Zahlungen an AKW-Betreiber: Geld statt längerer Laufzeiten
Das Umweltministerium will RWE und Vattenfall mit rund einer Milliarde für den Atomausstieg entschädigen – weit weniger als von ihnen gefordert.
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Notwendig geworden war die Gesetzesänderung aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts aus dem Dezember 2016. Der Atomausstieg von 2011, gegen den die AKW-Betreiber geklagt hatten, war darin zwar grundsätzlich für rechtmäßig erklärt worden. In zwei Randbereichen hatte das Gericht aber einen Anspruch auf Entschädigung bestätigt: zum einen für Investitionen, die die Betreiber zwischen der von Union und FDP im Oktober 2010 beschlossenen Laufzeitverlängerung und dem fünf Monate später infolge der Fukushima-Katastrophe verkündeten erneuten Atomausstieg vorgenommen haben.
Zum anderen konnten RWE und Vattenfall im Gegensatz zu Eon einen Teil der Atomstrommengen, die ihnen im Jahr 2002 beim rot-grünen Atomkonsens zugestanden worden waren, unter dem schwarz-gelben Ausstieg nicht mehr produzieren, weil dieser statt Reststrommengen ein fixes Abschaltdatum für jedes AKW vorsah.
Für die notwendige Entschädigung hatte das Gericht drei Lösungswege aufgezeigt: erstens eine Verlängerung der im Gesetz genannten Laufzeiten für einzelne Atomreaktoren. Zweitens eine Pflicht, die Reststrommengen, die bei einem Betreiber übrig bleiben, an jene zu verkaufen, die zu wenig haben. Und, drittens, eine finanzielle Entschädigung für die Unternehmen, die ihre Reststrommengen nicht nutzen können.
Entschädigung statt Verpflichtung zum Handel
Das in dieser Frage federführende Umweltministerium hat sich nun für die dritte Möglichkeit entschieden: Die Betreiber sollen Geld bekommen. Wie viel genau, steht noch nicht fest. Im Gesetzentwurf steht, dass die Ausgaben „einen niedrigen einstelligen Milliardenbereich nicht überschreiten, wahrscheinlich jedoch im oberen dreistelligen Millionenbereich liegen werden“. Das wäre deutlich weniger als jene 19 Milliarden Euro, die die Konzerne ursprünglich gefordert haben.
Für die Investitionen rechnet das Ministerium mit keinerlei relevanten Entschädigungen, weil der Zeitraum zwischen Laufzeitverlängerung und -verkürzung zu kurz gewesen sei, um Baumaßnahmen genehmigt und beauftragt zu bekommen. Gezahlt werden muss hingegen für die verfallenen Reststrommengen.
Wie hoch die Entschädigung ausfällt, soll laut Gesetzentwurf erst im Jahr 2023 berechnet werden, wenn feststeht, wie viel Strom tatsächlich nicht produziert werden konnte. Grundlage ist der durchschnittliche Börsenstrompreis zwischen dem Ausstiegsbeschluss von 2011 und dem Abschaltdatum des letzten AKW im Jahr 2022 abzüglich der Produktionskosten für den Atomstrom.
Im Bundeswirtschaftsministerium, das für die Energiepolitik zuständig ist, war nach taz-Informationen lange die zweite Option des Gerichts bevorzugt worden, bei der die Konzerne zum Handel mit Reststrommengen verpflichtet worden wären. Auch im Finanzministerium gab es Sympathie für diese Lösung, weil sie für den Staat billiger geworden wäre. Das Umweltministerium hält dies laut internen Unterlagen jedoch für „ein sehr komplexes Verfahren“.
Die Zeit drängt
Vor allem hätte dieses Verfahren faktisch verlängerte AKW-Laufzeiten zur Folge. „Eine zwangsweise Übertragung von Reststrommengen würde bedeuten, dass die Atomkraftwerke, die zusätzliche Reststrommengen erhalten, dann in jedem Fall länger laufen würden als derzeit betriebswirtschaftlich geplant“, schreiben die Experten des Umweltministeriums.
Denn derzeit müssen einige AKWs, etwa Brokdorf oder Isar 2, real vor dem im Gesetz genannten Datum abgeschaltet werden, weil ihre Reststrommenge verbraucht ist. Atomkraftgegner, etwa von BUND und ausgestrahlt, hatten sich darum stets gegen eine solche zwangsweise Übertragung ausgesprochen.
Das Gesetz ist am Freitag zur Abstimmung in die anderen Ressorts geschickt worden. Wann der Entwurf im Kabinett beraten wird, ist noch unklar. Die Zeit drängt. Für die Umsetzung hatte das Bundesverfassungsgericht eine Frist bis zum 30. Juni gesetzt.
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