Zeitung in der Krise: Ein mühsames Geschäft

Die serbische Wochenzeitung „Vreme“ hat einen hohen Einfluss auf die Gesellschaft. Doch mittlerweile kämpft auch sie ums Überleben.

Ein Magazincover

In ihrer letzten Ausgabe feiert die Wochenzeitung den Jahreswechsel Foto: Vreme

Vreme, also „Zeit“, heißt das serbische Wochenmagazin, das seit seiner Gründung im Oktober 1990 im gesamten früheren Jugoslawien eine Hausnummer ist. Jetzt sind auch bei Vreme moderne Zeiten angebrochen. Im Dezember ist die Redaktion mit einer neuen Webseite an den Start gegangen, die ihre Le­se­r*in­nen täglich mit frischen Nachrichten versorgt. Als Grund für diesen Schritt nennt der leitende Redakteur Andrej Ivanji, der sich in der Printausgabe bereits seit Jahren um internationale Politik kümmert, vor allem die schwierige wirtschaftliche Lage von Vreme.

Derzeit liegt die Auflage des Magazins bei 5.000 bis 6.000 Exemplaren – und es geht weiter bergab. Der Verkaufspreis von 250 Dinar (umgerechnet 2 Euro) ist für viele Ser­b*in­nen nicht leicht aufzubringen. Hinzu kommen – bedingt durch eine Inflation von 7,5 Prozent im Jahr 2021 – massive Preissteigerungen, unter denen das ganze Land ächzt. „Wir reden buchstäblich von einem Kampf ums Überleben“, sagt Ivanji. „Allein von der Tatsache, dass Vreme nach wie vor dank seines Renommees einen starken Einfluss auf Entscheidungsträger und den bürgerlichen Teil der Gesellschaft ausübt, kann man nicht existieren.“

Doch neben den ökonomischen Zwängen geht es Vreme auch darum, politisch ein Zeichen beziehungsweise weiter eine Nische zu besetzen. Das Medium steht seit jeher für professionellen Journalismus, Zuverlässigkeit sowie den Kampf für Demokratie und Menschenrechte. Als Slobodan Milošević – von 1987 bis 2000 politische Führungsfigur in Serbien – in den Nullerjahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem Internationalen Strafgerichtshof für Ex-Jugoslawien (ICTY) der Prozess gemacht wurde, soll er gefragt haben: „Gibt es jemanden im Zeugenstand, der nicht von Vreme kommt?“

Doch so viel Respekt, wenn auch wieder Willen, war einmal. Im heutigen Serbien unter Präsident Aleksandar Vučić, dem in Brüssel der rote Teppich ausgerollt wird, ist Qualitätsjournalismus kein Selbstgänger, sondern Mangelware. Und das hat Gründe. So haben Anschläge auf Medien und Todesdrohungen gegen Jour­na­lis­t*in­nen zugenommen. Regierungstreue Medien, die den Markt dominieren und vom Staat finanziell gepampert werden, verunglimpfen In­ves­ti­ga­tiv­re­por­te­r*in­nen – und Re­gie­rungs­ver­tre­te­r*in­nen tun es ihnen gleich.

Gegen den Strom

Unabhängige Medien wie Vreme hangeln sich von einer Projektförderung zur nächsten, nur manchmal fällt ein Obolus aus dem Staatssäckl ab. Wer­be­kun­d*in­nen werden ebenfalls unter Druck gesetzt und halten sich daher bei ihrem Engagement für die nichtstaatlichen Medien zurück. Die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen führt den Balkanstaat derzeit auf dem 93. von 180 Plätzen – Tendenz fallend.

„Professioneller Journalismus in Serbien ist ein mühsames Geschäft“, sagt Ivanji. „Man schwimmt ständig gegen den Strom, verdient wenig Geld und ist einer andauernden Hetzjagd vonseiten regierender Politiker und der von ihnen kontrollierten Medien ausgesetzt.“ Er frage sich oft, warum er sich das überhaupt antue. „Aber ich kann wohl gar nicht mehr anders.“

Fünf Kol­le­g*in­nen arbeiten an dem neuen Onlineportal von Vreme, zwei davon beschäftigen sich ausschließlich mit Social Media. Derzeit werden täglich bis zu sechs Beiträge aller Sparten in Form von Berichten, Kommentaren und Analysen speziell für die Webseite erstellt. Alle Artikel sind dort kostenlos zu lesen. Zusätzliche Inhalte liefert das traditionelle Printprodukt, für das Le­se­r*in­nen weiterhin zahlen sollen. Die Hoffnung ist, dass Nach­rich­ten­kon­su­men­t*in­nen auf diese Weise Appetit auf die E-Paper-Version von Vreme bekommen und bereit sind, dafür auch zu zahlen. Wenn die Reichweite der Webseite steigt, könnten auch Werbeeinnahmen in Zukunft positiv zu Buche schlagen.

Laut Ivanji lässt sich das junge Vreme-Portal gut an. Manche Nachrichtentexte verbuchten innerhalb kurzer Zeit 20.000 Zugriffe. Auch ein Beitrag über den unlängst preisgekrönten Film „Quo vadis Aida“, der den Völkermord 1995 im bosnischen Srebrenica behandelt, sei auf großes Interesse gestoßen – ein Thema, das andere Medien in Serbien nur mit spitzen Fingern oder gleich gar nicht anfassen.

In den kommenden Monaten will die neue Onlinecrew täglich noch mehr eigene Beiträge anbieten. Dabei wolle man sich auch für Ver­tre­te­r*in­nen der Gesellschaft öffnen, mit denen man ideologisch nicht übereinstimme. „Aber die journalistische Qualität muss stimmen“, sagt Ivanji. Spätestens im Frühjahr muss das Portal gut aufgestellt sein. Am 3. April finden in Serbien Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt.

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