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Zeitungssterben in den USAWenn die Gemeinschaft zahlt

Die „Texas Tribune“ finanziert sich aus Spenden. Das funktioniert. Warum es den Lokaljournalismus trotzdem nicht retten kann.

40 Redakteur*innen arbeiten momentan bei der Online-Zeitung Foto: The Texas Tribune

New York/Berlin taz | Es ist der Tag nach den Kongresswahlen, für Aman Batheja der arbeitsreichste Tag des Jahres. Batheja ist Politikredakteur bei der Onlinezeitung Texas Tribune in Austin und koordiniert heute ein Team von 40 Jour­na­list*innen. Jeder Aspekt der Wahlergebnisse soll aufbereitet werden. „Weil das Rennen zwischen Ted Cruz und Beto O’Rourke so viel nationale Aufmerksamkeit bekommen hat, mussten wir bei diesen Wahlen unseren Newsroom dichter besetzen“, sagt Batheja. Über das äußerst komplexe Thema Midterm Elections liefert Bathejas Redaktion täglich Reportagen, Erklärtexte, Datenstücke und Interviews – dabei ist die Tribune keine traditionelle Lokalzeitung, es gibt sie gerade mal neun Jahre und sie finanziert sich komplett durch Spenden.

Dass US-Wähler*innen abseits der Küstenmetropolen zu den Wahlen umfassend informiert waren, ist keine Selbstverständlichkeit. Die Krise der Lokalzeitungen in den USA hat zur Folge, dass Redaktionen beim Personal einsparen und immer weniger eigene Inhalte generieren. Emily Bell, Journalismus-Professorin an der Columbia University in New York, sieht im Zeitungssterben eine Krise der Vierten Gewalt.

„Es ist ein Problem des Marktes, das wiederum ein Demokratiedefizit erzeugt.“ Weil profit­orientierte Medienunternehmen immer mehr auf klickbaren Content achten, leidet die regelmäßige Berichterstattung – die dokumentarische Arbeit, die Journalist*innen in den Hauptstädten der Bundesstaaten, in Stadtverwaltungen und Gerichten leisten. „Accountability Journalism“ heißt das in den USA. „Accountability“ von „Rechenschaft“. Selten sind das die spannendsten und preisverdächtigsten Texte, aber es sind mit die wichtigsten.

„Heute muss jedes Stück gelesen werden, damit es etwas wert ist“, sagt Bell. „Accountability-Journalismus war schon immer langweilig. Die meisten Menschen haben diese Artikel in ihrer Tageszeitung nie gelesen. Und das war auch nicht wichtig. Wichtig war nur, dass diese Funktion erfüllt wurde – für den Fall, das etwas schiefläuft.“

Mit neuem Modell

Bell ist sich sicher, dass ein Modell jenseits vom klassischem profitorientiertem Journalismus gefunden werden muss, um „Accountability“ zu erhalten. Ein Beispiel, wie das gelingen kann, ist die Texas Tribune. Die Onlinezeitung gründete im Jahr 2009 der Reporter Evan Smith gemeinsam Investor John Thornton, der ein Startkapital von 1 Million Dollar einbrachte.

Serie Zeitungskrise Amerika

In der Ära Trump können sich große US-Zeitungen über Abozuwachs freuen. Aber im Rest des Landes geht die Krise weiter. Was bedeutet das Zeitungssterben für die Demokratie? Und wer springt ein? Vier Folgen über die Zukunft der Vierten Gewalt.

Die Recherche wurde unterstützt durch ein Stipendium des American Council on Germany in New York.

Alle Inhalte sind kostenfrei zugänglich, die Nonprofitorganisation finanziert sich über kleine und mittelgroße Spenden von örtlichen Privatleuten und Unternehmen sowie Großspenden von gemeinnützigen Stiftungen. Austin gilt als das Silicon Valley von Texas, viele Tech-Unternehmen sind hier ansässig. Im laufenden Jahr hat die Tribune aus Spenden rund 2,5 Millionen Dollar eingenommen. Neben Nachrichten bietet die Zeitung auch Diskussionsveranstaltungen mit lokalen Unternehmer*innen an und bindet so die örtliche Wirtschaft an ihre Marke. Zudem können Firmen Sponsored Content erwerben, den die Tribune in Form von Podcasts ausspielt.

„Es geht uns finanziell besser als den klassischen Medien in Texas“, sagt Politikredakteur Batheja. „Wir müssen uns nicht wie andere von Klickzahlen leiten lassen.“ Die Politikredaktion der Tribune beschäftigt neben Reporter*innen, Autor*innen und einem Daten-Team noch Korrespondent*innen in Dallas, El Paso und Washington, D.C. Weil die Redaktionsräume zudem einen Steinwurf vom Kapitol in Austin entfernt liegen, ist auch regelmäßige Berichterstattung über die Hauptstadtpolitik gewährleistet.

Ohne Abos und Anzeigen

Die Texas Tribune gilt in der Branche als Erfolgsbeispiel, wie lokaler Journalismus jenseits von Printabos und Werbeanzeigen zukunftsfähig gemacht werden kann. Hier trifft communitybasierte Finanzierung, wie man sie vom Crowdfunding oder von Genossenschaften kennt, auf Risikokapital-Investititonen, wie sie häufig bei Start-Ups erfolgen.

Die größte Spende an die Texas Tribune im laufenden Jahr betrug eine halbe Million Dollar und kam von der Stiftung eines Milliardärspaares aus Houston. Sie macht nur rund ein Viertel des insgesamt eingenommenen Geldes aus, hauptsächlich finanziert sich die Zeitung aus Spenden zwischen 5.000 und 100.000 Dollar. Damit können einzelne Spender*innen weniger Druck ausüben – anders als bei journalistischen Projekten, die sich größtenteils aus einer einzigen Spende finanzieren – wie etwa das neue Datenrecherche-Projekt The Markup.

Weil es der Texas Tribune gutgeht, ist sie ein Vorbild für Gegenden, die Gefahr laufen, eine News Desert zu werden. Im vergangenen Jahr trafen sich in New York Vertreter*innen der Lokalzeitungen und des Radiosenders WNYC mit Investor John Thornton, um zu diskutieren, wie die demokratische Kontrollfunktion von Lokaljournalismus erhalten werden kann. Auch Journalismus-Professorin Emily Bell war dabei. Selbst in der Metropole New York werde aus Gerichten und von Bezirksratssitzungen immer weniger berichtet, sagt sie. „Für Radio und Fernsehen, die ihre News meistens aus den Zeitungen beziehen, ist das ein großes Problem“, so Bell.

Die Wissenschaftlerin sieht in communityfinanzierten Zeitungen wie der Texas Tribune jedoch nicht unbedingt ein Heilmittel gegen die Zeitungskrise. „Das funktioniert nur an Orten, wo es eine engagierte Gemeinschaft gibt, die zugleich über viel Geld verfügt“, sagt sie. „Nicht überall ist Austin.“ Gegenden ohne eine solche Unternehmensstruktur und Philanthropie-Kultur würden eine so große Menge an regelmäßigen Spenden nicht generieren können.

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