Prekäre Arbeitsbedingungen an Unis: „Karriere oft wie eine Black Box“
Der Wissenschaftsrat fordert attraktivere Arbeitsbedingungen neben der Professur. Deutlich werden die Expert:innen zum Thema befristete Verträge.
Die intransparenten Karrierewege sind – neben den hohen Befristungsquoten – ein zentraler Kritikpunkt am Arbeitgeber Hochschule. Eine Ursache für die teils prekären Arbeitsbedingungen ist das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG).
Das Sonderbefristungsrecht erlaubt den Unis, Forscher:innen insgesamt für zwölf Jahre befristet anzustellen. Begründet wird das damit, dass sich Nachwuchswissenschaftler:innen in der Zeit für spätere Stellen qualifizieren. In der Praxis werden Verträge oft aber befristet, obwohl dieser Bezug fehlt und Personen bereits Daueraufgaben übernehmen. Die Bildungsgewerkschaft GEW fordert deshalb, das Sonderbefristungsrecht wieder aufzuheben.
So weit geht der Wissenschaftsrat nicht. Er schlägt stattdessen eine „weitreichende Transformation wissenschaftlicher Personalstrukturen“ vor. Zentral dafür sind vor allem die flächendeckende Schaffung neuer Stellenkategorien mit klar definierten Anforderungsprofilen neben der Professur, wie sie einzelne Unis etwa mit „Reseacher“ und „Lecturer“ bereits haben. Departement-Strukturen, die vom hierarchischen Lehrstuhlprinzip abweichen, sind aus Sicht des Gremiums dafür hilfreich.
Befristung soll Ausnahme sein
Birgit Spinath, als Vorsitzende des Ausschusses Tertiäre Bildung federführend an dem Positionspapier beteiligt, macht deutlich, dass es aber auch mehr Dauerstellen brauche: „Befristete Verträge sollen künftig die Ausnahme sein und vor allem für Qualifizierungs- und Projektstellen gelten“, so Spinath. Gleichzeitig sollten Nachwuchswissenschaftler:innen früher als bislang, spätestens zwei bis drei Jahren nach der Promotion, Klarheit über den Verbleib in der Wissenschaft erhalten.
Die Frage, wann genau die Unis diese Klarheit geben müssen, ist eine der ungelösten Streitfragen in der Debatte um bessere Arbeitsbedingungen. Die Ampelregierung konnte sich zuletzt nicht auf einen Zeitpunkt für eine mögliche Anschlusszusage für Forscher:innen einigen, die versprochene Reform des WissZeitVG scheiterte.
Die SPD teilte auf Anfrage der taz mit, dass dieser Punkt für sie weiterhin zentral ist. Das Gesetz müsse für „verlässliche Perspektiven während der Promotion und für dauerhafte Anschlussbeschäftigung nach der PostDoc-Phase sorgen“, sagte der forschungspolitische Sprecher der Fraktion im Bundestag Oliver Kaczmarek.
Welche Punkte der Union wichtig sind, ließ die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Ronja Kemmer auf Anfrage offen: Derzeit fänden dazu noch keine parlamentarischen Beratungen statt. Im Koalitionsvertrag versprechen Union und SPD aber eine Novelle bis „Mitte 2026“ sowie eine „Mittelbau-Strategie“ für bessere Arbeitsbedingungen neben der Professur.
Länder nur bedingt zuständig
Dass es nun auf die GroKo ankommt, macht ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von vergangener Woche deutlich. Darin hatte Karlsruhe den Ländern die Kompetenz abgesprochen, konkrete Vorgaben zur Entfristung wissenschaftlicher Mitarbeiter:innen zu machen.
Ayşe Asar, forschungspolitische Sprecherin der Grünenfraktion im Bundestag nimmt deshalb die Bundesregierung in die Pflicht: „Wir erwarten, dass die im Koalitionsvertrag angekündigte Mittelbaustrategie jetzt zügig vorgelegt wird“, sagte Asar. „Die Bundesregierung müsse jetzt Nägel mit Köpfen machen, um die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft nachhaltig zu verbessern und den Empfehlungen des Wissenschaftsrates gerecht zu werden.
„Der Ball liegt jetzt beim Bund“, sagte GEW-Vorstand Andreas Keller. Die Empfehlungen des Wissenschaftsrats begrüßt Keller. Aber er vermisst unter anderem die klare Empfehlung, alle Wissenschaftler:innen mit Erreichen der Promotion zu entfristen: „Wir brauchen Dauerstellen für Postdocs!“
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