Workstation was ist das?: "Jeder hat seinen eigenen Arbeitsbegriff"
Der klassische Arbeitsbegriff grenzt immer mehr Leute aus. Darum setzt sich die Ideenwerkstatt "Workstation" für ein neues Verständnis von Arbeit ein und initiiert Kampagnen wie "unvermittelt", erklärt die Künstlerin Ulrike Ertl.
taz: Frau Ertl, seit zehn Jahren gibt es die Workstation. Trotzdem ist nie richtig klar geworden, was das eigentlich ist.
ULRIKE ERTL, 42, ist Künstlerin und Musikerin, macht vier Stunden in der Woche Lohnarbeit. Davon lebt sie, wenn sie nicht auf Hartz IV ist.
Ab heute gibt es in Berlin fünf Wochen lang Aktionen, die die ungerechte Verteilung von Arbeit thematisieren. Die Kampagne "unvermittelt" wird von der Workstation-Ideenwerkstatt und der "AG unvermittelt" der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) organisiert.
Auftakt ist die heutige Demonstration zum Thema: "Gebt der Arbeit eine Chance". Demonstriert wird für die Abschaffung von Arbeitsanwesenheits- und Bereitschaftszwang sowie für die Abschaffung unausfüllbarer Formulare und für den angstfreien Jobverlust. Beginn 12.30 Uhr vor der NGBK, Oranienstr. 25
Des Weiteren gibt es den "Private emission trade". Das ist eine Firma, die prüft, ob Autofahrer im Stadtgebiet für ihre Autofahrten bereits Emissionsrechte erworben haben. Wenn nicht, verkaufen sie ihnen ihre Emissionsrechte. Mit dem eingenommenen Geld werden Arbeitslose finanziert, da diese - das wurde wissenschaftlich bestätigt - weniger Emissionen verursachen.
Ein "Ausgliederungsservice" wird ebenfalls im Stadtraum aktiv. Die Arbeitsagentur verlangt ja von Arbeitslosen, dass sie einen Eingliederungsvertrag unterschreiben. Eine Farce, da die Vertragspartner nicht gleichberechtigt sind, kritisieren die Akteure der Kampagne unvermittelt. Wer bei den Aktionen auf dem Oranienplatz und vor Jobcentern - welche genau, das wird im Voraus nicht bekannt gegeben - einen Ausgliederungsvertrag unterschreibt, macht also deutlich, dass er die Farce durchschaut.
In mehreren Aktionen wird zudem versucht, Arbeitslose in Lohnarbeit zu bringen, und die Schwierigkeiten, die dabei entstehen, werden dokumentiert. Diese Dokumentationen sollen das Missverhältnis zwischen dem, was die Menschen mitbringen, und dem, was von Unternehmen eingefordert wird, sichtbar machen.
Bei informellen Treffen werden Arbeitslose außerdem den Mitarbeitern von Jobcentern erklären, was Arbeitslosigkeit und der gesellschaftliche Umgang damit mit ihnen macht. Umgekehrt erklären Mitarbeiter von Jobcentern den Arbeitslosen, wo sie sich unverstanden fühlen.
Nicht zuletzt gibt es die Woche des Grundeinkommens. Sie findet vom 16. bis 21 September statt und wird an vielen Orten in Berlin Werbung für die Einführung eines Grundeinkommens machen. WALTRAUD SCHWAB
Die Ergebnisse der Kampagne werden im Dezember in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst gezeigt.
Infos unter: www.unvermittelt.net
Ulrike Ertl: Das ging mir früher genauso. Zuerst dachte ich, die Workstation sei einfach ein Arbeitsvermittlungsprojekt. Ich dachte, da können Leute hinkommen und durch Gespräche oder durch temporäre Mitarbeit herausfinden, was sie machen wollen. Wie man sich so ein Leben einrichtet mit den Fähigkeiten und Interessen, die man hat.
Und was ist die Workstation wirklich?
Ich kooperiere jetzt seit eineinhalb Jahren mit der Workstation. Und ich finde, es ist ein Forum, wo sich Akteure treffen und zum Thema Arbeit auszutauschen.
Welche Akteure?
Wissenschaftler, Künstler, Aktivisten, Ein-Euro-Jobber. Bei Diskussionen sitzen auch Vertreter vom Jobcenter, die Arbeitssenatorin, Arbeitgeber - also Leute, die einen anderen Arbeitsbegriff vertreten als wir. Es geht um Dialog mit allen, die bestimmen, was Arbeit ist und nicht darum, Recht haben zu wollen. Die Workstation ist kein Ort, wo Gleichgesinnte sich die Wunden lecken.
Welchen Arbeitsbegriff hat denn die Workstation? Das wird ja nicht richtig deutlich.
Es wird nicht deutlich, weil dort jeder seinen eigenen Arbeitsbegriff in die Diskussion reinbringen kann und soll. Ich zum Beispiel bin für eine klare Abgrenzung zwischen Lohnarbeit, also Arbeit, die bezahlt ist, und solcher, die nicht bezahlt ist. Letzteres nenne ich Hobby. Dies sage ich, obwohl ich Künstlerin bin.
Und dieser Arbeitsbegriff entspricht nicht dem, was andere bei Workstation denken?
Frauke Hehl, die fleißigste Vertreterin der Workstation etwa, nennt alles Arbeit. Lohnarbeit, Reproduktionsarbeit, Ehrenamt, Hobby, für sie ist alles Arbeit und Leben. Da trennt sie nicht.
Was hat man davon, sich über Arbeit auszutauschen?
Weil der klassische Arbeitsbegriff und seine heutigen Auswüchse so viele Leute ausgrenzt, vereinzelt, ausbeutbar macht, sind wir eine der Keimzellen, die diesen falschen Arbeitsbegriff kritisieren. Ohne solch strukturelle Kritik ist ein Umdenken nicht möglich.
Macht die Workstation auch noch etwas anderes, als nur über Arbeit zu reden?
Was heißt denn nur? Austausch ist wichtig, weil dabei Ideen entstehen. Die Workstation hat mehrere Gemeinschaftsgärten auf Stadtbrachen initiiert. Sie hat zudem Kunst-Stoffe ins Leben gerufen. Das ist ein Hof, wo Materialien und Reste von Firmen, nicht mehr Gebrauchtes von Theater- und Filmproduktionen gesammelt wird, die gegen kleine Spenden an Künstler und Kindergärten, Schulen abgegeben werden. Außerdem hat die Workstation die Kampagne "unvermittelt" angeregt, bei der ich mitmache.
Was ist das?
Das ist eine Kampagne zur Vermittlung eines Arbeitsbegriffs jenseits von Überarbeitung und Mangel. Es geht nämlich darum, diese Ansätze, die bei Workstation entwickelt werden, unter die Leute zu bringen, die von so einer Diskussion ausgeschlossen sind von vornherein. Unvermittelt wird ab heute fünf Wochen lang an verschiedenen Orten in der Stadt Aktionen machen.
Hat die Workstation mit ihrer Kritik am Arbeitsbegriff denn schon etwas erreicht?
Unsere Kritik wird in politischen, wissenschaftlichen, gewerkschaftlichen und künstlerischen Kontexten abgefragt und ziemlich ernst genommen. Weil die Leute merken, wenn man sich vom klassischen Arbeitsbegriff nicht in die Enge treiben lässt, funktionieren Abhängigkeitssysteme, auf die die Wirtschaft baut, nicht mehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!