Wohnungsmarkt in Dortmund: Arm werden per Mieterhöhung
Nach München und Hamburg, Köln und Berlin wird jetzt auch das Ruhrgebiet teuer. Trotzdem wollen CDU und FDP Mieterrechte einschränken.
Gleichzeitig aber kündigte die ehemals gemeinnützige Landesentwicklungsgesellschaft, die 2008 von der schwarz-gelben NRW-Landesregierung des CDU-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers privatisiert worden ist, massive Mieterhöhungen an: Zwischen 30 und 47 Prozent sollen die Mieten je nach Wohnungsgröße steigen.
„Für mich ist das dramatisch“, sagt Christine Twittmann. 914,20 Euro Warmmiete soll die alleinerziehende Mutter für knapp 85 Quadratmeter am Sonnenplatz künftig zahlen. „Existenzielle Fragen“ seien ihr durch den Kopf geschossen, als sie das LEG-Schreiben gelesen habe, erzählt die 40-Jährige: „Wie soll ich das bezahlen, wo das Geld schon jetzt kaum reicht?“
Zusammen mit ihren drei Söhnen im Alter von sechs, vier und zwei Jahren lebt die Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache von 2.400 Euro netto im Monat. „Ich werde die Wohnung nicht halten können“, fürchtet Twittmann – und fragt sich: „Wie finde ich mit drei Kindern eine neue Wohnung? Wie soll das gehen, wenn ich am neuen Wohnort gleichzeitig zwei Kitaplätze brauche?“
Dabei ist Twittmann kein Einzelfall: „Ich war verzweifelt“, sagt auch Sabine Mielke. Noch zahlt die 52-Jährige, die seit 32 Jahren in der Großen Heimstraße wohnt, eine Kaltmiete von 5,43 pro Quadratmeter – bald sollen es 7,87 Euro sein.
Neue Balkone, neue Türen
Natürlich ist das weit entfernt von den Preisen in Städten wie etwa Hamburg oder München, in denen die Bestandsmieten schon seit Jahren im zweistelligen Bereich liegen und bei Neuvermietungen Horror-Quadratmeterpreise von 12 bis 20 Euro niemanden mehr aufregen. Doch Mielke weiß trotzdem nicht, wie sie in Zukunft eine Warmmiete von 423,46 Euro bezahlen soll: Als Pflegebetreuungskraft verdiene sie „weniger als 1.000 Euro netto“. Ähnlich geht es ihrem Nachbarn Egon Gennat: 456,51 Euro warm soll der 63-jährige Vorruheständler künftig für knapp 48 Quadratmeter zahlen. „Das wären mehr als 50 Prozent meines monatlichen Nettoeinkommens“, sagt er.
„Ich konnte gar nicht glauben, dass Mieterhöhungen von 30 Prozent und mehr überhaupt möglich sind“, sagt Christine Twittmann. Doch schon eine erste, schnelle Internetrecherche machte der Lehrerin klar: Das Mietrecht erlaubt, jährlich 11 Prozent der Kosten einer Modernisierung auf die MieterInnen umzulegen.
Und das kann teuer werden: In Dortmund etwa ist nicht nur eine Wärmedämmung der Kellerräume vorgesehen. Rund die Hälfte der Wohnungen soll neue Bäder, die andere „Vorstellbalkone nebst Balkontüren“ erhalten. Neue Haus- und Wohnungstüren sind ebenso geplant wie neue Telefonkabel, und erstmals sollen die in den zwanziger und dreißiger Jahren gebauten Häuser auch Außenbeleuchtung und Gegensprechanlagen erhalten.
Kosten werde das alles knapp 1,4 Millionen Euro – und davon seien exakt 1.187.114 Euro „mietwirksam“, rechnet die LEG vor – und begründet so die vorgesehene Mietpreisexplosion von bis zu 47 Prozent. Ausgebremst werden könnten die nur über Härtefallregelungen, nach denen die Miete nicht mehr als 35 Prozent des verfügbaren Einkommens betragen dürfe, sagt der Geschäftsführer des Dortmunder Mietervereins, Rainer Stücker: „Allerdings ist die Rechtsprechung hier diffus.“
Strittig könne außerdem sein, was überhaupt eine Modernisierung sei, sagt Stücker: Werden etwa bei der Modernisierung eines Bades Uraltleitungen ersetzt, gilt das als Instandhaltung – und für die muss der Vermieter aufkommen.
Klar ist dagegen: In Nullzinszeiten dürften auch aufwendigste Modernisierungen gerade für kapitalmarktfinanzierte Unternehmen wie die LEG ein gutes Geschäft sein. Dank der Modernisierungsumlage von 11 Prozent ist die Rückzahlung des investierten Gelds durch die MieterInnen in etwas mehr als neun Jahren garantiert. Hinzu kommt die Wertsteigerung der Häuser – und dauerhaft höhere Mieten.
„Natürlich ziehen Unternehmen wie die LEG mit ihren Mieterhöhungen die Mietspiegel ganzer Städte nach oben“, sagt die Geschäftsführerin des Mieterbunds NRW, Silke Gottschalk: Allein die LEG verfügte Ende 2016 deutschlandweit über 128.488, Konkurrent Vonovia sogar über 333.381 „Wohneinheiten“ – und gerade große Immobilien-Unternehmen setzten verstärkt auf „Luxusmodernisierungen“, sagt Gottschalk.
