piwik no script img

Wolf Wondratschek über das Schreiben„Ich bin nur der, der tippt“

Poet, Box-Fan und ein Münchner, den es nach Wien zog: Wolf Wondratschek. Hier antwortet er auf Stichworte zu Männern und Frauen, Luxus und Erfolg.

Wolf Wondratschek steht auf Boxen und auf Kippen. Außerdem schreibt er auch Foto: imago images / Ulli Winkler
Alem Grabovac
Interview von Alem Grabovac

Erste Erinnerungen

Die Nachbarin, die sich im Garten nebenan nach faulen Äpfeln bückte. Meine geliebte Großmutter, die sterben wollte und lächelte. Opernarien im Radio.

Rüppurr. Karlsruhe

Ich hatte es gut, ich war mit nichts, was mich umgab, einverstanden.

Kindheit

Ich bin keinem Kampf aus dem Weg gegangen, wenn es darum ging, so wie ich es wollte auf der Welt sein zu dürfen.

Mutter-Sohn-Beziehung

Ich hatte eine Mutter ganz wie eine Mutter sein sollte: gutes Herz, mittelmäßige Köchin, hätte immer gern Zigaretten geraucht.

Vater-Sohn-Beziehung

Was tun mit einem Vater, der nicht nur mich, sondern gleich auch die anderen drei meiner Brüder für die Laufbahn des Berufssoldaten begeistern wollte?

Prozess gegen den Vater

Es war nicht schwer zu kapieren, dass es eines Gegenmittels bedurfte, und sei es ein Sprung über die Wolken, um ins Freie zu kommen. Als mir klar wurde, dass ich – ich war damals fünfzehn – den Prozess verlieren würde, stellte ich mich an die Autobahn, hielt den Daumen raus und trampte nach Paris. Ich war grausam gewesen und gleichzeitig unschuldig geblieben.

Cello

Ich hab immer noch eins.

Musik

Mir genügt meine Sprache, um Musik zu machen. Mein Atem sitzt mit an der Schreibmaschine, meine Arme und Beine auch. Ich bin nur der, der tippt.

Körpertraining

Dazu sind Körper doch da, um sie elegant in Bewegung zu halten.

Schreiben

Eine Arbeit, die Gnade des Gelingens erbittend.

Zigaretten

Chesterfield Blue.

Kaffee

Ich mache mir inzwischen Sorgen, was meinen Kaffeekonsum angeht.

Bild: dpa
Im Interview: Wolf Wondratschek

Der Schriftsteller: Geboren am 14. August 1943 im thüringischen Rudolstadt, aufgewachsen in Karlsruhe. Seine Vorfahren stammen aus Böhmen. Studium in Heidelberg, Göttingen und Frankfurt am Main (ohne Abschluss). Seit 1967 freier Schriftsteller in München („Früher begann der Tag mit einer Schußwunde“, 1969), seit Mitte der Neunziger in Wien. Er ist auch Verfasser von Hörspielen und Drehbüchern.

Aktuelles Buch: „Erde und Papier“. Herausgegeben von Claudia Marquardt. Ullstein Verlag, Berlin 2019, 336 Seiten, 24 Euro

Joints

Den letzten habe ich mit einem 82-jährigen australischen Professor für Religionswissenschaft geraucht.

Lyrik

Wie kann man nur eine so schöne Sache, die man auch Poesie nennt, Lyrik nennen?

Literarisches Vorbild

Ezra Pound, Borges, Nabokov.

Schönster Satz (in der Literatur)

Es hatte inzwischen zu schneien begonnen. Noch konnte man mit dem Finger auf jede Schneeflocke deuten. Bis der Winter vorbei ist, sagte er, werde ich sie alle gezählt haben. Sie legte die letzte Karte. Die Patience war aufgegangen. Sie war ein wenig müde. Es war anstrengend, dieses nutzlose Leben. Schade, dass nicht Tschechow es war, der „Anna Karenina“ geschrieben hatte. Vielleicht hätte mich das heilen können.

Realität

Keine Ahnung, was das sein soll.

Fiktion

Fuchs und Bär waren Freunde und wateten gerade mal wieder durch einen Fluss, der das Zimmer durchquerte.

Vorwurf: Macho-Literatur

Eine Frau musste sich neulich, wie sie mir erzählte, den Wunsch, ein Buch von mir kaufen zu wollen, regelrecht erkämpfen, da die Buchhändlerin an der Kasse sie zu überzeugen versuchte, sich nicht mit Macho-Literatur abzugeben.

Literaturkritiker

Ich wünsche mir Leser, die mein Buch besser zu deuten verstehen als ich, der es geschrieben hat, es je könnte.

Boxen

Botschaften aus der Antike. Alles oder nichts. Kampf der Dritten Welt um Ehre, Respekt und Geld. Sie sind schwarz und der Dollar ist weiß.

Rituale

Mit den Menschen, die was davon verstanden, haben wir alles getötet, was uns retten könnte.

Die Ehe

Kein Bedarf.

Vatersein

Es brachte mich zum Leuchten.

Frauen

Einige haben mich geboren, einige haben mich getötet.

Männer

Wie schon Joyce sagte: Oh Scheiße mit Zwiebeln!

Schönheit

Sie ist das tiefste Geheimnis, unentschlüsselbar.

Liebe

Und die Liebe war, was sie sein sollte, ein in täglicher Anwendung erprobter Zustand größter Einfachheit.

Erotik

Der Flamme so nahe kommen, bis dich ein Freudenfeuer umgibt

Sex

In Rom hab ich dir unter den Rock gegriffen, in dieser Nacht wurden zweitausend Katzen geboren. Gut, um nicht vollends verrückt zu werden.

Prostitution

Ich reiche das Mikrofon meinem Freund Flaubert, der sich bei Dirnen noch besser auskannte. „Sie sind die losgelassene, nackte, ausschweifende und siegreiche Laune inmitten einer Welt freudloser Notare und Sachverwalter.“

Seitensprung

Nur den, um nicht von Rad- oder Autofahrern über den Haufen gefahren zu werden.

Bernd Eichinger

Wir hatten etwas gemeinsam, das nie gut gehen kann; die Liebe zu der gleichen Frau. Ging aber gut. Viele Nächte und Jahre lang

München

Die unnötigste Stadt Deutschlands.

Wien

Mit meinem böhmischen Namen ist mein Aufenthalt in dieser Stadt nicht nur logisch, sondern Heimkehr.

Mexiko

Dort hätte ich gern einige Jahre meines Lebens zugebracht, wenn ich nicht zu feige gewesen wäre, ein anderes Leben zu beginnen. Das bedaure ich. Mit dem Schmerz, versagt zu haben, muss ich klarkommen.

Geld

Geld ist gut gegen Angst, macht aber mit den Ängstlichen, was es will.

Erfolg

Nur den, der nicht erwartbar war.

Luxus

Für weniger Geld als in Wien ein Kleines Wiener Frühstück kostet stehst du im Museum vor einem Fra Angelico, Rembrandt, Dürer. Auch die Stille dort ist Luxus.

Missgunst

Sie rezensieren meine Cowboystiefel.

Feinde

Diese Tausendfüßler nehmen dir alles übel: die Frische deiner Frechheiten, dein beneidenswert geringes Körpergewicht, das Fehlen von Ehrgeiz, was ihnen wie ein an sie gerichteter Vorwurf vorkommt.

Europa

Europa braucht Morgenröte.

Wochenendkasten 27./28. Juli 2019

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk, im praktischen Wochenendabo und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Utopien

Aufenthalt im Gedächtnis des Glücks.

Angela Merkel

Ich habe kaum je einen Gedanken an Frau Merkel verschwendet. Sie war da, blieb da – und blieb dabei, soweit ich das sehe, die, die sie war, der Durchschnittswelt nah genug, um als Mensch wahrgenommen zu werden.

Alice Schwarzer

Ich käme nicht auf die Idee, mit ihr eine Flasche Champagner leeren zu wollen.

Ängste

In meinen glücklichen Augenblicken fühle ich mich vom Aussterben bedroht.

Schlechte Angewohnheiten

Mich auf Diskussionen einzulassen, wo ich ein Gespräch führen wollte, und mich dabei immer noch aufzuregen.

Humor

Da hab ich nicht die volle Ladung abgekriegt.

Hoffnungen

Sand wäre ich am liebsten oder, hätte ich die Wahl, ein Klumpen Erde, wenig genug, um dem Einfallsreichtum der Menschen zu entgehen.

Älterwerden

Vor dem Einschlafen ein Blick zurück auf alles, was da ist, auf alles Überflüssige.

Grabsteinspruch

Ewige Unruhe wäre mir lieber.

Gott

Ich glaube an seine Engel.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Wondi ist der letzte lebende deutsche Dichter

  • Zitat: „Alice Schwarzer“ „Ich käme nicht auf die Idee, mit ihr eine Flasche Champagner leeren zu wollen.“

    Genau das war der Plan, wetten?

    Auf die Frage, was mit einem Vater zu tun sei, der alle seine Söhne für eine Laufbahn als Berufssoldat begeistern wollte, scheint Wolf Wondratschek jedenfalls eine ihn selbst und andere durchaus befriedigende Antwort gefunden zu haben: Sein „Feld der Ehre“ liegt offenbar mitten in einer Kulturlandschaft. Wobei er wohl, weil er ja "Menschen in Gruppen kaum noch ertragen [kann]", wie er freimütig bekennt, eher ein klassischer Held sein möchte als Schütze Arsch oder gar Braver Soldat Swejk. Womöglich ist/wäre damit ja auch sein Vater letztendlich ziemlich zufrieden.

    Merke. Du sollst nicht klagen, wenn du befürchten muss, dass du dich nachher dafür ohrfeigen möchtest.

    • @mowgli:

      Psychologie today^¿* oh je'j.



      Plan? - ah Geh.

      Uns Ol - wollte bestimmt dies & das - aber eigentlich - “Jung - hab nicht studiert. Da weet ich nix van aff.



      Müßt sülms bei!“ aber sicher nicht zum Barras. No way.

      Aber - ”Alice Schwarzer



      Ich käme nicht auf die Idee, mit ihr eine Flasche Champagner leeren zu wollen.“ - me too.

      Eher mach ich ne Erstbesteigung 🧗‍♀️ am Bayenturm. Versprochen 👻



      &



      Die Möven sehen alle aus - als ob sie -



      Emma hießen. Liggers. Das fand ich auch schon immer - ol Ringelnatz.

      • @Lowandorder:

        Missgunst



        „Sie rezensieren meine Cowboystiefel.“

        Es war in Bankfurt



        ich strahlte vor innerem Reichtum



        der Dichter las sich vor



        leicht mit den übergeschlagenen Beinen wippend

        Ich saß in der ersten Reihe



        der deutschen Befindlichkeit in ihrer vollen Absurdität



        pendelte mit meinem Actionsmantra



        mein Gehirn aus



        und dachte an die ausgetretenen Fußspuren der Riesen

        Ich ging als letzter nachhause und dachte:



        Es gibt nichts, was einem mehr von einem Ohr zum anderen lächeln macht,



        als das leichte Wippen der gepflegten Cowboy¬stiefel



        des letzten lebenden deutschen Dichters

        Utgebuddelt 1996

        • @Alfie:

          Mit Verlaub - Wie meinen?

          Mich sicher nicht.

          • @Lowandorder:

            &! Däh&Zisch - Mailtütenfrisch

            ”Ahoi.







            Die "Missgunst" und „Sie rezensieren meine Cowboystiefel.“ waren Zitat aus dem Wondratschek-Interview. Warum "ALFIE" das als Antwort an ihre Adresse geschrieben hat bleibt unklar. Vermutlich nur ein Handlingfehler. Der Rest stammt vielleicht aus einem Wondratschek-Text. ALFIE scheint ihn ja zu mögen. W. gelingt es gut, mit wenig wenig zu sagen und mit wenig auch mal viel zu sagen. Damit ist er aber nicht einzigartig. “

            Liggers. Bin mit Verlaub - sorry - nur der - der da tippt. 👺

            • @Lowandorder:

              TIPPI TAPPI



              Bei jeder Zeile von Wondratschek ärgere ich mich, dass sie nicht von mir ist.

              • @Alfie:

                🥚jòò 🥚jòò & da schau her.



                Liggers. So isset leicht & gor net soo schwer -

                “TIPPI TAPPI Bei jeder Zeile von Wondratschek ärgere ich mich, dass sie nicht von mir ist.“

                .…tja dess HAPPI HAPPI - “schleckt die Geiß net weg.“ Ha no - bei dess Gedeck!



                Da brauchtes scho denn - 🐺

                • @Lowandorder:

                  Was?

                  • @Alfie:

                    Stand zu vermuten. 👻 👻 👻