Wohnungslose am Bremer Hauptbahnhof: Umzug der Unsichtbaren
Auf einer Brache nahe des Hauptbahnhofs leben Obdachlose. Eigentlich, denn nun hat sie die Bahn als Eigentümerin des Geländes von dort vertrieben.
Hier hielten sich seit einiger Zeit „Unbefugte“ auf, so eine Bahnsprecherin. „Aufgrund der unmittelbaren Nähe der Gleise und des Zugverkehrs ist der Aufenthalt dort mit Lebensgefahr verbunden und daher verboten.“ Außerdem gebe es Beschwerden von Anwohner:innen. „Die DB ist seit Wochen in Kontakt mit Bundes- und Landespolizei und unterschiedlichen sozialen Institutionen, die den Betroffenen auch Hilfsangebote gemacht haben.“ So seien Streetworker im Einsatz gewesen, auch die Innere Mission sei involviert gewesen.
Ende April seien die Menschen durch Polizist:innen vor Ort angesprochen und gebeten worden, das Gelände zu verlassen, erklärt die Sprecherin weiter. „Zur Aufklärung wurden Flyer auf Deutsch, Englisch und Rumänisch verteilt und eine Frist zur Räumung bis zum 8. Mai gegeben.“ Auf diesen Flyern sei auch umfassend auf Hilfsangebote hingewiesen worden. Um „weiteres unbefugtes Betreten“ in Zukunft zu verhindern, will die Bahn im Anschluss an die Räumung, so die Sprecherin, das Gelände durch einen Bauzaun absperren.
Dieser Bauzaun ist schon da, sagt Peter. Er wohnt seit einem knappen Jahr auf der Brache – ein „kleines Wäldchen“ nennt er sie – und möchte nicht weg. „Zwischen Gleisen und dem Zaun stehen zwei, drei Hütten, da könnte ich mich platzieren.“ Natürlich mit Sicherheitsabstand zu den Schienen. Über diesen Kompromiss sei er mit dem Verantwortlichen der Bahn im Gespräch. „Dann wäre das Problem gelöst.“ Ob das klappt und was morgen passiert, bleibt ein „Rätselraten“.
Sprecherin der Deutschen Bahn
Alle anderen Bewohner:innen seien schon gegangen, erzählt Peter weiter. „Manche haben eine Wohnung bekommen, manche sind in Übernachtungseinrichtungen.“ Andere wiederum seien bereits in den letzten Monaten nach Rumänien zurückgekehrt, weil dort ein lukrativer Job gewunken hätte. Zurückkommen können sie nicht – wegen des Coronavirus sind die Grenzen dicht.
Peter selbst wurde auch eine Wohnung im Herdentorsteinweg angeboten. „Die ersten zwei Wochen umsonst, dann mit Eigenbeteiligung.“ Aufgrund einer schlechten Erfahrung mit einer ähnlichen Unterbringung vor fünf Jahren wolle er sich nicht darauf einlassen, sagt er. Schon jetzt könne er von Hartz IV kaum leben. Außerdem dürfe er seine Katze nicht mitnehmen. Peter akzeptiert die Entscheidungsmacht der Bahn, aber für ihn ist die Situation „schlimm“.
Nils Matthiesen, Sprecher der Bremer Polizei, bestätigt das von der Bahn beschriebene Vorgehen. „Es gab Beschwerden von Anwohnern, dass dort vermehrt Ratten sind und Müll rumliegt.“ Bei dem Besuch Ende April, bei dem nur „eine Handvoll Menschen vor Ort“ waren, habe sich dieses Bild bestätigt. Flyer seien verteilt worden, alternative Unterbringungsmöglichkeiten angeboten.
Matthiesen sieht keine Komplikationen bei dem Vorgehen. Ähnlich wie bei der Räumung im letzten Jahr nur wenige hundert Meter weiter – damals wurde die Brache neben dem Querlenker-Wagenplatz geräumt – laufe alles geordnet ab.
Die Mitarbeitenden der Wohnungslosenhilfe der Inneren Mission sind coronabedingt „sehr durch ihre Aufgaben in Beschlag genommen“, sagte eine Sprecherin. Wie viele Menschen die Hilfsangebote angenommen haben, war daher bis Redaktionsschluss nicht zu klären. Die Polizei, so Matthiesen, erhalte darüber keine Auskunft.
Schätzungen zufolge gibt es in Bremen rund 500 wohnungslose Menschen, davon sind die Hälfte EU-Bürger:innen, überwiegend aus Rumänien, Bulgarien und Polen. Genau weiß das aber niemand, es gibt keine Statistik.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern