Zensur in China: Ein Essen oder eine Beleidigung?
Schweinekopf essen ist in China etwas schwierig. Schließlich könnte man unvorteilhafte Assoziationen mit der Gestalt von Xi Jinping bekommen.
W enn ein Festtag wie etwa Silvester näher rückt, fokussieren sich viele Chinesen sehnsüchtig darauf, was auf ihren Esstisch kommt: ein Stück geräucherter, gesülzter Schweinekopf, dünn geschnitten, dazu ein Gläschen Hochprozentiges. Oder ein Teller Dampfnudeln mit Füllung, jedem Gaumen trefflich schmeichelnd. Wer wenig Geld hat, nimmt eine Schüssel gebratenen Reis mit zwei, drei Eiern, dazu grüne gewürfelte Frühlingszwiebeln.
Je mehr sich die Sinne darauf konzentrieren, desto ferner sind sie von dem entrückt, was den Menschen sonst zusetzt: Arbeitslosigkeit, Inflation und vor allem Politiker, die ihnen eine weise Führung und rundweg Sicherheit, nach innen wie nach außen, verheißen.
Doch ist es in China wirklich so sicher? Am 25. November präsentierte ein Starkoch auf Youtube ein einfaches Rezept: gebratenes Eis mit Eiern, auf Chinesisch „dan chaofan“. Millionen schauten zu. Stunden später wurde der Mann von anderen Millionen Menschen, die sich Patrioten nennen, geschmäht. Der Koch habe dem Sohn des großen Führers Mao Zedong Hohn und Spott gesprochen.
Dieser habe, den Überlieferungen nach, am 25. November 1951 in der Nähe eines Schützengrabens in Nordkorea gegen alle militärischen Disziplin versucht, sich „dan chaofan“ zu kochen. Der Rauch zog die Aufmerksamkeit von US-Kampfpiloten auf sich, zwei Bomben fielen. Des Führers Sohn starb eines heroischen Todes. Seitdem bezichtigen Mao-treue Patrioten all diejenigen, die anderen „dan chaofan“ ans Herz beziehungsweise die Gaumen legen, der Beleidigung des Revolutionsvaters. Erst recht, wenn dies ausgerechnet am 25. November geschieht.
Auch die Dampfnudel birgt Gefahren
Stunden später erschien der Koch wieder auf Youtube. Er entschuldigte sich bei allen und schwor, er werde fortan alle Köstlichkeiten empfehlen, niemals aber wieder „dan chaofan“. Fürs Erste legte sich die patriotische Farce wieder. Vorbei ist es mit der Angst vor ungünstigen Essenstipps aber noch lange nicht. Zum Beispiel geräucherter Schweinekopf, einst erschienen auf der Titelseite eines Fachmagazins. Die Delikatesse, so die Zensuren, könnte unvorteilhafte Assoziationen mit der Gestalt von Parteichef Xi Jinping erregen. Das Titelbild wurde umgehend umgetauscht. Seitdem ist jeder vorsichtiger geworden, wenn es darum geht, die eigenen Feinspeisen öffentlich zu loben. Jeder will ja sicher leben.
Viel populärer als „dan chaofan“ und geräucherter Schweinkopf ist die Dampfnudel, „baozi“ genannt. Sie ist das innig geliebte Nationalessen der Chinesen, auch von Staatslenker Xi Jinping. Im Frühling 2013, vor über zehn Jahren, nahm Xi in der Öffentlichkeit Pekings drei „baozi“ genüsslich zu sich, um zu zeigen, wie volksnah er sei. Ironischerweise ist der Name „baozi“ (Dampfnudel) seitdem ein schmähliches Synonym für die Majestät geworden. Wer in welchem Kontext auch immer „baozi“ so benutzt, dass der Name sich auf eine Person beziehen könnte, läuft Gefahr, die Majestät zu beleidigen – im Stile von „dan chaofan“.
Gemäß all diesen Erfahrungen müsste die ideale Speisekarte für den Festtagstisch in China, etwa am Silvesterabend, so aussehen: gebratene Körner mit Hühnerembryo; stattliches geräuchertes Kuscheltierhaupt, dazu gewölbte, saftige Ravioli mit Füllung. Wenn da nicht ein Problem wäre: Für 2023 wurde Silvester in China aus dem offiziellen Kalender der staatlichen Festtage gestrichen.
Seitdem machen die Spekulationen über das Warum die Runde: Manche behaupten, es liegt daran, dass Silvester im Chinesischen „chuxi“ heißt. Das Wort „chu“ bedeutet „beseitigen“, „xi“ ist gleichlautend mit dem Familiennamen des Staatschefs. Doch wer ist so lebensmüde, dahinter einen Staatsstreich zu vermuten?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste