Wohnungspolitik in Berlin: Spekulation mit Wohnraum lohnt sich

Der Bezirk Mitte hat den Weg frei gemacht für den Abriss der Habersaathstraße 40-48. Das ist ein fatales Signal für alle Mie­te­r*in­nen der Stadt.

Protesttransparente Wohnen Ist Grundrecht an der Aussenansicht der Habersaathstraße 40 48 in Berlin Mitte.

Der Abriss von schützenswertem Wohnraum stößt auf Widerstand Foto: imago

Der grüne Bezirksbürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel, hat in dieser Woche den Weg frei gemacht für den Abriss der Habersaathstraße 40-48. Damit hat er ein für eine soziale Wohnungspolitik fatales Signal gesendet: Spekulation mit jahrelangem Leerstand zahlt sich aus, und die Belange von Mie­te­r*in­nen zählen weniger als die Interessen von Investoren.

Dass das mangelhafte Zweckentfremdungsverbot als Begründung dafür herhält, dass der Gebäudekomplex mit seinen 120 Wohnungen, der erst in den 1980er Jahren mit öffentlichen Mitteln errichtet und 2008 energetisch saniert wurde, abgerissen werden darf, ist dabei bloß ein Feigenblatt. Dass das Gesetz novelliert werden muss und der Abriss von schützenswertem Wohnraum künftig verhindert werden können muss – allein schon aus Klimaschutz-Gründen – ist zwar richtig. Dennoch hatte der Grünen-Politiker mehr Handlungsspielraum, als er vorgibt.

Seit mehr als zwei Jahren führt der Bezirk Mitte einen Rechtsstreit mit der Arcadia Estates, weil er der Eigentümerin die Abrissgenehmigung verweigert. Dass von Dassel nun befürchtet, diesen zu verlieren, bedeutet nicht, dass er in vorauseilendem Gehorsam eine Genehmigung erteilen muss. Der Senat hat längst zugesagt, den Bezirk dabei zu unterstützen, wenn dieser bei einem etwaigen negativen Urteil in Berufung geht und vor höhere Instanzen zieht.

So etwas dauert mitunter Jahre und hätte den Be­woh­ne­r*in­nen wertvolle Zeit erkauft. Zeit, in der das Zweckentfremdungsverbotsgesetz angesichts des zunehmenden Mietenwahnsinns in Berlin verschärft werden und eine Rekommunalisierung des Gebäudes eingefädelt werden könnte. Es gibt also keinen Grund zur Eile – außer für die Arcadia, die das Filetgrundstück in Mitte schnell zu Geld machen will.

Die hat jetzt zwar eine Abrissgenehmigung, allerdings nur auf dem Papier. Denn was von Dassel und der Immobilienkonzern offenbar gerne vergessen ist, dass in dem Haus nicht nur fast 60 Obdachlose wohnen, die bei einem Abriss wieder auf der Straße landen würden, sondern auch noch ein Dutzend Altmieter*innen, die nahezu unkündbare unbefristete Werksmietverträge haben und ihren Auszug hartnäckig verweigern.

Ein schlechter Deal für Mie­te­r*in­nen

Die muss der Eigentümer erst einmal gerichtlich rausklagen – auch das kann Jahre dauern. Und der Mieterverein räumt ihnen gute Chancen ein, dass sie vor Gericht gewinnen. Schließlich war der Arcadia, als sie die Immobilie 2017 für zehn Millionen Euro gekauft hat – nachdem der Senat sie 2006 für schlappe zwei Millionen Euro an einen privaten Investor verscherbelt hatte – der Zustand des Hauses bekannt, und sie hat ihn durch Vernachlässigung und Leerstand noch verschlimmert.

Das sollte nicht auch noch belohnt werden. Zumal der Deal, den von Dassel mit der Arcadia vereinbart hat, schlecht verhandelt ist – zumindest für die Mieter*innen. Für eine Zweizimmerwohnung zahlen die Mie­te­r*in­nen in dem ehemaligen Schwesternwohnheim der Charité rund 300 Euro pro Monat – vergleichbare Wohnungen in der Lage kosten locker das Drei- bis Vierfache. Dass sie laut Vereinbarung in dem Neubau für zehn Jahre die gleichen Mietkonditionen erhalten ist viel zu wenig – genauso wie die 1.000 Euro Abfindung, die sie stattdessen pro Quadratmeter erhalten können.

Zehn Jahre sind schnell vorbei und ein paar Zehntausend Euro angesichts der explodierenden Mietpreise in der Hauptstadt rasch aufgebraucht. Dass die Alt­mie­te­r*in­nen dann auch noch erpresst werden, indem ihnen gesagt wird, dass die Obdachlosen ausziehen müssen, wenn sie den Deal nicht annehmen, und sie dazu gedrängt werden, sich innerhalb von nur zwei Wochen zu entscheiden, ist würdelos.

Abriss muss verhindert werden

Das Haus in der Habersaathstraße ist mittlerweile über die Grenzen Berlins hinaus ein Vorzeigeprojekt dafür geworden, wie Obdachlose schnell und unkompliziert von der Straße geholt und ihnen ein selbstständiges und würdevolles Leben ermöglicht werden kann. Ihnen und der Initiative Leerstand Hab ich Saath, die ebenso wie die Alt­mie­te­r*in­nen gegen den Abriss des Gebäudes kämpfen, gebührt dafür Respekt und Anerkennung. Sie haben geschafft, was die Politik jahrelang verpennt hat.

Wenn Berlin es ernst damit meint, Obdachlosigkeit bis 2030 abzuschaffen, die Mieterrechte in dieser Stadt zu stärken und Spekulation mit Leerstand einen Riegel vorzuschieben, muss es sich für den Erhalt der Habersaathstraße einsetzen. Nicht nur weil sie längst zum Symbol des Kampfes gegen spekulativen Wahnsinn geworden ist. Auch weil der Abriss von Wohnraum angesichts der Wohnungsnot unbedingt bekämpft werden muss – im Parlament und vor Gericht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Leiterin taz Berlin und Redakteurin für soziale Bewegungen, Migration und soziale Gerechtigkeit. Schreibt in ihrer Kolumne "Pöbelmanie" über Klassenkampf aus der Perspektive eines Kindes der Arbeiter*innenklasse. Hat politische Theorie studiert, ist aber mehr an der Praxis interessiert.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.