Zentralafrikanische Republik: Was steckt hinterm „Religionskrieg“?

Frankreichs Militär beruhigt die Hauptstadt Bangui. Die religiöse Gewalt auf lokaler Ebene ist Ausdruck eines politischen Machtkampfes.

Aufgehetzt. verängstigt, schutzsuchend: Vertriebene auf dem Gelände der katholischen Kirche in Bossangoa. Bild: ap

BERLIN taz | Die französische Armee patrouilliert in Bangui. Wenige Tage nach Beginn der „Operation Sangaris“ der Exkolonialmacht Frankreich herrscht in der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik prekäre Ruhe.

Am Freitag hatten die am Flughafen von Bangui stationierten Franzosen, verstärkt durch eingeflogene Soldaten, auf Banguis Hauptstraßen Position bezogen, nachdem es am Donnerstag zu blutigen Massakern gekommen war. Christliche Milizen hatten die Stadt angegriffen und gezielt Jagd auf Muslime gemacht. Muslimische Kämpfer der herrschenden Rebellenbewegung Séléka hatten die Angreifer zurückgeschlagen.

Journalisten zählten allein in einer Moschee 54 Tote. Nach Angaben des Roten Kreuzes wurden in Bangui rund 400 Menschen getötet.

Das dünnbesiedelte Land im Herzen Afrikas hat seit der Unabhängigkeit 1960 nur selten stabile politische Verhältnisse erlebt. Im Rückblick erscheint die Schreckensherrschaft von "Kaiser" Bokassa (1965-1979) als Blütezeit.

2003 wurde der damalige gewählte Präsident Ange-Félix Patassé von seinem Armeechef François Bozizé gestürzt. Bozizé, zugleich Führer einer christlichen Pfingstkirche, ließ sich dann zweimal zum Präsidenten wählen. Gegen seine zunehmende Vetternwirtschaft erhob sich breiter Protest. Ende 2012 nahmen Rebellen aus dem muslimischen Nordosten des Landes unter dem Namen Séléka (Allianz) den Kampf gegen Bozizé auf. Im März 2013 ergriff Séléka in Bangui die Macht. Ihr Führer Michel Djotodia wurde Staatschef, Bozizé ging ins Exil.

Am Samstag überschritten weitere französische Truppen aus Kamerun die Grenze zur Zentralafrikanischen Republik und ließen sich in Bouar, einst Standort einer der größten französischen Militärbasen in Afrika, als „Befreier“ feiern. Am Samstagabend erreichte die französische Streitmacht in der Zentralafrikanischen Republik 1.600 Mann – viel mehr als angekündigt.

Und erstmals ließ Frankreich politische Ambitionen erkennen. „Man kann einen Präsidenten, der nichts tun konnte oder sogar die Dinge hat laufen lassen, nicht im Amt behalten“, sagte Frankreichs Präsident François Hollande über seinen zentralafrikanischen Amtskollegen Michel Djotodia von Séléka. Ein Regimewechsel in Bangui entspricht nicht dem UN-Mandat, unter dem Frankreich agiert, aber historisch entscheidet immer Paris, wer in Bangui regiert.

Sélékas Staatsaufbau ist gescheitert

Die Séléka-Rebellen, die Ende März Bangui eroberten, haben es nie geschafft, eine stabile Regierung zu bilden. Im August ließ sich Séléka-Chef Djotodia als Präsident für eine Übergangszeit von 18 Monaten bis zu freien Wahlen vereidigen. Aber der Staatsaufbau scheitert am Geldmangel. Der Staatshaushalt 2013 musste drastisch zusammengestrichen werden, von 395 auf 131 Millionen Euro Ausgaben.

Djotodia hat sich außerdem mit seinen beiden mächtigsten Warlords Mohamed Dhaffane und Noureddine Adam zerstritten. Als Versuch einer politischen Öffnung ersetzte er Adam als Sicherheitsminister durch dessen Vorgänger aus Bozizé-Zeiten, Josué Binoua, ein christlicher Prediger wie Bozizé selbst.

Es ist wohl kein Zufall, dass die Zentralafrikanische Republik seitdem in einem blutigen Religionskrieg versunken ist. Bewaffnete christliche Milizen, genannt „Anti-Balaka“ (Gegen die Macheten) greifen gezielt Muslime an. Séléka-Hardliner radikalisieren sich als Reaktion darauf. Es kommt zu Gewalt und Gegengewalt selbst dort, wo Religionszugehörigkeit bisher keine Rolle spielte, wie in Bangui, berichten lokale Zivilgesellschaftler.

Bossangoa, Brennpunkt der Gewalt

Brennpunkt der Gewalt ist die Stadt Bossangoa, wo am 17. September ein Großangriff der „Anti-Balaka“ zahlreiche Opfer forderte. Séléka-Racheangriffe trieben daraufhin alle 150.000 Einwohner der umliegenden Provinz Ouham, Heimatprovinz Bozizés, in die Flucht.

Vergangene Woche griffen die Anti-Balaka erneut Bossangoa an. Alle 7.000 Bewohner des muslimischen Stadtviertels flohen in eine Schule unter Séléka-Schutz. Im christlichen Stadtteil wiederum suchten 35.000 Menschen Zuflucht auf dem katholischen Kirchengelände, berichtet Peter Bouckaert von Human Rights Watch.

Am Sonntag traf sich Bouckaert in Bossangoa mit den Séléka-Generälen. „Ihre Truppen jagen die Leute wie Tiere und erschießen sie auf ihren Feldern, und Sie sind verantwortlich“, habe er Séléka-Kommandeur Saleh gesagt.

Der habe ihm daraufhin ein Video vorgespielt, auf dem der muslimische Bürgermeister des Ortes Zéré von Anti-Balaka-Milizionären lebendig verbrannt und zerstückelt wurde.

Christenmilizen mit obskuren Unterstützern

Die Anti-Balaka sind mehr als bloß spontane Dorfmilizen. Ihr Kampf erscheint als Facette des nationalen Machtkampfes. Einige dieser Milizen haben sich mit Unterstützern Bozizés in der Afrikanischen Allianz der Anti-Dschihadisten (AAAJ) vereinigt. Ein Teil der AAAJ, die von Bozizé im Exil gegründete Front zur Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung in Zentralafrika (Frocca), hat sich zum Angriff auf Bangui vom Donnerstag bekannt.

Am Wochenende gab die Staatsanwaltschaft in Bangui bekannt, man habe im Haus des Sicherheitsministers Binoua zahlreiche Waffen gefunden und verdächtige ihn der Zusammenarbeit mit den Angreifern.

Djotodia sieht nun seine einzige Chance in der Zusammenarbeit mit den Franzosen. Am Samstag begrüßte er deren Eingreifen und rief die Bevölkerung auf, wieder zur Arbeit zu gehen. „Die Lage ist komplett unter Kontrolle“, behauptete er. Unter wessen Kontrolle – das ließ er offen.

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