Wochenrückblick mit Ampel und Queen: Mit Schirm, aber unbehütet
Armut, Insolvenzen – im Alltag kommen die Einschläge immer näher. Und während alle über Schirme reden, stirbt die Frau, die so lang den Hut aufhatte.
D ass uns die Woche am Ende unbehütet zurücklassen würde, war zu Wochenbeginn noch nicht absehbar – vielmehr ging es zunächst um Schirme: Nicht nur wegen der Wettervorhersage, die beharrlich jeweils für die nächsten Stunden Regen ankündigte, der dann bis Donnerstag auf sich warten ließ. Auch politisch war viel von Rettungsschirmen die Rede: Breit würden sie sein, versprach Wirtschaftsminister Robert Habeck den von explodierenden Rohstoffpreisen und Energiekosten geschwächten kleinen und mittleren Unternehmen.
Anschließend ergingen sich alle in rechthaberischen Diskussionen darüber, ab wann ein Unternehmen denn nun tatsächlich insolvent sei und inwiefern sich das von einer Saison- beziehungsweise temporären Flaute unterscheide. Und ob Habeck nun einfach keine Ahnung von Wirtschaft habe (so der CDU-Chef und überaus erfolgreiche Finanzlobbyist Friedrich Merz) oder ob seine Aussagen doch in der Sache gar nicht so falsch seien (so der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo, Clemens Fuest).
Ich bin jedenfalls auch für staatliche Hilfen, ob man sie nun Schirme nennt oder Pakete, denn die Einschläge kommen näher: Der kleine Weinladen in meinem Haus und die Bar in meiner Straße haben neuerdings nur noch eingeschränkte Öffnungszeiten – Personalkosten zu hoch, zu wenig Umsatz. Der Inhaber rennt jetzt zwischen seinen beiden Lokalen hin und her, aber es kommt eh kaum noch wer. „Die Leute halten alles zusammen für den Winter“, so seine Klage.
Und es stimmt: Als wir uns mit den Kindern am Wochenende einen schönen Abend machen wollten, saßen wir in einem fast leeren Kino, eine gruselige Erfahrung an einem Samstagabend mitten in der Berliner City. Danach waren wir in einem Lokal mit wenig Gästen. Der Biergarten in unserem Viertel, sonst immer gut gefüllt: fast leer, und das bei angenehmen Spätsommertemperaturen. Dafür waren im Discounter die Kisten mit dem billigsten Bier leer. Leer war auch das Klopapierregal. „Ist es schon wieder so weit?“, rutschte mir laut heraus. Panikkäufe, bestätigte die Verkäuferin: Der Traditionsklopapierhersteller Hakle hat wegen gestiegener Herstellungskosten Insolvenz angemeldet.
Um eine Hutträgerin ärmer
Auf dem Weg zum Elternabend passierte mir dann etwas, das mir noch immer im Magen liegt: Eine ältere, sorgfältig gekleidete Dame sprach mich an. Sie sei Italienerin, habe 48 Jahre lang in der Küche eines Restaurants gearbeitet, jetzt reiche die Rente nicht zum Essen. Nun hatte ich zwar einen Schirm in der Tasche, aber keinen Cent Bargeld, seit Corona habe ich mir das irgendwie abgewöhnt.
Auch beim Elternabend ging es ungewöhnlich viel ums Geld: Um einen freiwillig erhöhten Solibeitrag für die Klassenfahrt, ein unsichtbarer Rettungsschirm sozusagen für Eltern, die sich die Fahrt nicht leisten können. Und ums Taschengeld: Pro Kind nicht mehr als 10 Euro mitgeben, damit die mit wenig Geld nicht blöd dastehen. Umverteilung und Nivellierung im Kleinen, und zwar ohne endlos zu diskutieren, ob Familie A nun wirklich arm ist oder ob Mutter B nicht doch eher Hilfe vom Jobcenter braucht – ein kleiner, aber doch ermutigender Beitrag in einer von Definitionshubereien (Habeck) und unappetitlichen Aufwiegelungsversuchen (Wagenknechts Bundestagsrede und die neue AfD-Kampagne) geprägten Woche.
War es übrigens ein Omen, dass ich auf dem Rückweg vom Elternabend am Geschäft einer bekannten britischen Hutmacherin vorbeifuhr? Seit Donnerstagabend ist die Welt um eine prominente und würdevolle Hutträgerin ärmer. Sicher: Die Hüte der Queen waren nie so breit, dass sich darunter die working class des Landes geschützt fühlen konnte. Ihre Krempen, egal wie ausladend, verhinderten auch nicht das Abdriften der britischen Inseln vom EU-Festland.
Und wie lang sich die Schotten noch unter dem Deckel halten lassen, war zuletzt schon fraglich. Aber ihre vielen fantasievollen Kopfbedeckungen signalisierten, dass da eine wenigstens symbolisch den Hut aufhat. Einfach den Kopf darunter austauschen, wird nicht funktionieren: Schirme können alle tragen, Hüte stehen nicht jedem.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Abschluss G20-Gipfel in Brasilien
Der Westen hat nicht mehr so viel zu melden
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften