Wohnmobile in der Pandemie: My Caravan is my Corona-Castle
Bereits vor der Pandemie boomte der Urlaub mit Wohnmobilen. Doch sicher und nachhaltig sind die fahrenden Häuschen nicht unbedingt.
taz | Die Osterglocken wachsen und mit ihnen die Lust zu reisen. Ein Häuschen auf vier Rädern – das liegt nicht erst seit Corona im Trend. Urlaube mit Reisemobilen und Wohnwagen werden immer beliebter: #vanlife. 2020 boomte die Branche besonders: Erstmalig wurden über 100.000 Freizeitfahrzeuge neu zugelassen. Reisemobile legten mit einer Steigerung von rund 45 Prozent besonders stark zu. Auch für 2021 erwartet der Caravaning Industrie Verband (CIVD) Rekorde.
„Die Pandemie hat den schon länger bestehenden Trend zum individuellen Reisen – statt Pauschal- oder Massentourismus – noch einmal verstärkt“, sagt Daniel Rätz vom CIVD. „Beim Caravaning verreist man selbstbestimmt und nur mit Personen des eigenen Hausstands.“ Zudem sei man durch eigene Koch-, Schlaf- und Sanitärmöglichkeiten weitestgehend autark – eine auch in Pandemiezeiten sichere und praktikable Urlaubsform, erklärt Rätz.
Doch während gerade die Coronavorzüge bestechend sind, hat diese Art zu reisen ihre Tücken für die eigene Sicherheit und die Sicherheit anderer sowie für Innenstädte und die Umwelt.
Bastian Kettner vom Verkehrsclub Deutschland sieht den Boom und den Trend zum Wohnmobil kritisch: „Wohnwagen müssen alle zwei Wochen umgestellt werden. Wohnmobile dagegen zählen als normales Fahrzeug und können überall geparkt werden, nehmen aber so viel Platz weg wie zwei bis drei Autos.“ Die Parkplatzproblematik werde somit verschärft: „Wohngebiete und Altstädte werden überfüllt.“ Es hake an der Regulierungsmöglichkeit der Kommunen: „Die Gesetzgebung ist veraltet. Sie ist für Wohnwagen, nicht -mobile ausgerichtet“ Es brauche neue Gesetze, fordert Kettner.
Die steigende Zahl sei auch ein Risiko für spielende Kinder: „Wohnmobile behindern die Sicht, das kann sehr gefährlich werden.“ Außerdem könnten parkende Fahrzeuge Erdgeschosswohnungen verschatten, was „nicht zu einem nachbarschaftlichen Miteinander“ führe. „Wohnmobile schränken Menschen ein, denen sie gar nicht gehören“, findet Kettner. Für ihn wirft das auch die Frage der „Flächengerechtigkeit“ auf: „Wenn der öffentliche Raum weiter zugeparkt wird, führt das zu einer Umverteilung zuungunsten von Fußgänger*innen und Fahrrädern.“
Das Fahren der Reisemobile selbst birgt ebenso Risiken. „Viele Modelle sind schon leer zu schwer“, schreibt der ADAC auf seiner Homepage: Mit einer realistischen Zuladung für eine „typische ADAC-Familie“ überschreiten sie die 3,5-Tonnen-Grenze, errechnete der Club. „Gerade für Inhaber der Führerscheinklasse B ist bei 3,5 Tonnen Schluss“, erklärt Martin Zöllner vom ADAC. Innerhalb dieser Grenze werde jedoch das Grundgewicht der Fahrzeuge durch Komfort- und Sicherheitsausstattung sowie Abgasregulierung immer höher, so dass weniger Zuladung zur Verfügung stehe.
Von diesem Problem seien mehr als 80 Prozent aller zugelassenen Wohnmobile betroffen, so Zöllner. Ist das Wohnmobil überladen, drohen Bußgelder; außerdem sind Fahrstabilität und Bremsweg negativ beeinflusst. Beim Kauf sollte deshalb auf eine aktuelle Wiegekarte und die Ladungsreserven geachtet werden, empfiehlt Zöllner. Vor Abfahrt lohne sich auch immer die Überprüfung auf einer Waage.
Fabian Bergk vom Institut für Energie- und Umweltforschung findet den Boom des Caravanings „zweischneidig“. Insgesamt seien durch Corona zwar Kreuzfahrten und Fernflüge weggefallen. Jedoch käme es so zu einem Rebound-Effekt. Er führte eine Studie zu „Klimabilanz von Reisen mit Reisemobilen und Caravans“ durch und verglich verschiedene Reisetypen. Wohnmobile schnitten im Vergleich zu Kreuzfahrten, Hotel- und Flugreisen gut bei der Klimabilanz ab. Caravaning sei zwar „nicht der Umweltbringer“, aber verglichen mit emissionsreichen Reisen besser, so Bergk. Die hohen Emissionen bei der Produktion und beim Fahren könnten durch geringe beim Übernachten und Wohnen in einigen Fällen kompensiert werden.
Camper Vans verbrauchen viel Sprit
Die Verlagerung sei aber nur kurzfristig positiv, kritisiert Bergk. Caravaning werde in Zukunft zunehmend schlechter abschneiden bei der Umweltbilanz: „Während Hotelübernachtungen immer grüner werden und auch die Pkws, mit denen man an- und abreist, werden die jetzt gekauften Wohnmobile ihre Bilanz nicht mehr verbessern, sondern mindestens die nächsten 15 Jahre rumfahren.“
Laut dem CIVD machen Kastenwagen inzwischen knapp die Hälfte aller neu zugelassenen Reisemobile aus. Sie werden doppelt genutzt: als Urlaubs- und Alltagswagen. Auch das sieht Bergk kritisch: Unter den Reisemobilen seien Kastenwägen zwar die effizienteste Form, „aber unsere Studie zeigt, dass sich ihre Emissionen nicht so sehr unterscheiden zu großen Modellen.“ Camper Vans hätten in der Stadt nichts zu suchen, findet Bergk: „Die verbrauchen viel Sprit und nehmen Platz weg.“
Das Caravaning umweltfreundlicher zu machen, sei schwierig. Bei der E-Mobilität sehe es „mau“ aus. Wohnmobile bräuchten große, schwere Batterien, für die kein Platz sei. Vielversprechender findet Bergk Konzepte, bei denen der Wohnwagen mit zusätzlicher Batterie und E-Motor ausgestattet ist und von einem E-Auto gezogen wird. Durch E-Mobilität könnte ähnlich wie bei Pkws ein CO2-Vorteil von 30 Prozent erreicht werden.
Möglichst umweltfreundlich gestalte sich das Reisen auf vier Rädern, wenn man in der Nähe Urlaub mache, rät Bergk. „Zentral für die Bilanz ist, wie weit, schnell und oft ich fahre, da sehr viel Sprit verbraucht wird.“ Außerdem, „wenn man das Fahrzeug nutzt, aber nicht besitzt“. So ist es stärker ausgelastet und die Emissionen der Herstellung verteilen sich. „Bei einem Urlaub in Südfrankreich ist es am besten, mit dem Zug nach Marseille zu fahren und sich dann ein Fahrzeug zu mieten und nicht die Strecke dorthin zu gurken“, erklärt er. Am umweltfreundlichsten seien jedoch Reisen mit der Bahn oder dem Fahrrad und einem Zelt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs