründen flüchten mussten, steht es Deutschland sehr gut zu Gesicht, Menschen in Not zu unterstützen.“
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