Wohlfahrtssprecher über Arbeitsmigranten: „Sie sollten ein Zuhause haben“
Mit einem speziellen Wohnangebot will Hamburg Arbeitsmigranten vor Verelendung schützen. Wohlfahrtssprecher Jens Stappenbeck erklärt die Idee.
taz: Herr Stappenbeck, Hamburg eröffnet gerade sein Winternotprogramm für Obdachlose. Ist das das richtige Angebot?
Jens Stappenbeck: Es ist erst mal ein wichtiges Angebot, weil es eben eine große Zahl von obdachlosen Menschen in Hamburg gibt, die gerade in der Winterzeit, wenn es bitterkalt wird, ein Dach über dem Kopf brauchen.
Aber die Menschen müssen dort tagsüber raus.
Das finde ich Unfug. Uns erschließt sich nicht, warum man diese Menschen am Tag auf die Straße setzt und sie nicht einfach in der Unterkunft bleiben. Das halten wir für nicht zielführend und kritisieren das Jahr für Jahr.
Verstehen Sie, warum Hamburgs Sozialbehörde darauf beharrt?
Es wird ins Feld geführt, dass saubergemacht werden muss. Und dass die Menschen in die Beratungsstellen gehen sollen. Sie sollen gefordert werden. Dazu sage ich, putzen kann man im Hotel ja auch, wenn die Gäste den ganzen Tag bleiben. Und auch Beratungsangebote ließen sich direkt in den Unterkünften selbst ausweiten. Vor allem, wenn man weiß, dass es teils recht große Unterkünfte mit 300, 400 Personen sind.
Die Größe ist ein weiterer Kritikpunkt?
Ja. Wir sehen natürlich die Wohnungsnot in dieser Stadt. Die Sozialbehörde bemüht sich durchaus, genug Unterkünfte zu schaffen. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, kleinere Einheiten zu schaffen.
Nun plant die Stadt eine Pension für arbeitssuchende Zugewanderte. Die Idee dafür kommt von Ihnen, also der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege?
Stimmt. Wir meinen, dass so eine Unterkunft notwendig ist und haben dazu vor einiger Zeit ein Papier verfasst. Wir haben hier Arbeitsmigration von Menschen aus EU-Ländern, für die muss es erst mal ein bezahlbares, befristetes Wohnangebot und Beratung geben. Denn haben diese Menschen kein Obdach, führt das schnell in die Verelendung.
Sind heutige Obdachlose ehemalige Arbeitsmigranten?
Sagen wir es mal so: Es gibt eine Korrelation.
Könnten die Menschen in der Pension tagsüber bleiben?
Das stellen wir uns so vor. Sie sollten also dort übergangsweise ein Zuhause haben. Das haben sie nur, wenn da auch jederzeit rein- und rausgehen können.
Sie sagen befristet. Wie lange denn?
64, ist Sozialwissenschaftler und seit 2013 Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (AGFW) in Hamburg.
Wir wollten das befristen, weil es dort nur ein Start sein kann. Es ist wichtig, dass die Menschen, die herkommen, um zu arbeiten, hier auch eine Wohnung finden und ein menschenwürdiges Leben führen können. Das große Problem ist die Wohnungsnot. Hamburg macht sich hier gerade auf den richtigen Weg und hat beschlossen, dass pro Jahr 1.000 neue Wohnungen mit Sozialbindung gebaut werden, die für 100 Jahre gilt. Das ist der richtige Schritt. Es dauert nur, bis die Wohnungen erstellt sind.
Wieso fordern Sie nur 40 Plätze für die Pension? So schrieb es das Obdachlosenmagazin Hinz & Kunzt.
Diese kleine Zahl ist ein pragmatischer Ansatz, um zu beginnen. Bei Bedarf sollte ein stetiger Ausbau erfolgen. Diese Pension soll ja nur eine Überbrückung sein, um die Menschen vor der Obdachlosigkeit zu bewahren. Unser Ziel ist nicht, eine Arbeitnehmerpension nach der anderen aufzubauen, sondern dass genug Wohnraum für alle Menschen zur Verfügung steht.
Aber was sagen Sie dazu, dass die Sozialbehörde mit noch weniger Plätzen plant? Ist diese Pension nur ein Tropfen auf den heißen Stein?
Na, auch das wäre immerhin ein Anfang, den man ausbauen kann.
Könnte es Unmut geben? Dass Obdachlose, die nicht zu dieser Gruppe gehören, sagen: Sie wollen auch in die Pension?
Das ist vorstellbar. Deshalb brauchen wir eben eine Wohnungspolitik, die dazu führt, dass wir diese Situation insgesamt in den Griff bekommen. Denn die Sozialwohnungen werden ja zurzeit von Jahr zu Jahr weniger und nicht mehr, weil die Bindungen auslaufen.
Gibt es kurzfristige Dinge, die Hamburg jetzt für Obdachlose verbessern kann?
Mit dezentralen Unterbringungsmöglichkeiten, zum Beispiel wie den Wohncontainern, die von Kirchengemeinden und Hochschulen betreut werden. Leider sind es in diesem Jahr nur 89 Plätze, weniger als früher, weil die ehrenamtlichen Kräfte, die wir dafür brauchen, fehlen. Unser Kontingent an Helfern ist mittlerweile erschöpft. Wir befinden uns ja seit einigen Jahren in einer permanenten Krisensituation, das ist auch hier zu spüren. Aber gern würden wir mehr Wohncontainer anbieten.
Was sagen Sie zur Vision, die Obdachlosigkeit bis 2030 abzuschaffen?
Toll. Nur im Moment bewegen wir uns in die entgegengesetzte Richtung. Das sagen auch die Zahlen. Die Diakonie schrieb gerade: Hamburg ist Hauptstadt der Wohnungslosen. Es sind laut Statistik 18.915 Menschen öffentlich untergebracht, weil sie keine Wohnung finden. Und laut einer Zählung von 2018 leben 2.000 Menschen direkt auf der Straße. Obdachlosigkeit wird aber auch immer sichtbarer in der Stadt. Nichtsdestotrotz müssen wir versuchen, das bis 2030 hinzubekommen. Gut ist, dass Hamburg – wenn auch nur mit 60 Plätzen – ein Housing-First-Projekt gestartet hat. Das ist ein Weg, Obdachlosigkeit zu minimieren.
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