Zahlen des Statistischen Bundesamts: Politikum Kinderarmut
2022 waren in Deutschland 2,2 Millionen Kinder von Armut bedroht. Die Zahlen sind auch mit Blick auf den Streit um die Kindergrundsicherung aktuell.
Entsprechende Zahlen veröffentlichte am Mittwoch das Statistische Bundesamt. Haben die Eltern eine Berufsausbildung oder Abitur, lag die Quote nur bei 14,5 Prozent. Kinder von Eltern mit Meistertitel oder Studium waren mit 6,7 Prozent am wenigsten gefährdet. Insgesamt waren 2022 in Deutschland 2,2 Millionen Kinder armutsgefährdet.
Mit 14,8 Prozent lag die Gesamtquote leicht unter der des Vorjahrs (16,4 Prozent). Als „armutsgefährdet“ gelten Personen, die über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügen. Andere Untersuchungen wie etwa der Mikrozensus kommen auf höhere Werte – für 2021 etwa auf 21,3 Prozent.
Dass Bildungsgrad und Armut zusammenhängen, sei „eine absolute Binse“, sagte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, der taz. Die neuen Zahlen stünden aber in einem politischen Kontext: Die Ampelkoalition streitet seit Monaten über die Finanzierung der geplanten Kindergrundsicherung. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte im April betont, der Schlüssel im Kampf gegen Kinderarmut sei nicht mehr Geld für Familien, sondern mehr Bildung.
Kinder auf der Flucht
Anfang der Woche hatten FAZ und dpa unter Berufung auf die Bundesagentur für Arbeit berichtet, die Zahl der Kinder im Bezug staatlicher Grundsicherung stagniere seit 2015 – doch der Anteil ausländischer Kinder sei deutlich gestiegen. Diese machten inzwischen knapp 48 Prozent der Kinder im Bürgergeld aus, während es 2015 bei Hartz IV rund 19 Prozent gewesen seien.
„Seit 2015 kamen mehr als 300.000 Kinder aus Syrien, Irak, Afghanistan und anderen Asylherkunftsländern sowie, seit 2022 mit Beginn des russischen Angriffskriegs, rund 270.000 Kinder aus der Ukraine hinzu“, schrieb die FAZ. Die B.Z. schlussfolgerte, „Armutszuwanderung“ sei Schuld daran, dass so viele Kinder im Bürgergeldbezug seien – und dass die Kindergrundsicherung letztlich die „versteckten Kosten der unkontrollierten Migration“ auffange.
Eine These, die Ulrich Schneider vom Paritätischen als „absolut zynisch“ bezeichnet. „Schauen Sie sich an, was in der Ukraine passiert – da wird gemordet, Zivilisten werden erschossen. Dass man das jetzt vorbringt, um zu behaupten, mit der Kindergrundsicherung ziehe man irreguläre Migration an, kann ich nicht nachvollziehen.“ Wenn Kinder in Armut lebten, müsse man damit umgehen – unabhängig vom Aufenthaltstitel, so Schneider. Für ihn sei das nur ein weiteres Argument für die Kindergrundsicherung.
Auch die migrations- und familienpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag kritisiert die Darstellung der B.Z. „Wenn der Nachname nach wie vor über Bildungschancen und damit auch über Einkommensverhältnisse entscheidet, dann sind das keine ‚versteckten Kosten‘, sondern ein gesellschaftliches Problem“, sagte Gökay Akbulut der taz. Eine Kindergrundsicherung sei deshalb ebenso überfällig wie ein diskriminierungsfreier Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Macrons Krisengipfel
Und Trump lacht sich eins
Maßnahmenkatalog vor der Bundestagswahl
Grünen-Spitze will „Bildungswende“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA und Russland besetzen ihre Botschaften wieder regulär
Frieden in der Ukraine
Europa ist falsch aufgestellt
Die Neuen in der Linkspartei
Jung, links und entschlossen
Gentrifizierung in Großstädten
Meckern auf hohem Niveau