Zentralbank kritisiert Kryptowährung: EZB sieht Bitcoin vor dem Ende
Experten der Europäischen Zentralbank erkennen ein Ende des Booms für Kryptowährungen. Sie sehen ihre alten Zweifel bestätigt.
„Dieser klare Abgesang auf den Bitcoin ist in dieser Härte überraschend“, sagt Carsten Brzeski. Er ist Chefvolkswirt bei der Direktbank ING. Zwar handele es sich bei der Kritik nicht um die offizielle EZB-Linie, sondern einen Blogeintrag von Mitarbeitern. Dennoch: „Im Grunde hat die EZB auf einen Moment mit dem aktuellen Werteinbruch gewartet, sie haben immer vor Kryptowährung gewarnt.“
Die Autoren Ulrich Bindseil und Jürgen Schaaf berichten etwa, dass sich die Zahl der Krypto-Lobbyisten in den USA von 2018 bis 2021 von 115 auf 320 fast verdreifacht habe. Die US-Regulierung habe dadurch den Anschein erweckt, bei Kryptowährung handle es sich um eine gewöhnliche Anlage, so die Autoren. In den USA vertraue man zu oft naiv auf Innovation, so Bindseil und Schaaf.
Zuletzt meldete FTX mit seiner Krypto-Handelsplattform Insolvenz an. 2019 von zwei MIT-Absolventen gegründet, war der Konzern drei Jahre später 32 Milliarden US-Dollar wert gewesen und zählte im Februar 2022 mehr als eine Million Kund:innen. Mit Kund:innengeldern in Höhe von zehn Milliarden US-Dollar soll FTX riskante Finanzwetten eingegangen sein. Dazu vertraute FTX bei eigenen Einlagen vor allem auf die eigenen Kryptowährung, deren Wert wie der gesamte Markt dann einbrach. FTX-Anleger müssen nach der Anfang November angemeldeten Insolvenz befürchten, sämtliche Werte zu verlieren.
„Die Blase platzt“
„Wer in Bitcoin investiert hat, hat eigentlich im Moment der Anlage sein Geld verloren“, sagt Michael Seemann. Der Autor und promovierte Medienwissenschaftler hat sich in seinem Buch „Die Macht der Plattformen“ mit dem digitalen Kapitalismus befasst. „Anders als bei normalen Banken mit Einlagensicherung, Support und Kulanzregeln bieten Plattformen wie FTX bei einer Insolvenz keinerlei Sicherheit“, sagt Seemann. Nicht nur in der EZB gebe es Kritik. In den USA distanziere sich die Demokratische Partei von Bitcoin, zu einer baldigen Bundestagsanhörung seien namhafte Kritiker:innen geladen. Seemanns Urteil ist klar: Die Krypto-Blase platzt.
Seinen bisherigen Höchststand hatte Bitcoin im November 2021 erreicht. Damals war ein Bitcoin über 69.000 US-Dollar wert. Ende November 2022 lag er bei 17.100 US-Dollar. Dazu trugen neben dem Ukrainekrieg und der Energiekrise auch zwei prominente Krypto-Projekte bei. Das Digitalwährungsprojekt Terra-Luna brach zusammen, dazu musste die Krypto-Bank Celsius Abhebungen stoppen.
Zuletzt stieg der Kurs wieder leicht. Aber die Volatilität gehörte von Anfang an zur Kryptowährung. Etwa wenn Elon Musk twittert: Im März 2021 kündigte der Tesla-Gründer an, Kund:innen könnten seine Elektroautos auch mit Bitcoin kaufen, im Mai 2021 revidierte er die Entscheidung. Von 60.000 US-Dollar halbierte sich der Wert binnen drei Monaten.
Mythos „Inflationsschutz“
Auch die von vielen Krypto-Jünger:innen vertretene Ansicht, Kryptowährungen schützten vor Inflation, sei ein Mythos, sagt Experte Seemann. Oft fehlten den Anhänger:innen profunde Wirtschaftskenntnisse. Die expansive EZB-Geldpolitik nach der Finanzkrise etwa habe nie zu starker Inflation geführt. Die Konsument:innenpreise hätten sich bis zu Corona und Ukrainekrieg moderat entwickelt. Das überschüssige Geld sei vor allem in Vermögen wie Immobilien, Aktien und immer mehr auch Kryptowährungen und NFT geflossen. „Kryptowährungen als Spekulationsobjekt haben die Vermögenspreisinflation weiter befeuert“, sagt Seemann – also das Gegenteil dessen, was ihre Fans glauben.
„Allein die starken Preisschwankungen schließen aus, dass Bitcoin jemals ein sinnvoller Währungsersatz sein kann“, sagt ING-Volkswirt Breszski. Der Euro oder US-Dollar seien ungleich wertstabiler, bei Bitcoin handle es sich um eine hoch spekulative Anlage.
Diesen Befund bestätigt eine diesen November veröffentlichte Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). Fast 75 Prozent der Krypto-Investoren luden sich Krypto-Apps herunter, als der Preis über 20.000 US-Dollar lag, also schon sehr hoch. Die Folge: acht von zehn Spekulanten verloren Geld.
„Die Blockchain-Technologie wird bleiben“, sagt Brzeski. Auch Banken verfolgten sie, etwa um Informationen besser zu transportieren. Zudem arbeitet die EZB weiter an einem digitalen Euro als vertrauenswürdiges Zahlungsmittel. Doch der große Krypto-Hype sei vorüber. Ein Nischendasein wie vor zehn Jahren drohe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken