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Wirtschaftsminister über Hartz-ReformenGabriel räumt Fehler ein

SPD-Politiker Gabriel lobt, dass es durch Hartz IV zwei Millionen Arbeitslose weniger gibt. Zugleich kritisiert er den vergrößerten Niedriglohnsektor.

Ob die zwei Millionen Arbeitslose weniger wohl im Niedriglohnsektor unterkamen? Wirtschaftsminister Gabriel. Bild: dpa

BERLIN afp | Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat Fehler bei der Einführung von Hartz IV vor zehn Jahren eingeräumt. „Schon damals hätten wir den Mindestlohn einführen müssen, damit dieser unfaire Niedriglohnsektor sich nicht derart ausbreitet“, sagte Gabriel der Bild am Sonntag.

Zudem hätten diejenigen, die jahrzehntelang gearbeitet hätten und dann unverschuldet arbeitslos geworden seien, nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes bei Hartz IV nicht genauso behandelt werden dürfen wie diejenigen, die nie gearbeitet hätten. Der Wert der Arbeit müsse erhalten bleiben, sagte Gabriel.

Grundsätzlich seien die Arbeitsmarktreformen aber der richtige Weg gewesen, sagte der SPD-Politiker. Hartz IV sei „die erfolgreiche Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe“. Dies sei „dringend notwendig und sozial gerecht“ gewesen.

Früher sei es „oftmals lukrativer“ gewesen, „Arbeitslosenhilfe zu kassieren und zusätzlich irgendwo schwarz zu arbeiten statt einen normalen Job anzunehmen“, sagte Gabriel. „Außerdem fielen hunderttausende Sozialhilfeempfänger ohne jede Hilfe einfach durch den Rost und bekamen auch noch weniger Geld als heute.“ Dieses System sei umgestellt worden auf „Fördern und Fordern“.

Der Vizekanzler verwies zudem auf die gesunkenen Arbeitslosenzahlen. „Der Erfolg ist ja sichtbar“, betonte der Minister. „Damals hatten wir fünf Millionen Arbeitslose, heute sind es zwei Millionen weniger.“ Am 1. Januar 2005 war die damalige, einkommensabhängige Arbeitslosenhilfe abgeschafft und mit der Sozialhilfe zusammengelegt worden. Der Regelsatz für Hartz IV ist zum Jahreswechsel von 391 Euro auf 399 Euro angestiegen.

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14 Kommentare

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  • HartzIV ist ein voller Erfolg, ohne Zweifel. Deutschland ist nicht nur auf dem Lohnsektor fast auf Entwicklungslandniveau abgesunken. Die Anzahl derer, die auf staatliche Unterstützung als Aufstocker angewiesen sind, ist enorm angestiegen. Von den Rentnern, die das gleiche Schicksal teilen, ganz zu schweigen. Der Jugendwahn tut ein übriges. Profitiert davon hat lediglich die Wirtschaft. Für einen immer größeren Anteil der Bevölkerung wird die Luft finanziell immer dünner. Alles in allem ein grandioser Fortschritt und eine enorme Weiterentwicklung der deutschen Gesellschaft. So etwas nennt man nur in Deutschland Reform. Das brachliegende Potenzial dieser Menschen, egal, ob alt, mittelalt oder jung, ist enorm. Das füllt man jetzt mit der Zuwanderung junger, hauptsächlich unqualifizierter Zuwanderer auf. Ein nicht abreissender Strom billiger Arbeitskräfte. Die Wirtschaft und die Armut wird diesen Staat eines Tages zu Fall bringen. Der Anteil der erwerbstätigen Bevölkerung kann diese Belastungen nicht mehr stemmen. Deutschland hat große Ähnlichkeit mit einem Straflager.

  • Ich gebe Sigmar Gabriel recht. Der Erfolg ist sichtbar. Allerdings an anderer Stelle. Er zeigt sich da, wo Kanzlerin Merkel Griechenland und anderen diktieren zu können meint, wie sie ihre Wirtschaft zu sanieren haben. Der Wert der Arbeit ist erhalten geblieben. Er hat allerdings den Standort gewechselt. Es profitieren nun noch weniger als zuvor die, die ihn schaffen und etwas mehr die, die ihn abzugreifen wissen. In anderen Worten: Es ist jetzt noch lukrativer als zuvor, andere auszubeuten, statt selbst etwas zu produzieren oder Anderen irgendwelche Dienste zu leisten. Im Übrigen finde ich es bezeichnend, dass immer noch gefragt werden kann, "ob die zwei Millionen Arbeitslose weniger wohl im Niedriglohnsektor unterkamen". Infratest dimap, schließlich, hat schon wenige Minuten nach jeder Wahl die Wählerwanderungen grafisch aufbereitet. Es müsste also ein ganz Leichtes sein zu ermitteln, wohin die 2 Millionen Arbeitslosen verschwunden sind – wenn es denn ein Interesse daran gäbe.

