Wirtschaftsweiser zur Konjunktur: „Die Unsicherheit ist hoch“
Der Wirtschaftsweise Achim Truger berät die Bundesregierung. Er plädiert für eine Obergrenze für kreditfinanzierte Investitionen.
taz: Herr Truger, die Wirtschaftsweisen haben ihre Wachstumsannahme für dieses Jahr reduziert, für 2022 aber auf 4,6 Prozent erhöht. Lassen sich angesichts des Durcheinanders der Coronakrise verlässliche Prognosen abgeben?
Achim Truger: Konjunkturprognosen sind nie genau. Das können sie auch nicht sein. Trotzdem lagen wir in jüngster Zeit mit unseren Annahmen ziemlich gut. Doch jetzt ist die Unsicherheit natürlich besonders hoch. Es ist schwer zu sagen, wie sich beispielsweise die Probleme in den Lieferketten weiterentwickeln oder zu welchen Einschränkungen wegen der Pandemie es noch mal kommt.
52, ist Mitglied im Sachverständigenrat für Wirtschaft – bei den sogenannten Wirtschaftsweisen, die die Bundesregierung beraten. Als Professor für Sozioökonomie unterrichtet er an der Universität Duisburg-Essen mit dem Schwerpunkt Staatsfinanzen.
Die kommende Bundesregierung hat ein Finanzproblem: Ihre Vorhaben erfordern Dutzende Milliarden Euro jährlich zusätzlich, doch SPD, Grüne und FDP können sich offenbar nicht auf die Art der Geldbeschaffung einigen. Was empfiehlt der Sachverständigenrat?
Der Rat ist in dieser Frage gespalten. Deshalb haben wir die neue Rubrik „Zur Diskussion gestellt“ in das Gutachten aufgenommen. Monika Schnitzer und ich halten es für plausibel, dass tatsächlich ein großer staatlicher Investitionsbedarf etwa für die Transformation der Energiewirtschaft und Infrastruktur besteht.
Dagegen haben Veronika Grimm und Volker Wieland eher Zweifel, was die nötige Dimension betrifft. Frau Schnitzer und ich haben dann überlegt, wie man große Volumen mobilisieren kann. Wir meinen, dass Kreditfinanzierung dabei eine Rolle spielen und man die Spielräume der Schuldenbremse ausloten sollte. Frau Grimm und Herr Wieland sind da sehr viel konservativer.
Sie wollen beispielsweise öffentlichen Unternehmen und Gesellschaften erlauben, mehr Schulden aufzunehmen. Entstehen dadurch nicht unkontrollierbare Schattenhaushalte?
Wir haben solche Unternehmen ja bereits, zum Beispiel die Deutsche Bahn. Und wenn neue Investitionsgesellschaften gegründet würden, sollte man im Einrichtungsgesetz genau beschreiben, wie die parlamentarische Kontrolle funktioniert
Sollte staatliche Finanzpolitik nicht eher in Parlamenten beschlossen werden anstatt in Vorständen und Aufsichtsräten, auf die die Politik nur wenig Zugriff hat?
Ja, das stimmt. Aber wir müssen auch sehen, dass die Schuldenbremse im Grundgesetz den entsprechenden Handlungspielraum der staatlichen Fiskalpolitik erheblich einschränkt. Und die drei Parteien der Ampel haben sich darauf geeinigt, daran im Prinzip nichts zu ändern.
Sollte es Ihrer Meinung nach eine Begrenzung der Schulden in Nebenhaushalten geben?
Wenn man eine dauerhafte Möglichkeit für zusätzliche, kreditfinanzierte Investitionen schafft, wäre eine Obergrenze wahrscheinlich hilfreich – schon, um Ängsten vor zu großer Verschuldung vorzubeugen. Die Grenze könnte dann beispielsweise 1 oder 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen, was momentan etwa 35 bis gut 50 Milliarden Euro zusätzlichen Spielraum pro Jahr bedeuten würde.
Die Angst vor der Inflation kehrt zurück: Die Wirtschaftsweisen nehmen zwar an, dass die Inflationsrate im kommenden Jahr wieder unter 3 Prozent sinkt. Aber wirken der steigende Kohlendioxidpreis, der höhere Mindestlohn und die Lohnforderungen der Gewerkschaften nicht in die entgegengesetzte Richtung?
Im Moment gehen wir davon aus, dass die höhere Inflation durch Sonderfaktoren wie steigende Energiepreise verursacht wird und sie sich nächstes Jahr wieder zurückbildet. Wir nehmen auch an, dass die jetzt absehbaren Lohnforderungen keinen Inflationsdruck ausüben werden.
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