Wohnungen für Geflüchtete: „Keine Provisorien mehr“

Statt mehr Heime zu bauen sollte sich die Politik lieber um mehr Wohnraum für Geflüchtete kümmern, sagt die Nachbarschaftsinitiative Ratibor 14.

Kreuzberger Mischung: Demo der Ratibor 14 für die Sicherung ihres Standorts Foto: Christian Mang

taz: Frau Selders, Frau Hueck, Ihre Initiative kämpft gegen den Bau einer Modularen Unterkunft für Flüchtlinge (MUF) auf dem Gelände Ratiborstr. 14 in Kreuzberg. Und Sie kritisieren, dass der Senat das per Sonderbaurecht macht. Warum?

Beate Selders: Das Sonderbaurecht zwingt zum Bau von Gemeinschaftsunterkünften. Wir fordern dagegen den Bau von Sozialwohnungen für Geflüchtete. Außerdem ist das Sonderbaurecht 2016 in der akuten Notlage dafür geschaffen worden, möglichst schnell und mit Substandards zu bauen. Es gibt keine geregelte Bürgerbeteiligung, Umweltstandards werden unterlaufen, und um die Infrastruktur wie etwa Schulplätze im Kiez muss sich der Bauherr nicht kümmern. Staatssekretär Daniel Tietze sagte bei einer Bürgerversammlung, das bräuchte man nicht, die Flüchtlingskinder gingen ja schon irgendwo in die Schule. Das stimmt, viele Flüchtlingseltern müssen ihre Kinder durch die ganze Stadt zur Schule bringen, weil Heim und Schule so weit auseinanderliegen. Aber so kann Integration nicht funktionieren.

Es würde wohl niemand sagen, das ist ideal, aber es fehlt Wohnraum: Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) schätzt den Gesamtunterbringungsbedarf bis Ende 2021 auf knapp 38.000 Menschen. Sind da große Klötze, schnell gebaut, nicht besser als Obdachlosigkeit?

Regine Hueck: Auf den ersten Blick, ja. Auf den zweiten: Schon jetzt leben in den Flüchtlingsheimen rund 50 Prozent Menschen, deren Asylverfahren abgeschlossen ist, die aber keine Wohnung finden. Wenn es für sie Wohnungen gäbe, wären so viele Plätze in den Heimen frei, dass man alle Containerdörfer und Tempohomes schließen könnte.

Dann muss die Bausenatorin Katrin Lompscher mehr normale oder Sozialwohnungen bauen.

Selders: Ja, aber das kommt ja offensichtlich nur sehr schleppend voran. Wenn man uns belegen könnte, dass die MUFs wirklich nur eine kurze Zwischenlösung sind, weil absehbar Wohnraum entsteht, könnte man vielleicht ja dazu sagen. Sozialsenatorin Elke Breitenbach haben wir danach gefragt. Aber sie kann das natürlich nicht zusagen. Wie auch? Die Sozialpolitik kann nicht mal eben lösen, was die Wohnungsbaupolitik seit Jahren verbockt. Der Senat müsste unbedingt die Kontingente für Geflüchtete und andere Wohnungslose bei seinen Wohnungsbaugesellschaften erhöhen, und er müsste Wohnraum zurückgewinnen – Stichwort Leerstand. Frau Lompscher und Frau Breitenbach hatten dafür mal ein gutes Konzept entwickelt, als sie in der Opposition waren. Warum wird das nicht umgesetzt?

Und jetzt?

Hueck: Es ist zu befürchten, dass mit dem weiteren Bau von Unterkünften ein doppelter Standard eingeführt wird. Bei uns in der Ratiborstraße sollen zwar tatsächlich Wohnungen gebaut werden …

Das will der Senat Die Finanzverwaltung, genauer die von ihr beauftragte Berlinovo Grundstücksentwicklungs GmbH (BGG), plant für die Ratiborstraße eine Mobile Flüchtlingsunterkunft (MUF) für 250 Menschen nach Sonderbaurecht, also weitgehend ohne BürgerInnenbeteiligung. Baubeginn soll 2020 sein, Fertigstellung gut ein Jahr später.

