Zensus 2022: Nur 969 Menschen divers
Erstmals hat der Zensus Menschen gezählt, die als „divers“ gemeldet sind. Die Zahlen liegen der taz vor. Warum sind sie so niedrig?
Das ist absurd wenig. Die Deutsche Gesellschaft für Trans*- und Inter*geschlechtlichkeit (dgti) schätzt, dass tatsächlich ca. 1,7 Prozent der Bevölkerung intergeschlechtlich sind. Die Option „divers“ gibt es erst seit Dezember 2018. Intergeschlechtliche Menschen können seitdem per Personenstandsgesetz ihr Geschlecht und ihre Vornamen im Geburtenregister, das Teil des Personenstandsregisters ist, ändern lassen. Um als „divers“ gelten zu dürfen, ist ein ärztlicher Nachweis für „das Vorliegen einer Variante der Geschlechtsentwicklung“ erforderlich.
Menschen, die zwar nicht inter, aber trans oder nicht-binär sind, können seit 2020 ebenfalls ihren Geschlechtseintrag ändern lassen, und zwar über das Transsexuellengesetz. Den Bevölkerungsanteil der nicht-binären Pesonen schätzt die dgti auf 0,2 Prozent. Belastbare Daten darüber, wie viele Menschen sich selbst – unabhängig vom Geburtenregister – als nicht-binär identifizieren, gibt es nicht. Eine 2021 erschienene internationale Studie des Marktforschungsunternehmens Ipsos befragte rund 19.000 Menschen zu ihrer Geschlechtsidentität. Dabei gaben immerhin 1 Prozent der Befragten an, sich als nicht-binär, non-conforming oder genderfluid zu identifizieren.
Auch wenn 2.228 nach wenig klingt, zeigen die Zensuszahlen eine deutliche Steigerung an, zumindest verglichen mit den Daten, die dem Innenministerium im September 2020 vorlagen: In einer Antwort auf eine kleine Anfrage der AfD steht, dass im Jahr 2019 256 Menschen eine Änderung des Geschlechtseintrages zu „divers“ oder „ohne Angabe“ geändert hätten. Im Jahr 2020 waren es bis September 138, also insgesamt zu dem Zeitpunkt nur fast 400.
Die Diskriminierung hört damit nicht auf
„Die Zensuszahl ist sogar höher, als wir erwarten würden. Denn die Hürden, um diese Geschlechtseinträge offen zu lassen oder divers in Anspruch zu nehmen, waren zur Zeit des Zensus und auch heute noch richtig hoch“, sagt Leo Yannick Wild von der Schwulenberatung Berlin. Das gelte sowohl für intergeschlechtliche als auch für nicht-binäre Personen. „Intergeschlechtliche Personen müssen zum Teil körperliche Untersuchungen als Nachweis über sich ergehen lassen“. Nicht-binäre Personen müssten über das Transsexuellengesetz gehen und ein amtsgerichtliches Verfahren sowie zwei psychiatrische Gutachten hinter sich bringen, um ihren Geschlechtseintrag ändern zu können.
Außerdem höre die Diskriminierung damit nicht auf, so Wild von der Schwulenberatung. Als Beispiel nennt er, dass Auslandsreisen zum Risiko würden, „weil oft unsicher ist, ob andere Länder divers als Geschlechtseintrag akzeptieren“. Auch unangemessene Nachfragen gehörten zu den Folgen einer Angleichung des Geschlechtseintrags.
Trotz aller Diskriminierung wächst der Bedarf nach Geschlechterkategorien außerhalb des binären Systems. „Der Anteil der nicht-binären Menschen, die unsere Inter*Trans*Beratung berät, steigt sehr stark. Mittlerweile liegt er schätzungsweise bei 30 Prozent aller Ratsuchenden“, sagt Wild. Von denen hätten bis jetzt aber nur maximal 2 bis 3 Prozent ihren Geschlechtseintrag in offen oder divers geändert.
Wild geht davon aus, dass dieser Anteil deutlich steigen wird. Denn dank des Selbstbestimmungsgesetzes, das im April beschlossen wurde, wird es bald sehr viel einfacher, den Geschlechtseintrag ändern zu lassen. Für Erwachsene wird dann eine persönliche Erklärung gegenüber dem Standesamt genügen, ohne dass es Meinungen Dritter bedarf. Das Gesetz soll im November in Kraft treten.
Hinweis der Redaktion: Bis zum 12.7. hieß es in dem Artikel, die Daten lägen der taz exklusiv vor. Das Statistische Bundesamt hat darauf hingewiesen, dass sie allen Nutzer:innen einen gleichberechtigten Zugang zu statistischen Daten gewähren. Mittlerweile wurden die Daten für alle zugänglich gemacht, und zwar hier.
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