Zehn Jahre Gleichbehandlungsgesetz: Es müsste viel mehr Klagen geben
Die Geschichte des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist eine Erfolgsgeschichte. Trotzdem greift es oft nicht. So ist die Klagefrist viel zu kurz.
Dieses Beispiel nennt Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Am Dienstag stellte sie in Berlin eine Evaluation zum zehnten Geburtstag des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes vor. Sie berichtete von einer Erfolgsgeschichte – und mahnte zugleich Verbesserungen an. Denn oft kann das Gesetz nicht greifen.
Zum Beispiel im Fall des jungen Flüchtlings bei der Spedition: Bis er davon erfuhr, dass die Spedition gegen ein Gesetz verstoßen hatte, war die Frist, in der man juristisch gegen eine angenommene Diskriminierung vorgehen kann, bereits abgelaufen. Sie beträgt gerade mal zwei Monate. Diese Frist auszuweiten war einer der Vorschläge der Wissenschaftlerinnen, die das Gesetz evaluiert haben.
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts, des Alters, einer Behinderung, des Glaubens, der sexuellen Orientierung oder der ethnischen Herkunft. 31,4 Prozent der Menschen in Deutschland haben bei einer Umfrage angegeben, innerhalb der letzten beiden Jahre schon einmal Diskriminierung erlebt zu haben. Bei der Antidiskriminierungsstelle, die seit ihrer Gründung im Jahr 2006 insgesamt rund 15.000 Beratungen durchführte, ließen sich die meisten Menschen (27,7 Prozent oder 3.897 Fälle) beraten, weil sie wegen ihrer Behinderung eingeschränkt wurden, kurz danach kommen die Diskriminierungsgründe ethnische Herkunft und Geschlecht.
Ein Meilenstein
„Die Einführung des AGG war ein Meilenstein“, sagte Lüders. „Die Menschen heute reagieren wachsamer auf Diskriminierungen.“ Insbesondere die Unternehmen hätten sich auf das Gesetz eingestellt: Heute würde kaum noch eine Firma eine Stellenanzeige ohne die Nennung beider Geschlechter schalten oder mit verbotenen Formulierungen wie „suchen jungen, dynamischen Mitarbeiter“ (Altersdiskriminierung) oder „suchen Muttersprachler“ (Herkunftsdiskriminierung).
Zugleich, auch das zeigte die Evaluation des AGG, ist das Gesetz nach wie vor unzureichend. Das liegt daran, dass es außer den Grünen zunächst niemand wollte. Union, Kirche und Wirtschaft handelten immer laxere Formulierungen aus, mit dem Ergebnis, dass einzelne Teile des AGG nun europarechtlichen Vorgaben nicht genügen, wie Alexander Klose vom Büro für Recht und Wissenschaft, das die Evaluation gemeinsam mit der Oldenburger Juraprofessorin Christiane Brors erstellt hat, erklärte. So schütze das AGG etwa nur vor sexualisierter Belästigung im Arbeitsleben, nicht aber im zivilen Leben. Auch wird das AGG bei Kündigungen nicht angewandt.
Bei der Einführung des AGG war insbesondere befürchtet worden, dass es zu einer Klagewelle kommen könnte. Zudem fürchtete die Union um die Vertragsfreiheit. Die wirtschaftseigene „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ errechnete „Bürokratiekosten“ von 1,7 Milliarden Euro. „Das Niveau der damaligen Debatte war verwunderlich“, fasste Lüders höflich zusammen. „Niemand hat damals über den Nutzen des Gesetzes diskutiert.“
Verbandsklagerecht gefordert
Aus der befürchteten „Prozessflut“ wurden etwa 1.400 Gerichtsverfahren in den gesamten 10 Jahren. Das seien nur 6 Prozent der bekannt gewordenen Diskriminierungen, so Alexander Klose. Ein Grund: die zu kurze Anzeigefrist. Zudem fordert er, den Weg für ein Verbandsklagerecht freizumachen. Antidiskriminierungsverbände sollen anstelle einzelner Personen klagen können. Denn insbesondere im Arbeitsleben scheuen Angestellte die Klage gegen ihren Arbeitgeber.
Klose verwies darauf, dass ein solches Recht – etwa für Umweltverbände und Verbraucherzentralen für ihre jeweiligen Themenbereiche – bereits bestehe. Zudem müssten die Rechte der Behinderten gestärkt werden. Zu oft kann ein Unternehmen sich herausreden, dass es leider zu aufwändig sei, Barrierefreiheit zu schaffen. An dieser Stelle solle das Gesetz verschärft werden.
Die Chancen für eine Gesetzesänderung noch vor der Wahl sah Lüders durchaus gegeben. „Opferschutz ist keine Frage von links oder rechts“, so die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Zudem würde das Thema an Brisanz zunehmen, denn mit den Flüchtlingen steige die Zahl der Diskriminierungen.
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