Zahlen der Arbeitsagentur: Immer weniger Tarifbeschäftigte

Vor allem im deutschen Dienstleistungssektor arbeiten viele Menschen ohne Kollektivvertrag. Die Linkspartei fordert Maßnahmen gegen Tarifflucht.

Ein Mann trocknet Besteck ab

Vor allem im Gastgewerbe arbeiten viele Beschäftigte ohne Tarif Foto: dpa

Berlin taz | Wer noch nach Tarif bezahlt wird, kann sich glücklich schätzen. Das gilt aber für immer weniger Beschäftigte in Deutschland. Nur noch 47 Prozent der Arbeitnehmer wurden 2017 tariflich bezahlt, sechs Prozentpunkte weniger als noch 2008. Das geht aus Daten hervor, die das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) nach einer kleinen Anfrage der Linksfraktion im Bundestag veröffentlichte und über die am Freitag zuerst die Rheinische Post berichtete.

Demnach hat die Tarifbindung vor allem in kleinen Unternehmen stark abgenommen. Nicht an einen Tarifvertrag gebunden sahen sich im vergangenen Jahr 87 Prozent aller Firmen mit bis zu neun Mitarbeitern in Ostdeutschland und 78 Prozent in Westdeutschland. Zehn Jahre zuvor waren es 69 Prozent der kleineren westdeutschen und 80 Prozent der kleineren ostdeutschen Betriebe.

Die meisten Beschäftigten in Unternehmen ohne Tarifvertrag arbeiteten 2017 in den Wirtschaftszweigen Information und Kommunikation, im Handel, im Gastgewerbe sowie anderen Dienstleistungssektoren, heißt es in der Regierungsantwort. Weniger als ein Drittel oder 31 Prozent aller Unternehmen waren demnach im vergangenen Jahr noch tarifgebunden und verfügten gleichzeitig auch über einen Betriebsrat.

Die Vorteile der Tarifbindung für Arbeitnehmer hat die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung 2016 in einer Studie zusammengefasst. Wer nach Tarif arbeitet, verdient demnach mehr, als Industriemechaniker zum Beispiel durchschnittlich 18 Prozent. Außerdem gelinge die aktive Gestaltung der Arbeitsbedingungen mit Tarifbindung besser als ohne.

Umstrukturierte Wertschöpfung

„Je geringer die Tarifbindung in der Fläche ist, desto niedriger ist das gesamte Einkommensniveau und desto stärker zeigt sich eine Spreizung der Einkommen in den Unternehmen“, heißt es in der Studie außerdem.

Als Grund für die Tarifflucht identifiziert die (zum Deutschen Gewerkschaftsbund gehörende) Böckler-Stiftung unter anderem den Mitgliederrückgang bei den Gewerkschaften. Aber auch die „zunehmende Dynamik der Umstrukturierung von Wertschöpfungsketten, neue Geschäftsmodelle und die Ausgliederung von Tätigkeiten“ führe dazu, dass das ständige Ringen um Tarifbindung zunehme.

Dieser „Tarifflucht“ dürfe die Bundesregierung nicht tatenlos zusehen, forderte der gewerkschaftspolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Pascal Meiser. „Die Zahlen belegen, dass die Tarifflucht von Unternehmen (…) nur die Spitze des Eisberges darstellt“, so Meiser. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sieht der Berliner Politiker in der Pflicht, „endlich ein Maßnahmenkonzept zur Stärkung der Tarifbindung auf den Tisch zu legen“.

Einen kleinen Vorstoß in Sachen Tarifbindung hat Heil allerdings schon Mitte Dezember gewagt. Im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung warb der SPD-Politiker für Steuerrabatte für tarifgebundene Unternehmen. „Wir sollten über Anreize für eine höhere Tarifbindung nachdenken“, sagte Heil. Weil die Tarifbindung eine Art öffentliches Gut sei, könne man sie als Gesetzgeber belohnen.

„Der Staat sollte tarifgebundene Unternehmen steuerlich besser behandeln als nicht tarifgebundene“, so Heil. Zudem könnten Aufträge der öffentlichen Hand nur noch an Unternehmen gehen, die sich an die Tarifverträge ihrer jeweiligen Branche halten. (mit dpa)

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