Wohnungen für Flüchtlinge: WG verzweifelt gesucht
Die Hilfsbereitschaft der Deutschen ist groß. Doch der syrische Flüchtling Bani Almhamid sucht keine Hilfe, sondern nur ein Zimmer.
Wieder steht er jetzt vor einer Haustür, so grau, dass sie im Grau der Fassade beinahe verschwindet. Schnell hat er die Umgebung gecheckt, weil die Blicke bei der 46. Besichtigung mehr Routine sind als echtes Interesse. Der Innenhof als möglicher Stellplatz für sein Fahrrad und Schutz vor Straßenlärm. „Am wichtigsten ist Ruhe“, sagt Bani Almhamid. „In einem Zuhause muss es ruhig sein, man muss gut schlafen können.“ Und sein Mund lächelt. An einem seiner Vorderzähne fehlt ein Stück.
Längst weiß er, dass er als Erstes nach der Höhe der Miete fragen muss, weil ihm das Jobcenter maximal 400 Euro zahlt. Ob eine Bürgschaft notwendig ist, weil er diese natürlich nicht vorlegen kann. Und ob der Vermieter eventuell Probleme mit Flüchtlingen hat und sich querstellen könnte. Weil ihm auch das schon passiert ist, gerade als er glaubte, endlich eine neue Bleibe gefunden zu haben.
Die beiden Mädchen, die öffnen, haben diese glänzenden, mit pflegender Essenz besprühten Haare von 16-jährigen Privatschülerinnen in US-Serien und sehen auch aus, als würden sie gerne vieles richtig machen. Niemals zu lange feiern oder fernsehen, immer genau wissen, in welchem Raum das nächste Seminar stattfindet, Avocados essen. Keine Pippis, sondern Annikas. Welche, die der Sprechende Hut nach Hufflepuff schicken würde.
Ein Verschlag im Wohnheim
„Ich bin Bani“, sagt Bani Almhamid, der eher nach Gryffindor gehören würde, dann betritt er mit ausholenden forschen Schritten die Wohnung, und irgendwie ahnt man schon in diesem Moment, dass es nicht passt. Dass da Menschen mit dieser vagen Art der stets Umsorgten und Behüteten auf jemanden treffen, der Eltern und elf Geschwister seit vier Jahren nicht gesehen hat und jeden Tag mit ihrem Tod durch Assads Bomben rechnen muss.
Bani Almhamid ist 26 Jahre alt, syrischer Flüchtling, angehender Medizintechniker. Er kocht gerne, mag Fußball, Tischtennis und Fitness, und hält Nationalismus für schlecht und gefährlich. Er spricht Deutsch auf C2-, also Muttersprachenniveau, besitzt Aufenthaltstitel, Pass und sagt über Helene Fischer: „Sie sieht aus wie Gelatine.“
Bani Almhamid ist charmant, benutzt gerne das Wort „instrumentalisieren“ und geht manchmal ins Theater. Seit drei Monaten sucht er in Dortmund, das keinen besonders umkämpften Wohnungsmarkt hat, nach einem WG-Zimmer. Anderthalb Jahre hat er in einem Verschlag in einer Art Wohnheim gelebt, zurzeit schläft er bei einem Freund auf der Couch. Dass er das Studium vermutlich wiederholen muss, weil sein Bildungsabschluss hier nicht anerkannt wird, frustriert ihn schon. Doch er ist überzeugt, dass alles besser wird, wenn er erst einmal „ein schönes Dach hat“. Er will jetzt etwas Langfristiges, zusammen mit Deutschen.
Zum Glück mag er Bier
Aus der E-Mail einer WG
Noch ist Bani Almhamid eher ein Exot. In ein paar Jahren könnten viele der Flüchtlinge, die derzeit nach Deutschland kommen, auf WG- oder Wohnungssuche sein. Bei den Besichtigungen hat sich Bani Almhamid viele Fragen gefallen lassen müssen. Wie oft am Tag er bete. Ob er ein Problem mit Christen habe. Wie viel Alkohol er vertrage. Ob er eine Freundin habe und – Bani erinnert sich nur zu gut – ob es ein Problem wäre, wenn andere eine Freundin hätten. „Warum möchten die Leute so etwas wissen?“, fragt er. „Verrückt“ und „übertrieben“ sind die deutschen Worte, die ihm dazu einfallen.
Mittlerweile weiß Bani Almhamid, dass er dazu am besten sagt, dass er Fan von Borussia Dortmund ist und gerne Bier trinkt. „Die Deutschen finden es komisch, wenn man keinen Alkohol trinkt.“ Zum Glück mag er Bier und den BVB, insbesondere Marco Reus.
Leider trinken die beiden Annikas vor allem Wein. Und BVB-Fans sind sie auch nicht. Aber sie werfen stolz ein, dass sie noch „gar keinen Deutschen“ zur Besichtigung dahatten, dafür einen Türken und einen Spanier. Und einen Flüchtling? Nein, noch nicht. Bani Almhamid versucht es noch mit ein paar Anekdoten, während er sich nervös an seine Tasse Earl Grey klammert und auf YouTube ein Video mit der Zubereitung von Kusa Mahshi zeigt, seinem Lieblingsessen aus Syrien. Zwischen ihm und den Annikas funkt es nicht.
