Wormser Nibelungenfestspiele: Brynhild, we are so sorry!
Die Eröffnung der Wormser Nibelungenfestspiele will die Geschlechterklischees der Sage auflösen. „Brynhild“ bietet letztlich jedoch allzu viel Trash.
Erinnern Sie sich noch? An die lustige „Batman“-Serie aus den 60er Jahren, worin Schläge noch synchronisiert wurden? Mit Bang, Tschrrr, Krach? Nun, zum Auftakt der Nibelungenfestspiele erlebten diese Soundeffekte ein Revival, diesmal in einem American Diner Marke Hollywood, in dem sich Sigurd mit anderen prügelt.
Doch damit nicht genug der Popzitate: Neben den transparenten und knallig roten Wänden des Fast-Food-Schuppens sieht man einen Kombi mit Flammenapplikationen, wie man sie aus dem Männlichkeitsstreifen ever, „Manta, Manta“, kennt. Raufereien und geile Autos, das klingt schon sehr nach Machokulisse – und soll es auch. Denn die will die Autorin des Auftaktstücks „Brynhild“, Maria Milisavjević, so richtig ins Wanken bringen.
Gleiches gilt für die Regisseurin Pınar Karabulut, die gegenüber der taz äußert: „Das Nibelungenlied ist ein männlicher Blick auf eine Geschichte; so muss die stärkste Frau der Geschichte erst einmal vergewaltigt werden, damit sie sich einem Mann unterwirft. Diese tradierten Narrative müssen überdacht und neu gelesen werden. Mir ist es wichtig, von diesem Gewaltporno gegen Frauen* auf Theaterbühnen wegzukommen und neue Darstellbarkeiten zu denken“.
Der deutscheste aller deutschen Mythen um Verrat und Gewalt, Leidenschaft und Eifersucht nimmt an diesem Abend daher zunächst einen ganz anderen Verlauf. Nachdem Sigurd (Bekim Latifi) auf Geheiß seines Ziehvaters den Drachen tötet, wird ihm aufgetragen, sich ein Königreich untertan zu machen. Angekommen am Hof der isenländischen und titelgebenden Herrscherin (Lena Urzendowsky), soll er diese zum Kampf herausfordern.
Die Dame weigert sich zu kämpfen
Nun folgt aber der verwunderliche Coup. Die starke und eigenwillige Dame weigert sich zu kämpfen, ist des Abschlachtens und des üblichen Verlaufs der schon so oft erzählten Handlung überdrüssig. Deswegen lehrt sie den Heros die Vorzüge von Mitmenschlichkeit und Liebe, sodass dieser bald bekennt: „Ich kann nicht mehr die Realität eines anderen leben.“ Gegen das Schicksal aufzubegehren stellt also das Motto der Uraufführung dar, mitsamt der scheppernden Dekonstruktion der dem Nibelungenlied innewohnenden heteronormativen Matrix. So! Zu Recht!
Nur, wie bricht man aus den verhärteten Strukturen aus? Um dem utopischen Novum des Textes gerecht zu werden, versetzt die Regie das Arrangement in einen Sci-Fi-Raum mit schrillen Farben. Rechts neben der besagten Burger-und-Pommes-Bude erstreckt sich eine violett gehaltene Bühne mit mehreren Treppen und Podesten, dahinter befindet sich eine gigantische Leinwand für Liveaufnahmen und allerlei sonstige Filmchen. Die Figuren tragen glitzernde Kostüme mit bunten Perücken, erinnern an Typen aus „Star Wars“ oder anderen Raumfahrtmovies.
Dass sie bewusst gegen den Strich gebürstet sind, sieht man zum einen an ihrer teils geschlechtslos anmutenden Aufmachung, teils am Unterlaufen gängiger Charakterprofile. Hagen wird beispielsweise von der People-of-Color-Actrice Ruby Commey verkörpert, Gunnar (Simon Kirsch) wiederum erscheint als blutsaugender Wiedergänger aus „Interview mit einem Vampir“, was ja durchaus noch passt, nutzt er doch auch in der altbekannten Geschichte Sigurd aus, um mithilfe von dessen Stärke Brynhild zu bezwingen.
Mit Musik zugekleistert
Und da man die Sage gänzlich durchrütteln will, wird das Spiel mit queeren Figuren sodann noch von einer Band (Daniel Murena, Martin Tagar, Oliver Bersin) mit reichlich Bass und oft bizarren Synthesizerklängen gerockt. Oder um es klarer zu sagen: Der Abend wird in fast jeder Minute mit Musik geradezu zugekleistert.
Dieses Zuviel des Guten scheint symptomatisch für die katastrophale Gesamtkonzeption oder Nichtkonzeption zu sein. Wir werden regelrecht geflutet mit allerlei Referenzen und überhaupt bunten – Hauptsache, schrägen – Bildern. Nur was sollen all die losen Versatzstücke? Was erzählt uns ein American Diner über die Nibelungen? Warum müssen so viele Denglisch sprechen? Oh, I’m so sorry, Daddy … wake up … ey, ihr Bitches!
Zudem: Welchen interpretatorischen Mehrwert hat die Aufnahme einer Figur, die sich mit dem Ventilator Wind ins Gesicht bläst? Und warum sehen wir die Leute des Wormser Hofes anfangs in blauen Bademänteln? Wieso muss Brynhild wie in der Verfilmung von Patrick Süßkinds „Das Parfum“ orgiastisch von allen Anwesenden niedergestreckt und vergewaltigt werden?
Zugegeben, was sich hier als neuer Ansatz geriert, erweist sich als gigantisch aufgebauschter Trash. Vielleicht kann über die verpoppte und versemmelte Realisierung zumindest die weitere Story noch hinwegretten, erhofft man sich. Aber vergebens. Nachdem Sigurd nach der kurzen Harmonieepisode mit Brynhild auf die intrigante Truppe um Gunnar trifft, wiederholt sich der alljährliche Fluch des Schatzes. Die Isen-Regentin wird unterworfen, Kriemhild sinnt auf Rache. Nur Sigurd muss in dieser Version nicht dran glauben. Er duckt sich nach der Verschwisterung der beiden betrogenen Königinnen gemeinsam mit den anderen feigen Herren weg.
Sterben muss nur die Frau, nämlich Brynhild. Aber halt! Ihren Suizid, mündend in die einzig starke Szene des Abends, ihre Beerdigung, macht die Inszenierung umgehend rückgängig. Die Protagonistin ersteht wieder auf. „Warum“, fragt sie sodann mit didaktischem Impetus das Publikum, „zieht ihr eure Kraft aus dem Blut anderer?“ Bevor das Licht ausgeht, küsst sie noch Kriemhild und Sigurd. Liebt euch, so die erste Botschaft. Gegen das Los lässt sich opponieren, so die zweite. Es braucht keine Hinrichtung von Frauen mehr, um der Welt zur Erkenntnis zu verhelfen, so die dritte.
Überzeichnung und Verfremdung
Also alles auf Anfang? Man würde den Impuls gern ernst nehmen, wenn die Inszenierung und die stilistisch allzu plakativ gehaltene Bühnenfassung innovatives Potenzial mit sich brächten. Hier und da trifft man auf ein passendes Bild. Etwa wenn Sigurd am Wormser Hof wie ein Roboter, ein Sklave seiner Einflüsterer marschiert. Oder wenn sich die beiden Regentinnen bei ihrem gemeinsamen Empowerment für einige Augenblicke synchron zueinander bewegen. Doch diese wenigen Einfälle gehen unter in einem darstellerischen Design, das nur Überzeichnung und Verfremdung kennt.
Wie gern erinnert man sich angesichts dessen an vergangene Uraufführungen zurück? Man denke nur an Roger Vontobels archaische Deutung des Mythos, der 2018 in „Siegfrieds Erben“ seine Figuren noch wirklich die tiefen menschlichen Tragödien durchleiden ließ und der mithilfe eines mongolischen Sängers eine markerschütternde Stimmung erzeugte. Ähnlich überzeugend fiel seine Inszenierung im letzten Jahr aus, als er die Nibelungenwelt in einer Wasserbühne spiegelte. Buchstäblich mussten die Figuren immer wieder in ihre inneren Untiefen abtauchen oder sich gewissermaßen submarin verschwistern oder verschwören.
Weder spürt man in „Brynhild“ etwas von der Kraft einer stringenten Komposition noch einer inneren Auseinandersetzung mit den großen erschütternden Gefühlen und Zwangslagen der Legende. Statt aus ihr organisch eine Idee herauszuarbeiten, trat man hier in die missliche Falle, dem Stoff auf Teufel komm raus zeitgenössische Diskurse aufzuoktroyieren.
Man fragt sich: Haben wir uns tatsächlich nichts mehr zu erzählen? Und genügt es, die eingefahrenen Stereotype dieses und anderer Klassiker allein dadurch zu entlarven, dass man ihn zur Karikatur verformt? Die Antwort lautet: Nein! Existenziell und dringlich scheint im zweiten Teil des Abends daher nur ein Wunsch zu sein: Hoffentlich ist es bald vorbei.
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