Wohnraum für Obdachlose in Hannover: Hausbesetzung als Selbsthilfe
Ein paar Wochen lebte die wohnungslose Carina Walter heimlich in einem leerstehenden Haus in Hannover. Dann kam die Polizei.
Walter ist, wie nach Schätzungen etwa 4.500 andere Menschen in Hannover, wohnungslos. In den vergangenen fünf Jahren sei sie immer wieder in Notunterkünften und zwischendurch auch mal in Wohnungen untergekommen, erzählt sie.
„Wohnungslosigkeit ist tief in meinem Leben verankert“, sagt Walter. Sie arbeite als Prostituierte, quasi selbstständig, erzählt sie. Den Job mache sie gerne, denn er gebe ihr finanzielle Unabhängigkeit. Wegen ihrer Lebensgeschichte benötige sie aber dringend ein Dach über dem Kopf. „Ich bin eingesperrt und verkauft worden, habe Dinge zu verarbeiten und eigentlich anderes zu tun, als von Tagestreff zu Tagestreff zu tingeln“, sagt sie. Wie auch andere Obdach- und Wohnungslose in Hannover greift sie nun zu unbürokratischen Methoden.
„Ich besetze Leerstand, weil ich nicht auf der Straße schlafen würde“, sagt Walter. „Wohnraum sollte nicht leer stehen. Das sagen auch viele Kunden, die ich habe.“ Mit der Hilfe linker Aktivist*innen drang sie heimlich in ein leeres Haus in der Schulenburger Landstraße 199 ein und kam dort unter.
Das von ihr für mehrere Wochen besetzte kleine Backsteinhaus ist nur eines von vierzehn Gebäuden, die seit Jahren zum Teil leer stehen. Beim Blick durch das Fenster lässt sich der verwahrloste Zustand erahnen. An den Wänden blättert die Tapete ab, in manchen Häusern stehen noch metallene Bettgestelle.
Die Häuser werden aktuell für die ordnungsrechtliche Unterbringung von obdachlosen Personen verwendet, sagt eine Pressesprecherin der Stadt gegenüber der taz. Weil die Gebäude aber sanierungsbedürftig sind, könnten derzeit nur drei Häuser verwendet werden, um Menschen unterzubringen.
Saniert wurde in den letzten Jahren allerdings wenig, erzählt einer der letzten Anwohner der Häuser, der anonym bleiben will. Nach und nach seien die Bewohner*innen verstorben oder ihnen sei gekündigt worden. Informationen über die Vorgänge hätten sie nie erhalten. „Von der neuen Nachbarin habe ich nichts mitbekommen, anders als bei der ersten Besetzung“, sagt er lachend. Linke Aktivist*innen hatten bereits im Winter 2020 im Rahmen der „Jetzt besetzen wir“-Kampagne kurzzeitig mehrere Gebäude des Areals besetzt.
Als die Aktion öffentlich wurde, rückte die Polizei mit einem Großaufgebot an und stürmte nach mehreren Stunden die Gebäude. Ein Großteil der Verfahren wegen Hausfriedensbruchs wurden mittlerweile eingestellt. Nur in einem Fall kam es zu einer Strafverfolgung.
Durch die Aktion damals sei sie auf die Immobilie aufmerksam geworden, erzählt Carina Walter. Mit der Hilfe von Aktivist*innen sei sie dann ins Innere gekommen. „Ein eigenes Haus, das war ultracool. Ich konnte einfach machen, was ich wollte“, sagt sie. Endlich habe sie Zeit für andere Dinge gehabt als die ständige Sorge um Wohnraum. Doch die heimliche Besetzung konnte sie nur ein paar Wochen lang aufrecht erhalten.
„Die sind direkt reingestürmt, auf die Ecke mit meinem Bett zu. Hätte ich da noch gelegen, ich wäre zu Tode erschrocken“, erinnert sich Walter an den Mittwochmorgen der vergangenen Woche. „Ich konnte von Glück reden, dass ich nicht angepackt wurde.“ Dem Ordnungsamt sei mitgeteilt worden, dass sich eine Person widerrechtlich im Gebäude aufhalte. Daraufhin sei ein Streifenwagen zur Amtshilfe gekommen, sagt ein Pressesprecher der Polizei Hannover der taz. Gegen Walter sei ein Platzverweis ausgesprochen und eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs erstattet worden.
Laut Stadtverwaltung wurde kein Strafantrag gestellt. Mit einer weiteren Strafverfolgung der Aktion ist wohl nicht zu rechnen. Die Sprecherin der Stadt verweist auf bestehende Angebote für Wohnungslose.
Zu weiteren Plänen in der Schulenburger Landstraße sagt die Stadt, die Gebäude würden dem Wohnungsunternehmen hanova übertragen und nach der Sanierung wieder durch die Stadt angemietet, um obdachlose Familien unterzubringen. „Sollten zum Zeitpunkt der Übergabe des Objektes an hanova noch Bewohner*innen dort untergebracht sein, werden diese anderweitige Plätze erhalten“, verspricht die Pressestelle der Stadt.
Carina Walter, Wohnungslose in Hannover
Dass die Stadtverwaltung in dieser Frage mehr als träge agiert, ist symptomatisch. Zahlreiche Projekte rund um das Thema Wohnungs- und Obdachlosigkeit wurden in den vergangenen Jahren in Hannover beschlossen. Bei einem Großteil ist jedoch nicht abzusehen, dass sie bald fertiggestellt oder eröffnet werden. Es wirkt eher so, als ob die Stadt einen Imageschaden verhindern will. Die größte Sorge der CDU scheint die Sichtbarkeit von Obdachlosigkeit in der Innenstadt zu sein.
Carina Walter will auch zukünftig nicht in eine der städtischen Notunterkünfte gehen. Dort gebe es aufgrund der beengten Verhältnisse immer wieder Streit. In die Schulenburger Landstraße würde sie dagegen dauerhaft einziehen: „Das sind niedliche Häuschen, etwas verschimmelt, aber ansonsten völlig in Ordnung und perfekt, um kleine Wohngemeinschaften zu machen.“
Nachdem sie nun wieder wohnungslos ist, stehen die alten Probleme abermals im Vordergrund: „Ich müsste unbedingt zum Zahnarzt. Das ist jetzt schlecht, wenn ich gar nicht weiß, ob ich es schaffe, den Termin wahrzunehmen.“ Die Lösung könnte für Walter eine Unterkunft in einem von einer Stiftung finanzierten Hotel sein. Im Angesicht der Coronapandemie schafft die Zivilgesellschaft schon lange Fakten, um Obdachlose und Wohnungslose in Hannover zu versorgen.
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