ZDF-Spielfilm über Geflüchtete: Authentizität statt Eskapismus
Reggisseurin Feo Aladag erzählt eine schöne, aber nicht beschönigende Geschichte von drei schwer traumatisierten Männern.
Regeln sind wichtig in Deutschland – und trotzdem ist in diesem Film nur in einem Dialog die Rede von regelkonformem Vorgehen, von Vorschriften und von Fristen. Die schweizerische Schauspielerin Bettina Stucky hat als Sachbearbeiterin beim Amt einen einzigen Auftritt, der dennoch in Erinnerung bleibt.
Weil der Film aber kein Dokumentar-, sondern ein Spielfilm ist, könnte man solche Szenen, Miniaturen, von denen man sicher ist, dass sie sich genau so, in all ihrer Absurdität, Traurigkeit und Komik jederzeit abspielen könnten, als fiktionalisierte Realsatire bezeichnen.
Sie beruhen auf zweijährigen Recherchen und Gesprächen mit Sachbearbeitern, Psychologen, Juristen, Polizisten und mit Flüchtlingen. „Jungs zwischen 14 und 17, du hast richtig gemerkt, die wollten erzählen“, sagt die Autorin und Regisseurin Feo Aladag. „Der Andere“ ist ihr dritter Film, der erste fürs Fernsehen (nach „Die Fremde“ und „Zwischen Welten“ im Kino).
Nama Traore, den Flüchtling aus Mali, der Nama den Flüchtling aus Mali spielt, hat sie in einem Flüchtlingsheim kennengelernt. Nach dem Dreh hat er für ein paar Monate bei ihr gewohnt. Die beiden anderen Hauptrollen hat Aladag mit Profis besetzt: dem in Deutschland sehr bekannten Milan Peschel und dem in Dänemark noch viel bekannteren Jesper Christensen.
Wenig Empathie
Dessen dänischen Akzent musste Feo Aladag erklären. Sie recherchierte wieder und stieß auf eine „weggeschwiegene“ Episode in der dänisch-deutschen Geschichte: Deutsche Flüchtlingskinder gelangten, von ihren Eltern getrennt, gegen Kriegsende nach Dänemark und waren dort nicht nur wohlgelitten.
Auch aus der Erinnerung an diese Episode, an seine Kindheit, speist sich das Mitgefühl des 75-jährigen Willi (Christensen) für Nama, dem die Behörden nicht abnehmen, dass er erst 17 sein soll. Dabei sind die Voraussetzungen für eine Freundschaft zwischen Willi und Nama zunächst denkbar schlecht: Ausgerechnet in einer Kirche stiehlt Nama die Lederhandschuhe, die Willi seinem Sohn Stefan (Peschel) schenken wollte.
„Der Andere“, 20.15 Uhr, ZDF.
Der sie nicht haben wollte. Der sein eigenes Trauma, seine eigene Traurigkeit mit sich herumträgt und als frustrierter Polizist wenig Empathie für die Flüchtlinge, mit denen er tagtäglich umgeht, übrig hat. Der es nicht fassen kann, als Willi Nama zu Hause einquartiert.
Auch das spricht übrigens für den Film und seine Schonungslosigkeit, die keine Hoffnungslosigkeit ist: dass er nicht aus einer falschen Vorsicht heraus davor zurückschreckt, den Flüchtling als – bald reuigen – Dieb zu zeigen.
„Du kennst doch die Leute hier“
„Der Andere“ ist außerdem ein bis in die klitzekleinste Nebenrolle (mit Katja Riemann, Alwara Höfels, Karoline Eichhorn, Lars Rudolph) herausragend besetzter Schauspielerfilm. Einen der denkwürdigen Kurzauftritte gibt Jörg Schüttauf, als „besorgter“ Nachbar.
„Mir geht’s in erster Linie um dich“, sagt er zu Stefan. „Das ist hier keine gute Gegend für Flüchtlinge, also unsere Ecke meine ich jetzt. Der Andi gestern, hat mich angesprochen. Jens, hat er gesagt. Jens, sagt er, was macht denn der Pohl mit diesem jungen Neger? Mann. Muss man mal mit dem reden? Ich möchte einfach nicht, dass du mit dem Probleme bekommst. Du kennst doch die Leute hier.“
Aladag will viele Menschen erreichen, mehr als im Kino, mehr als im kleinen Fernsehspiel gen Mitternacht. Deswegen wollte sie den Sendeplatz um 20.15 Uhr – kein Problem für das ZDF, sagt Aladag. „Das kann man jetzt glauben oder auch nicht: Ich habe mich in meiner Arbeit als Autorin, Regisseurin und Produzentin frei und selbstbestimmt gefühlt.“
Sie mutet dem Krimi-/Komödien-affinen ZDF-Zuschauer härteren Stoff zu, als er auf diesem Sendeplatz am Montagabend gewohnt ist. Authentizität statt Eskapismus – das ist also möglich zur Primetime.
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