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Zeitreise in das Berlin der NullerjahrWiderborstig, voller Haken und Ösen

Der queere Porno „Bonking Berlin Bastards“ feiert sein Zwanzigjähriges. Anlässlich dessen bringt das Berghain-Label A-Ton den Soundtrack raus.

Das Artwork der Platte ist ein Filmstill aus „Bonking Berlin Bastards“ Foto: ebo hill

Man existiert nur noch im Lockdown- und Homeoffice-Modus, fühlt sich beengt und klaustrophobisch in der Stadt und dann sieht man diesen 20 Jahre alten queeren Hardcore-Fetisch-Porno und der Kontrast zwischen den Bildern und dem aktuellen Zustand könnte kaum größer sein. In der für die Berliner Independent-Gay-Porno-Schmiede Cazzo gedrehten Produktion des Regisseurs ebo hill „Bonking Berlin Bastards“ wird ein Empfinden der totalen Libertinage, der grenzenloses Freiheit beschrieben.

Ein Berlin-in-den-Neunzigern-Lebensgefühl, auch wenn der Film erst Anfang der Nuller Jahre entstanden ist. Man cruist durch die Stadt, lebt mal hier, mal dort, findet Freiräume in halbverfallenen Gebäuden, um dort zu tun, was immer einem gefällt.

Das gibt es heute alles nicht mehr. Nicht bloß, weil gerade die Pandemie bestimmte Freiheitsrechte einschränkt, sondern weil dieses Berlin nicht mehr existiert. Die Stadt bringt heute schließlich eher Investoren zum Träumen als ihre Bürger und an den Orten, in denen man damals so schön rumhängen konnte, stehen heute Büros oder zu teure Appartements oder sonstwas.

Dass man bei einem Porno überhaupt anfängt, von bestimmten Settings zu schwärmen und sogar so etwas wie eine Handlung auszumachen versucht, ist bei der Betrachtung von “Bonking Berlin Bastards“ ja schon erstaunlich genug. Man schaut ihn wirklich gerne von Anfang bis zum Ende, was man bei einem Porno sonst bekanntlich eher selten tut, außer vielleicht bei jenen Exemplaren dieses Genres mit dezidiert künstlerischem Anspruch.

Fetisch-Gay-Porno passt zum Berghain-Lebel

Genauso verwunderlich ist der Anlass, der dazu geführt hat, diesen alten Streifen nochmals hervorzukramen. Das Inhouse-Label des Berghain, A-Ton, hat nun, zum zwanzigjährigen Jubiläum des Films, erstmalig den Soundtrack dazu auf Platte veröffentlicht.

Der Manager des Labels – so die Hintergründe, die zur Veröffentlichung geführt haben – hat ihn bei Freunden gesehen und war sehr angetan von der dazugehörigen Musik. Also: einfach unter die Leute damit. Dass das Berghain-Label die Musik zu einem Fetisch-Gay-Porno herausbringt, passt natürlich.

Das Ostgut, der Vorläufer des Berghain, war von Beginn an stark in der Schwulenszene verwurzelt und das Berghain ist es immer noch. Das dazu gehörende Lab.Oratory ist zudem ein Fetischsex-Club, in dem man gut und gerne Szenen für ein Sequel von „Bonking Berlin Bastards“ drehen könnte.

Auch der Soundtrack ermöglicht eine Zeitreise in das Berlin zur Jahrtausendwende. Die Musik ist roh, ungeschliffen, industriell. Noch nicht das gepflegte ewige Bumm Bumm, mit dem heute die Partys am Laufen gehalten werden, sondern widerborstig und voller Haken und Ösen.

Sound von Acts AeoX und Rouage alias CNM

Die beiden für den Sound zuständigen Acts AeoX und Rouage alias CNM krieren Sounds zwischen Technopunk, Industrial und Geräuschmusik. Musik, die damals auch auf einschlägigen Underground-Partys in Locations wie der Grünen Hölle oder dem Stellwerk zu hören war, die es beide nicht mehr gibt und in denen auch Teile von „Bonking Berlin Bastards“ entstanden sind.

In der Nummer „Kesseltreiben“ von AeoX wird dann sogar noch ordentlich die Gitarre geschrubbt und bei der Hymne „Ficken“ klingt derselbe Act fast schon wie eine vom zu vielen Dosenbier besoffene Deutschpunkcombo. Während Rouage ihre Geräuschcollage „Syrinx (in Öl)“ mit ungewöhnlichen, psychedelisch anmutenden Flötentönen durchzieht.

Der Soundtrack

Various Artists: „Bonking Berlin Bastards – Original Soundtrack“ (Ostgut Ton/A-Ton)

Als eigenständiges Werk funktioniert der Soundtrack erstaunlich gut. Selbst die paar eingestreuten Skits nimmt man gerne mit. Etwa das zweiminütige Referat über „Dreierlei Fickblick“, in dem sich über unterschiedliche Arten von Geilheit in der visuellen Kommunikation ausgelassen wird.

Der Sound ist natürlich oldschool total, produziert mit alten Maschinen und das hört man auch. Tanzmusik ist das nur selten, aber das passt dann ja auch wieder zum aktuellen Pandemiezustand, wo man mit solcher sowieso nur wenig anzufangen wüsste.

In den letzten Jahren gab es durchaus eine kleine Renaissance des Gay-Porno-Soundtracks, was mit der Figur Patrick Cowley zusammenhängt. Der war Ende der Siebziger und Anfang der Achtziger nicht nur an Disco-Klassikern von Sylvester beteiligt und hat den legendären Endlosremix von Donna Summers „I feel love“ angefertigt. Sondern er hat auch mehrere Gay-Pornos mit seinem orgasmischen Hi-NRG-Synthiegeblubber unterlegt, was nun wiederentdeckt wurde.

An Cowley kommt so schnell niemand heran, aber in eine Reihe mit seinem Schaffen lässt sich der Soundtrack zu „Bonking Berlin Bastards“ durchaus stellen.

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