Wohnungsmarkt in Berlin: Die Angst vor Verdrängung wächst
Die Methode Eigenbedarf: MieterInnen der Hausgemeinschaft Voigtstraße 36 in Friedrichshain wehren sich. Und es gibt weitere Betroffene.
Doch nachdem er die langjährigen MieterInnen in einem Kündigungsschreiben aufforderte, die Wohnung bis zum 30. Oktober zu verlassen, weckte er den Widerstandsgeist der BewohnerInnen. Sie informierten die Nachbarschaft und kündigten parallel zum angekündigten Besuch des Wohnungsbesitzers eine Kundgebung an.
Fast 200 Menschen aus der Nachbarschaft versammelten sich am Mittwochnachmittag bei frühlingshaften Temperaturen vor dem Haus. Eine Bühne war aufgebaut, mehrere Bands spielten, und verschiedene MieterInneninitiativen hielten kurze Redebeiträge. Eine Stimmung wie bei einem Straßenfest.
Als der Wohnungseigentümer pünktlich um 17 Uhr mit Polizeischutz das Haus betrat, gab es laute Buhrufe. Als er es rund 10 Minuten später wieder verließ, war der Unmut sogar noch lauter zu hören. „Er hat das Recht, die Wohnung zu betreten, aber kein Recht, sich hier wohlzufühlen. Das wollten wir ihm heute deutlich machen“, erklärte ein Mieter gegenüber der taz.
Die V36, wie das Haus genannt wird, gehörte zu den vielen im Jahr 1990 besetzten Gebäude in Friedrichshain, wurde aber schnell legalisiert und machte seither wenig Schlagzeilen. Seit Jahren sind die Wohnungen in dem Haus an verschiedene Eigentümer verkauft worden.
Doch viele BewohnerInnen befürchten nun, dass diese Eigenbedarfskündigung erst der Anfang der Verdrängung ist. Schließlich hat die Aufwertung in der Gegend zugenommen, nachdem vor einigen Monaten in der Rigaer Straße 71–73 in unmittelbarer Nähe der V36 ein von der Immobilienfirma GG-Gruppe errichtetes Gebäude mit hochpreisigen Wohnungen bezogen wurde.
Solidarische Nachbarschaft
Seitdem wächst die Angst vor Verdrängung im Kiez. Einige NachbarInnen beteiligten sich auch an der Kundgebung und informierten über die Situation in ihren Häusern. So berichtete eine Mieterin der Rigaer Straße 66, dass in ihrem Haus MieterInnen mit hohen Abfindungen zum Auszug gedrängt worden seien. Mehrere BewohnerInnen hätten sich bereits darauf eingelassen und ihre Wohnungen verlassen.
Für sie komme das aber nicht infrage, weil sie auf ihre Wohnung mit einer relativ günstiger Miete angewiesen sei und zudem den Stadtteil nicht verlassen wolle, bekräftige die Mieterin. Daher wolle sie sich wehren und suche Unterstützung. Da es in ihrem Haus bisher nicht gelungen sei, solidarische Strukturen aufzubauen, freue sie sich, dass es in der Nachbarschaft besser läuft, erklärte die ältere Frau der taz.
Bereits am vergangenen Sonntag hatten BewohnerInnen des Kiezes unter dem Motto „Solidarisch aus der Krise“ einen Nachbarschaftsmarkt am Schleidenplatz angemeldet. Auch dort war eine solidarische Nachbarschaft das Ziel.
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