Bei den meisten Besichtigungen war das anders. Was ist schiefgegangen? Auf Nachfrage antworten die Beteiligten, wenn überhaupt, nur zögerlich und via Facebook, alle wollen anonym bleiben. „Bani hat unsere Erwartungen übertroffen“, schreibt zum Beispiel Alina. Er sei sympathisch gewesen, habe gut Deutsch gesprochen und „scheinbar kein Problem damit gehabt, dass hier offen miteinander umgegangen wird“. Dann habe es aber doch Bedenken gegeben in der WG wegen der Miete.
Dabei wird das Geld vom Jobcenter verlässlich überwiesen, sagt Antonia Kreul vom Flüchtlingsrat NRW. „Viele scheinen nicht zu wissen, wie die Sozialversorgung abläuft. Sie haben Angst, dass das Geld nicht kommt, wobei das bei jedem gewöhnlichen Job eher passieren kann.“ Doch es steckt noch mehr dahinter, vermutet sie. Der rechtsextrem motivierte Anschlag auf Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker ist noch nicht lange her, Kreul sagt: „Wer Flüchtlingen hilft, muss heutzutage ja mit allem rechnen.“ In Dortmund und Nordrhein-Westfalen seien die Menschen zudem noch nicht so weit. „Bani Almhamid ist eine Ausnahme, wenn er nach einem WG-Zimmer sucht. Das ist längst noch kein Alltag.“
Viele machen Rückzieher
Mit anderen Worten: Das Modell Flüchtling, der gar nicht so viel Hilfe, sondern eher gesellschaftliche Zuwendung braucht, ist noch nicht alt. Auch die Initiatoren des Berliner Projekts „Flüchtlinge Willkommen“, das Asylsuchende gezielt an Wohngemeinschaften vermittelt, haben die Erfahrung gemacht, dass sich viele unüberlegt auf ihrer Plattform anmelden und sich dann doch wieder zurückziehen.
In der Vierer-WG von Ben hat Bani Almhamid mehr als zwei Stunden verbracht, Bier getrunken und mit ihnen Fifa gespielte. „Bani gehörte zu unseren Favoriten“, räumt Ben auf Nachfrage ein. „Aber dann äußerte ein Mitbewohner Zweifel, ob das mit der fremden Kultur und seinen bisherigen niedrigeren Lebensstandards passen könne. Wir wollen einen selbständigen Mitbewohner und nicht Eltern spielen.“ So ist Bani Almhamid nun Mitglied in ihrer WhatsApp-Gruppe „Soccerhalle“, in der sie sich zum wöchentlichen Fußballspielen verabreden.
Eine WG-Anbieterin berichtet, Bani habe nicht den Eindruck gemacht, das Zimmer „um jeden Preis“ haben zu wollen. Sie lässt das über eine Freundin ausrichten. Eine andere WG findet, Bani habe zu hohe Ansprüche, weil er nicht in die Antifa-Wohnung mit Hitler-Konterfei im Klo ziehen wollte. „Ist es zu viel verlangt, dass ich mich in meiner Wohnung wohlfühlen möchte?“ fragt er mit diesem „o“ im „wohl“, das immer ein bisschen nach „u“ klingt. Bani Almhamid möchte keine Extreme mehr in seinem Leben, was er braucht, ist Neutralität, Ruhe, vielleicht sogar Langeweile.
Ist es „Heuchelei“?
Bani Almhamid lebt seit neun Jahren in Wohngemeinschaften. Den Deutschkurs, das Praktikum in einem Krankenhaus, Behördengänge – all das hat er selbst organisiert. Er sucht eigenständig über Onlineportale nach Wohnungen und nicht über Zuteilungssysteme oder Hilfsprogramme. Er will ein Mitbewohner sein, kein Flüchtling, der aufgenommen wird.
Stattdessen bekommt er Angebote, ihm „bei seinen Problemen“ zu helfen, wo er doch als größtes Problem seine Wohnungslosigkeit erachtet. Draußen, auf der Straße vor der grauen Tür, die sich chamäleonartig in die Hausfassade einfügt, fällt ihm noch ein Wort zu alldem ein. Er tippt etwas auf Arabisch in seine Übersetzungs-App. Die App lädt kurz, zeigt den Begriff „Heuchelei“, Bani Almhamid nickt grimmig.
Dann sieht er, dass Markus ihm geantwortet hat. Eine Woche später als versprochen. Ursprünglich hieß es, Bani könne die Wohnung „ziemlich sicher“ haben. Markus schreibt, er habe sich für einen anderen Bewerber entschieden. Bani Almhamid saugt die Buchstaben geradezu auf, die er da sieht. Es ist das erste Mal, dass er eine böse Antwort verfasst. Weil all seine Mühe umsonst zu sein scheint. Weil er das Gefühl nicht mehr loswird, dass ihn hier in Deutschland niemand wirklich will. „Die von Pegida geben das wenigstens zu“, sagt er dann noch. Und jetzt lacht nicht mal mehr sein Mund. Er zieht jetzt auch eine Wohnung für sich allein in Betracht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles