Zehn Jahre nach dem Anschlag: Alle für Charlie
Das Satiremagazin hat auch dank der Solidarität seiner Leser*innen überlebt. In Paris soll 2025 nun ein „Haus der Zeitungskarikatur“ eröffnen.
Für die treuesten Leser und Leserinnen ist es bis heute, und dies oft seit Jahrzehnten, ein fester Termin in der Woche, ja fast eine Institution: Immer mittwochs erstehen sie ihr Exemplar von Charlie Hebdo, manchmal zusammen mit dem Canard enchaîné, dem älteren und etwas weniger aggressiven Satireblatt, am Kiosk oder finden es dank Abo in ihrem Briefkasten.
Mehr als ein Mal war das im vergangenen Vierteljahrhundert in Frage gestellt, die satirische Wochenzeitung mit ihren frechen Karikaturen stand mehrfach am Rand des Bankrotts. Auch gerichtliche Klagen von beleidigten Leberwürsten wollten den Spöttern einen Maulkorb umhängen oder sie ganz zum Schweigen bringen.
Die Liste dieser Versuche ist lang, doch sie blieben erfolglos, abgesehen vom Publikationsverbot, das 1960 gegen die Vorgängerversion Hara-Kiri verhängt wurde. Diese Publikation der späteren Charlie-Gründer wurde wegen ihres schwarzen Humors anlässlich des Tods von General de Gaulle vorübergehend verboten.
Seit der ersten Ausgabe von 1970 ist Charlie Hebdo der lebende Beweis dafür, dass in Frankreich auch aggressive oder sexuell anzügliche Witze über religiöse oder weltliche Institutionen, Konfessionen und Vorurteile aller Art geduldet werden. Charlie Hebdo ist und bleibt damit ein Gradmesser der Toleranz und Pressefreiheit.
Schluss mit lustig?
Solidarität nach Attentat
Vor zehn Jahren, vor dem mörderischen Attentat der Brüder Kouachi auf die Redaktion am 7. Januar 2015, war die Zukunft aber höchst ungewiss. Noch waren da rund 7.000 Abonnenten, aber neue Leser machten sich so rar, dass der damalige Redaktionschef Charb (eines der Todesopfer beim Terroranschlag) bei einem Treffen am Jahresbeginn dem Arzt und Autor Patrick Pelloux erfreut mitteilte, Charlie habe 50 Abonnenten hinzugewonnen. In Wahrheit aber stand das Satireblatt kurz vor dem Konkurs.
Am 7. Januar 2015 drangen zwei Islamisten in die Redaktionsräume vom Satire-Magazin Charlie Hebdo ein und erschossen 12 Menschen. Was genau ist passiert? Dieser Text zeichnet den Terroranschlag und die Folgen nach. Er ist Teil eines Schwerpunkts, in dem die taz auch auf die Auswirkungen auf Meinungsfreiheit und den Umgang mit Humor und Satire blickt.
Die enorme internationale Solidaritätswelle hat Charlie auf lange Jahre hinaus gerettet, und das ist die beste und entscheidende Antwort auf den terroristischen Versuch, diese Publikation und damit die Pressefreiheit überhaupt zu töten.
Die Zahlen sind beeindruckend: Innerhalb von nur wenigen Tagen wuchs die Zahl der Abonnenten auf 120.000, später sogar auf mehr als 200.000, und von der mit einer Auflage von 8 Millionen gedruckten Sondernummer gleich nach dem Attentat wurden restlos alle Exemplare verkauft. Aus aller Welt trafen zudem Spenden von insgesamt mehr als 4 Millionen Euro ein.
Spenden gingen an die Angehörigen der Opfer
Diese Spenden wurden, wie versprochen, an die nahen Angehörigen der Attentatsopfer verteilt. Überwacht wurde das von einem sogenannten Rat der Weisen, der damals unter Aufsicht des Justiz- und des Kulturministeriums mit drei unabhängigen Persönlichkeiten formiert worden war. Präzise Details dazu wurden nicht veröffentlicht.
Und prompt zirkulierten üble Gerüchte bezüglich einer angeblichen Bereicherung der Redaktionsleitung. Die Vorstellung, dass die Antikapitalisten von Charlie Hebdo der Versuchung durch den schnöden Mammon unterliegen, war für seine erklärten Feinde ein gefundenes Fressen.
Die Witwe des von den Terroristen ermordeten Journalisten Michel Renaud, der am 7. Januar zufällig in der Redaktion zu Besuch war, reichte erfolglos eine gerichtliche Klage ein, weil sie der Meinung war, dass nicht nur die Spenden an die Hinterbliebenen gehen sollten, sondern auch die gesamten außerordentlichen Verkäufe dank der Solidarität. Da diese Klage von der Pariser Justiz als gegenstandslos zurückgewiesen wurde, reichte die Frau 2023 erneut eine Klage ein, über die noch nicht entschieden wurde.
Auflage Charlie Hebdo heute klar über Stand vor 2015
Die Sondereinnahmen dagegen wurden in die langfristige Sicherung der Existenz der Veröffentlichung investiert. Denn der Elan der Unterstützung durch den Kauf der Zeitung hielt nicht ewig an. Der Verkauf ging zurück. Mit rund 30.000 Abos und immer noch einer Kioskauflage von etwa 50.000 Exemplaren liegt die Zahl der Abonnements und der verkauften Auflagen seit 2020 aber fast unverändert immer noch klar über dem Stand von Anfang 2015.
Die Kontinuität wurde also dank der Solidarität gewahrt, obschon beim Attentat neben dem Chef Charb auch einige der wichtigsten und historischen Figuren (namentlich die Zeichner Wolinski, Cabu und Honoré) getötet wurden. Andere fehlten bald ebenfalls: Noch unter dem Schock des Mordanschlags und in der Zeit danach haben andere Charlie verlassen – weil sie wie der Karikaturist Luz, der zum Attentat zwei Bücher und einen Comics-Band publiziert hat, einfach nicht mehr konnten oder weil sie anderswo tätig sind wie der Notarzt und Schriftsteller Patrick Pelloux.
Die Leitung der Redaktion hat Laurent Sourisseau, alias Riss, von Charb geerbt. Er ist nach einem vor Gericht gewonnenen Streit mit dem Ex-Generaldirektor Eric Portheault seit 2023 Alleinaktionär der Zeitung.
Das Satireblatt Charlie Hebdo soll die Aufgabe, unentwegt für die Freiheit der Karikatur zu kämpfen, aber nicht alleine erfüllen. Regelmäßig publizieren weltweit andere Medien die Zeichnungen, die von Fanatikern als blasphemisch empfunden werden. Noch in diesem Jahr soll in Paris im Gebäude einer ehemaligen Schule nach einem administrativen Hin und Her endlich das nach dem Anschlag von 2015 angekündigte „Haus der Zeitungskarikatur“ gebaut werden. Es wird den elf Getöteten gewidmet.
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