Für die Vermieterseite hält LEG-Sprecher Jürgen Homeyer professionell dagegen. „Wir bauen keine Luxuswohnungen“, betont er. Allerdings gehöre ein Balkon heute zur „zeitgemäßen Wohnqualität“ einfach dazu. Interessanter ist aber, was Homeyer nicht kommunizieren will: „Zurzeit zahlen wir relativ wenige Zinsen, bekommen das Geld recht günstig“, sagt er zur Refinanzierung der LEG AG nur. Genaue Zahlen könne er leider nicht nennen – zu groß wäre wohl die Differenz zwischen gegen null tendierenden Finanzierungskosten und der Modernisierungsumlage von 11 Prozent.
Dringend gesenkt werden müsse die, findet nicht nur Mieterbund-Geschäftsführerin Gottschalk. Auf Bundesebene hat SPD-Justizminister Heiko Maas eine Mietrechtsnovelle ausarbeiten lassen, die eine Reduzierung der Modernisierungsumlage auf 8 Prozent vorsah – schließlich stammt die aus den Hochzinszeiten der siebziger Jahre. Außerdem sollten die Mietspiegel die Mietentwicklung der vergangenen acht Jahre betrachten statt wie bisher der vergangenen vier. Gerade in Großstädten sollten Mietpreisexplosionen so abgedämpft werden, hoffte Maas. Außerdem wollte er die Mietpreisbremse nachschärfen: Vermieter sollten gezwungen sein, neuen Mietern den bisherigen Mietpreis zu nennen und so Überschreitungen der ortsüblichen Vergleichsmiete von mehr als 10 Prozent zu erschweren.
Allerdings: Der Vorstoß scheiterte am Widerstand von CDU und CSU – die Novelle des Ministers hängt im Kanzleramt fest. „Ohne die Vorbehalte der Union hätte längst eine Kabinettsbefassung stattfinden können“, sagt eine Sprecherin von Maas. Doch auf der Bremse stehen die Christdemokraten nicht nur im Bund. In Nordrhein-Westfalen hat die seit Juni regierende schwarz-gelbe Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag verkündet, die Rechte von MieterInnen massiv einschränken zu wollen: „Das Bundesrecht enthält bereits einen weit reichenden Mieterschutz. Darüber hinausgehende landeseigene Regelungen sind daher nicht erforderlich“, heißt es darin.
Die Kappungsgrenzen, nach der Vermieter auch preiswerte Mieten weit unterhalb des ortsüblichen Niveaus innerhalb von drei Jahren nur um maximal 20 Prozent erhöhen dürfen, soll wegfallen. Bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen soll auch in Städten mit extrem angespanntem Wohnungsmarkt wie Münster, Bonn und Köln nur noch eine Kündigungssperrfrist von drei statt acht Jahren gelten.
Die Zweckentfremdungsverordnung, die bisher die Umwandlung von Wohnraum etwa in Arztpraxen oder Anwaltskanzleien verhindert, soll ebenfalls verschwinden. „Alles, was wir zum Schutz der Mieter auf den Weg gebracht haben, wird wegrasiert“, meint SPD-Landtagsfraktionsvize Sarah Philipp. „Katastrophal“ sei besonders die Position der FDP: „Die glauben wirklich, der Markt regelt alles“, findet die Sozialdemokratin. „Der Koalitionsvertrag liest sich so, als sei er von der Eigentümerorganisation Haus und Grund geschrieben worden“, sagt auch der grüne Landtagsfraktionschef Arndt Klocke: „Die Festlegungen im Koalitionsvertrag sind ideologisch motiviert, soziale Fragen interessieren nicht.“
Hoffen auf die Bundespolitik
Auch von der Mietpreisbremse halten CDU und FDP nichts. „Sie hat nicht die Mieten gebremst, sondern private Investitionen in den Wohnungsbau“, verkünden beide Parteien in ihrem Koalitionsvertrag. In NRW soll deshalb auch die „Mietbegrenzungsverordnung“ verschwinden. Dass solche Sprüche im Wahlkampf schlecht ankommen, hat zumindest Regierungschef Armin Laschet begriffen: „Die Mietpreisbremse wollen wir nicht abschaffen“, verkündete er Ende August überraschend in der ARD-Talkshow „Anne Will“. Sein Regierungssprecher, Christian Wiermer, musste prompt zurückrudern: „Der Koalitionsvertrag gilt.“
Auf die Bundespolitik hoffen auch die Dortmunder MieterInnen der LEG. Zu einer Protestkundgebung waren VertreterInnen von CDU, SPD, Grünen und Linken eingeladen – der CDU-Abgeordnete Thorsten Hoffmann hat bereits Gespräche mit der LEG geführt. „Mitgebracht hat er aber nur die Zusage, dass die Mieten nicht noch mehr steigen sollen als bereits angekündigt“, sagt Lehrerin Twittmann enttäuscht. „Das hilft uns auch nicht weiter.“
Der grüne Bundesparlamentarier Markus Kurth versucht dagegen erst gar nicht, falsche Hoffnungen zu wecken: Natürlich sei die Modernisierungsumlage für Unternehmen wie die LEG eine „Lizenz zum Gelddrucken“, sagt er – und wirbt für die von seiner Partei geforderte Deckelung der Umlage auf Höhe der eingesparten Energiekosten. Allerdings: Das „riesige börsennotierte Unternehmen“ LEG sei gerade für einzelne Abgeordnete „politisch schwierig zu erreichen. Ich mache mir da überhaupt keine Illusionen“, warnt der grüne MdB. „Ich verstehe überhaupt nicht, wie ein Unternehmen wie die LEG überhaupt privatisiert werden konnte“, sagt deshalb Mieterin Christine Twittmann: „Manchmal beginne ich, an unserer Demokratie zu zweifeln.“
Lesen Sie hier einen Beitrag über die aktuelle Mitpreisentwicklung in deutschen Großstädten.
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