Das will der Bezirk Der EinwohnerInnenantrag, den die BVV Friedrichshain-Kreuzberg am Mittwoch angenommen hat, ist von der Nachbarschaftsinitiative Ratibor 14 eingebracht worden. Sie fordert, dass der Bezirk sich das Bauverfahren vom Senat zurückholt, damit für das Areal Ratiborstraße, wo es Kleingewerbe, einen Wagenplatz, Kitaspielplatz und einen Biergarten gibt, ein „transparenter und kooperativer Prozess mit allen Beteiligten gewährleistet“ wird. Das Bezirksamt soll sich auch dafür einsetzen, dass der Senat seine Flüchtlingspolitik ändert: Statt neuer Gemeinschaftsunterkünfte sollen Sozialwohnungen mit einem festgelegten Kontingent für Geflüchtete gebaut werden. Das Amt soll auch Sorge dafür tragen, dass die etwa 140 Jahre alte Ulme auf dem Gelände als Naturdenkmal geschützt wird. (sum)

das sind die MUFs 2.0 mit abgeschlossenen Wohneinheiten statt wie bisher mit Gemeinschaftsküchen …

Hueck: … und das wird als großer Fortschritt gefeiert. Aber das ist Augenwischerei! Die Zimmer werden doppelt belegt nach LAF-Standard – 6 Quadratmeter pro Person. Es werden zum Beispiel in einer 3-Zimmer-Wohnung sechs Personen untergebracht – ohne Privatsphäre, ohne Mieterrechte. Man baut also Wohnungen und drückt die durch die Belegung auf den Standard einer Notunterkunft. Wenn ortsübliche Wohnungen wie Notunterkünfte belegt werden können, schafft das faktisch neue Zumutbarkeiten. Das ist sozialpolitisch echt problematisch. Später sollen diese Wohnungen ganz normal vermietet werden. Warum gibt man sie dann nicht gleich den Flüchtlingen als Mietwohnungen? Das ist obendrein eine unglaubliche Diskriminierung.

Selders: Dabei war Berlin mal Vorreiter in Sachen Wohnungsunterbringung von Geflüchteten. Das verändert sich gerade und wird durch diese MUF-Neubauten festgeschrieben. Denn die neuen Unterkünfte werden für die Vertragslaufzeit – in der Regel mindestens fünf Jahre – belegt werden.

Obwohl der Senat ja an diesem Vorrang der Wohnungsunterbringung festhält. Aber was kann er tun? Wir haben ja nicht einmal genug Wohnungen für die geschätzt 10.000 Wohnungslosen.

Hueck: Und es sollen, wenn es nach uns geht, mehr Flüchtlinge kommen. Wir wollen nicht, dass die Grenzen dicht sind. Und genau deshalb fordern wir Wohnungen statt weiterer Provisorien. Eine eigene Wohnung ist die Grundvoraussetzung, um anzukommen, einen Job zu suchen, sich einzubringen – Nachbar zu werden. Sonst bleibt man im Provisorium und stigmatisiert: Heimbewohner. Und das „never ending“. Es fehlen Wohnungen, keine Heime.

Sie haben ja eine „steile These“, warum der Senat das nicht macht. Sie sagen: Im Prinzip saniert der Senat seine Wohnungsbaugesellschaften mit dem MUF-Bauprogramm. Können Sie das erklären?

Selders: Ob das beabsichtigt ist, kann ich nicht sagen. Aber es fällt auf. Sämtliche Unterbringungskosten für Geflüchtete werden vom Bund erstattet. Nehmen wir an, es würden in der Ratibor Sozialwohnungen gebaut, dann wäre der Zeitraum, in dem sich der Bau refinanziert, etwa doppelt so lang.

Beate Selders, 62, ist freie Journalistin und Soziologin.

Regine Hueck, 62, ist ­Ver­käuferin. Beide sind aktiv in der Nachbarschaftinitiative Ra­tibor 14. www.nachbarschaftsini-ratiborstraße.de

Weil man weniger Menschen unterbringen könnte?

Selders: Nein, weil die Mieten bei Heimen einfach höher sind. Die Gemeinschaftsunterkunft fällt unter Gewerbe, also zahlt man Gewerbemieten. Dann sind wir bei 13,50 Euro kalt pro Quadratmeter – das ist das, was die BGG künftig in der Ratibor bekommen soll.

Woher haben Sie diese Zahl? Die Senatsverwaltung für Integration und Soziales will ja nicht sagen, wie viel sie den Wohnungsbaugesellschaften Miete zahlt, hieß es kürzlich in der Antwort auf eine Abgeordneten-Anfrage.

Die Zahl haben wir von Senatorin Breitenbach. Diese Mieten sind doppelt so hoch sind wie Mieten im sozialen Wohnungsbau. Dazu kommt bei der Ratibor noch der Nachlass auf den Kaufpreis.

Welcher Nachlass?

Hueck: Das Grundstück gehört noch dem Bund, also der Bima. Das Land kauft es. Der Nachlass auf Grundstücke für Flüchtlingsunterkünfte liegt seit Ende 2015 bei pauschal 500.000 Euro, für Sozialwohnungen sind es 25.000 Euro pro Wohnung. In der MUF sollen 51 Wohnungen entstehen. Würden sie als Sozialwohnungen gebaut, läge der Nachlass bei 1,27 Millionen. Das heißt, der Senat verzichtet auf über 700.000 Euro, weil er hier eine MUF bauen will. Bauherr wird die BGG, eine Tochter der Berlinovo. Die Berlinovo ist eine profitorientierte Wohnungsbaugesellschaft, die alte Bad Bank für die Immobilienfonds, die ja inzwischen unglaubliche Gewinne abwerfen – und es gibt bei der Berlinovo immer noch private Anteilseigner. Sie ist nicht zufällig ständig in den Schlagzeilen mit überteuerten Mieten für möblierte Appartements.

Und weil der Bund die Mieten für Flüchtlinge bezahlt, zahlt er der Berlinovo im Prinzip …

Hueck: … das Gebäude. Genau. Das muss man nicht verwerflich finden, wenn die Flüchtlinge gut darin leben könnten. Aber dadurch, dass es den Charakter einer Gemeinschaftsunterkunft hat, amortisiert es sich zulasten der Flüchtlinge schneller. Und das finden wir schlicht unmoralisch.

Selders: Noch zur Problematik der Substandards: Wohnungslose, die in Notunterkünften leben, haben Anspruch auf eine vom Jobcenter finanzierte Mietwohnung. Aber wenn man Heime baut statt Wohnungen, verstetigt man damit die Unterbringungssituation. Tatsächlich wird ja schon diskutiert, das Sonderbaurecht für Flüchtlinge auf Bauten für alle Wohnungslosen auszudehnen. Daran sieht man, wie groß die Gefahr ist, dass die Praxis der Substandards ausgedehnt wird. Wenn man noch weitergeht, kann man auch Menschen, die Mietschulden haben und beim Amt um Hilfe bitten, zumuten, Zimmer unterzuvermieten oder noch ein Bett in ihr Zimmer zu stellen.

Selders: In Finnland machen sie es umgekehrt: Da haben sie Notunterkünfte zu richtigen Wohnungen umgebaut und das Prinzip „Housing First“ eingeführt.

Das findet man in Berlin ja auch toll.

Hueck: Hier ist das aber nur ein sehr kleines Programm. Innerhalb von drei Jahren sollen 80 Wohnungen dafür bereitgestellt werden. Gleichzeitig baut man mit viel Geld Wohnungen, wie in der Ratibor, und macht sie zu Notunterkünften. Das ist völlig absurd.

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