Wissenschaft und Politik: Ruf nach nationalen Expertenpanels
Was bedeuten die Krisenzeiten für wissenschaftliche Politikberatung? Forschungsvertreter haben darüber diskutiert – im Bundestag.

Welche Schlüsse zieht die Politik daraus? Forschung zum Klimawandel bei der Mission Mission MOSAiC 2019 Foto: Esther Horvath/Zuma Press/imago
BERLIN taz | Um Ratschläge an die Politik ist die Wissenschaft generell nicht verlegen. Das Ausmaß der Expertengremien ist immens; die praktische Nutzung ihrer Expertisen dagegen vergleichsweise gering. Wie sich wissenschaftliche Politikberatung verbessern ließe, war am Mittwoch Thema eines öffentlichen Fachgesprächs im Forschungsausschuss des Deutschen Bundestages. Gehört wurden der Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten deutschen Forschungsorganisation, Otmar Wiestler, und der Generalsekretär des Wissenschaftsrates, Thomas May.
Einig waren sich beide Seiten, dass die aktuellen Krisenlagen einen intensiveren Austausch zwischen Wissenschaft und Politik nötig machen. „Schon mit der Covid-19-Pandemie haben wir eine Krise erlebt, die sowohl eine globale als auch eine systemische Krise ist – mit enormen Auswirkungen auf viele verschiedene Teilsysteme unserer Gesellschaft“, stellte May fest. Dies verlange auch auf anderen Feldern wie etwa dem Klimawandel nach mehr systemarer Analyse und langfristiger Handlungsorientierung. Leider sei es zurzeit aber so, dass nach Wahrnehmung des Wissenschaftsrates sich die Ansätze zur Krisenlösung im politischen Bereich in erster Linie „auf Fragen der Finanzierung und der Finanzierungszuständigkeit“ reduzierten. Das sei den Herausforderungen nicht angemessen.
Helmholtz-Chef Wiestler konnte der Coronakrise das Positivum abgewinnen, dass hier ein dauerhafter Expertenrat eingerichtet wurde, der die Bundesregierung in allen Aspekten der Pandemiebewältigung kontinuierlich begleitete. „Aber die grundlegende Debatte über die Zukunft des Gesundheitssystems in Deutschland steht uns erst noch bevor“, wandte Wiestler ein. Das Gleiche gelte für die Riesenbaustelle der Energieversorgung, bei der aktuell noch die Auswirkungen von Putins Ukrainekrieg zu schultern sind. Klima, Mobilität und digitale Transformation seien weitere Problemlagen.
Wiestlers Vorschlag war, für diese Megathemen „nationale Expertenpanels“ einzuberufen, die mit den besten Wissenschaftlern der jeweiligen Fachgebiete zu besetzen wären. Herauskommen müsste beispielsweise ein „nationaler Energieplan“ zur langfristigen Entwicklung von Forschung und Infrastruktur, wie ihn etwa der US-Bundesstaat Kalifornien besitze. Als der amerikanische Physik-Nobelpreisträger Steven Chu im September Gast bei der Helmholtz-Jahrestagung war, habe er sich gewundert, dass Deutschland noch längst nicht über eine solche Energiestrategie verfüge, berichtete Wiestler.
Womöglich kommen die nationalen Expertenpanels auf einem Umweg zum Einsatz. Die Grünen-Abgeordnete Anna Christmann machte in der Ausschusssitzung den Vorschlag, für die sechs Forschungsmissionen der „Zukunftsstrategie“ der Bundesregierung solche Gremien einzuberufen. „Beratung und Entscheidungsvorbereitung könnten damit enger zusammen gebracht werden“, meinte Christmann.
Zwei „Fliegen“ der Politikberatung könnten so elegant mit einer Klappe geschlagen werden.
Leser*innenkommentare
fly
Expertenpanels? Warum nicht. Schaden können die nicht.
Allerdings verwundert es nicht, dass der Helmholtzchef mehr Berücksichtung fordert.
Hat man dem US Wissenschaftler gesagt, wie groß die Regierungsverwaltung ist? Ein Expertenpanel sollte (man wird ja noch träumen dürfen) zu einer Verkleinerung der Verwaltung führen.
PS Und natürlich sind Fragen zu Finanzierung angemessen. Wie kann man das in Frage stellen?
WeisNich
Ich wundere mich auch. Aber nationale Experten allein, in einem Land, in dem sich alle Experten irgendwie kennen und voneinander abhängig sind, find ich ein bissel eng. Da kann man schon mal von außen drauf gucken lassen.
Bei Gesundheit gibt es eine Konkurrenz der Konzerne. Bei Energie, Auto oder Chemieindustrie gibt es zuviele Absprachen untereinander.