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Demos am Nakba-TagYalla, yalla, Repression?

Am Donnerstag gedenken Palästina-solidarische Gruppen der Nakba. Manche befürchten dabei Antisemitismus, andere die Erosion von Grundrechten.

Beim Protest im letzten Jahr wurden die Demonstrierenden am Hermannplatz gekesselt Fo­to:­Flo­ri­an Boillot Foto: Translator

Jedes Jahr gedenken Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen am 15. Mai, dem „Nakba-Tag“, der Flucht und Vertreibung im Zuge der israelischen Staatsgründung 1948. Die Demonstrationen gehören wohl zu den kontroversesten Berlins. Vor allem, weil es immer wieder zu Auseinandersetzung zwischen Polizei und Demonstrierenden kommt.

Aber auch, weil der Tag polarisiert: Geg­ne­r:in­nen sehen im Nakba-Tag, Arabisch für Katastrophe, kein Gedenken, sondern antisemitischen Protest. Und tatsächlich kam es auf den Veranstaltungen immer wieder auch zu antisemitischen Aussagen.

2022 hat die Polizei alle Versammlungen zum Nakba-Tag untersagt, mit Verweis auf Zusammenstöße mit Demonstrierenden im Jahr zuvor. Auch 2023 wurde die zentrale Demonstration zum damals 75. Jahrestag verboten. In beiden Jahren war die Argumentation der Berliner Polizei dieselbe: Es sei mit volksverhetzenden, antisemitischen und gewaltverherrlichenden Ausrufen und Gewalttätigkeiten zu rechnen.

Die Ver­an­stal­te­r:in­nen wiesen dagegen darauf hin, dass diese Taten von einzelnen Personen begangen worden seien, und kritisierten das Vorgehen der Polizei, alle Demonstrierenden dafür zu bestrafen. Klagen gegen die Verbote waren nicht erfolgreich.

Spätestens seit dem 7. Oktober sind alle Palästina-solidarischen Demonstrationen von staatlichen Beschränkungen betroffen, unabhängig vom Nakba-Tag. Immer wieder werden Vorwürfe über Polizeigewalt auf Demos gegen Israels Krieg in Gaza laut, wenn sie denn stattfinden dürfen.

Ab Februar 2025 fing die Polizei zudem an, Sprachverbote auszusprechen: Reden, Plakate und Slogans auf Arabisch oder Hebräisch wurden untersagt, nur noch Deutsch und Englisch sind dann erlaubt. Zusätzlich gilt oft auch ein Bewegungsverbot: Proteste können dann nur als Standkundgebungen stattfinden. Die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union spricht von einem „düsteren Kapitel in der Unterdrückung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit“.

Auch der Polizei- und Versammlungsforscher Clemens Arzt, ehemaliger Professor der HWR Berlin, hält das Vorgehen der Berliner Polizei für problematisch: Bewegungs- und Sprachverbote verstießen gegen die Versammlungsfreiheit und das Diskriminierungsverbot. „Versammlungen wegen Straftaten Einzelner zu verbieten oder aufzulösen, entzieht allen, die die Straftat nicht begehen wollen, die Versammlungsfreiheit“, sagte Arzt der taz.

Hohe Hürden für Demoverbote

Solange sich Rufe oder Transparente auf Einzelpersonen beschränken, dürfe die Polizei auch nur gegen Einzelne vorgehen. Nur, wenn das nicht möglich ist, könne eine Demo aufgelöst werden.

Die Hürden, um Demonstrationen im Vorhinein zu verbieten, sind in Artikel 8 des Grundgesetzes hoch angesetzt. „Der einzige Grund dafür kann Gewalt gegen Personen oder Sachen, also unwiederbringlicher Schaden gegen Dritte sein“, sagt Versammlungsrechtler Arzt.

Doch seit Corona hätten die Eingriffe in die Versammlungsfreiheit zugenommen. Damals habe der Staat Demos wegen der Wahrscheinlichkeit von Verstößen gegen das Maskengebot oder wegen des Infektionsschutzes verboten. In der Folge seien auch Klimaproteste der Letzten Generation wochenlang verboten worden. Alleine in den ersten vier Wochen nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 erließ Berlin über 20 Demo-Verbote.

„Nachdem die Rechtsprechung außerhalb von Berlin dies mehrfach gerügt hatte, musste auch Berlin von Vorabverboten Abstand nehmen. Stattdessen wurden Versammlungen nun wegen angeblicher Meinungsdelikte im Vorfeld massiv beschränkt, mit Auflagen versehen und breit gefilmt“, so Arzt. Mit Artikel 8 des Grundgesetzes sei dies nicht vereinbar. Denn dafür bedürfe es eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit.

Ein häufiges Argument für ein Verbot wegen „Meinungsdelikten“ ist der Ausruf „From the river to the sea, Palestine will be free“. Im November 2023 hat das Bundesinnenministerium den Spruch als Zeichen der Hamas verboten – in der Folge kam es wegen Verwendung des Spruches mehrfach zu Verurteilungen.

Dennoch ist die rechtliche Situation vom Einzelfall abhängig, nicht jede Äußerung des Spruchs erfüllt den Charakter einer Straftat. Strafgerichte sind eigentlich vom Bundesgerichtshof dazu verpflichtet, bei mehrdeutigen Aussagen zugunsten von Straflosigkeit zu interpretieren. Eine finale Entscheidung zur Strafbarkeit des Ausrufs gibt es derzeit noch nicht.

Die Repression wirkt

Die Repression zeige Wirkung, sagt Arzt. Viele Menschen ohne Aufenthaltstitel gingen nicht mehr auf solche Proteste. Auch das Filmen oder In-Gewahrsam-Nehmen von Demonstrierenden schüre Ängste. „Letztlich geht es um Einschüchterung aus Gründen der sogenannten deutschen Staatsräson“, sagt Versammlungsrechtler Arzt.

Auch in diesem Jahr sind mehrere Demonstrationen zum Nakba-Tag sowie Gegenveranstaltungen angemeldet. Bisher, so teilte es die Polizei Berlin der taz mit, wurden noch keine besonderen Auflagen erteilt. Das könne sich aber jederzeit ändern, hieß es. Ob die Veranstaltungen stattfinden dürfen, ist damit offen.

Die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen der Proteste wollen sich von Verboten ohnehin nicht einschüchtern lassen. „Ob verboten oder nicht, egal mit welchen Beschränkungen, wollen und werden wir eine große Massendemo auf die Beine stellen, hier im Herzen der europäischen zio­nistischen Bestie“, so der Aufruf. Und natürlich kokettieren auch Mobi-Videos immer wieder mit dem Spruch „From the river to the sea“.

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1 Kommentar

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  • Vertreibung 1948?

    Das ist doch fast auf dem selben Level, wie "Schlesien wieder unser".



    Die Vertreibung war 1945.