  • Er hat wohl endlich mal mitgekriegt, dass sein Stern (noch weiter) am Sinken ist. Deshalb muss mal schnell ein bisschen Balsam auf die Seelen der potentiellen Wähler geschmiert werden. Frei nach dem Motto: "was schert mich mein Geschwätz von gestern", das ja jederzeit wieder angewandt werden kann.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    In der heutigen SZ kann man ein Artikel vom Duo Gabriel-Nahles lesen mit der üblichen Mischung Reformen-Erfolg-bisschenHärte-Blick nach vorne.

     

    Entlarvend v.a. die Sätze:

     

    "Die Hartz-Reformen zielten neben der Verbesserung der Arbeitsvermittlung vor allem auf die Etablierung neuer Beschäftigungsformen, die Normalarbeitsverhältnisse nicht ersetzen, sondern ergänzen sollten. Genau diese Entwicklung prägt heute die wirtschaftliche Dynamik im Land."

     

    und

     

    "Die Hartz-Reformen haben einen Prozess der moderierten Anpassung des Sozialstaats an die Verhältnisse der digitalen Gesellschaft eingeleitet, von dem wir heute - bei aller Gestaltungsnotwendigkeit - profitieren."

     

    Dann werden also prekäre Arbeitsverhältnisse und sinkende Sozialstandards nett umschrieben und zum Fortschritt erklärt.

  • 6G
    68514 (Profil gelöscht)

    Ach ja, der Herr Gabriel ... warum kann ich ihm nichts mehr glauben? Sozial und demokratisch gebärdet sich die SPD schon lange nicht mehr. Und deren Politik als Erfolg für die Menschen hinzustellen, dazu gehört 'ne Menge Ignoranz und Arroganz. Dies sind halt die Auswüchse des Neoliberalismus - einer Wirtschaft ohne Grenzen in jeglicher Hinsicht.

  • Die SPD sorgt für die weitere Umverteilung: von unten nach oben!

     

    Hartz-IV-Strafvollzug, Mini-Mindestlohn von "8,50 Euro-Std." brutto und Niedriglohnsektor (unter 15 Euro-Std.).

     

    Mehr als 12 Millionen Geringverdiener ohne Zukunft -- und in kommender Altersarmut: Grundsicherung bzw. Sozialhilfe (Fortsetzung: Hartz-IV-Strafvollzug im Alter)!

     

    Hauptaufgabe: Die SPD-Führer/innen und Beamten sorgen für ihre Pensionen und für kommende Posten.

  • Na hoffentlich serviert ihm die LINKE zum Hartz-Jubiläum dann auch mal im Plenum einen Jammerbarden a la Bierwurst, oder wie der Aggro-Schnauzbart heißt ;-)

  • Ja nu, das kann er auch heute noch ändern, dass diejenigen, die jahrzehntelang gearbeitet haben das gleiche bekommen wie diejenigen, die nie gearbeitet haben.

    Stattdessen hat die Bundesregierung auch noch den befristeten Zuschlag abgeschafft und die SPD hat nix getan, um diese Ungerechtigkeiten wieder abzuschaffen.

  • Was ist der Gabriel doch, genauso wie seine Parteigenossen, ein schamloser Heuchler. Fakt ist, dass die SPD doch längst und weiterhin keine soziale Partei mehr ist, sondern nur noch eine rote CDU. In der Rolle fühlen sich Gabriel & Co. als Juniorpartner in der Regierung auch sichtbar wohl.

     

    Es war der größte Fehler der Hartz-Refomen, die von der Hartz-Kommission geforderte Grundsicherung von 511 Euro so weit runter zu rechnen, bis man sich auf erbärmliche 346 Euro geeinigt hatte.

     

    Wie heuchlerisch, nun zu sagen, man hätte damals schon den Mindestlohn einführen müssen. Der war damals schon lang und breit in der Debatte. Heute ruht sich die SPD auf dem "Erfolg" aus, einen Mindestlohn errungen zu haben, der nicht geeignet ist, die millionenfache Armut im Niedriglohnsektor entgegen zu wirken. Leiharbeiter (von denen es dank der Hartz-Refomen viele Millionen gibt) haben eine tarifliche 35 Stundenwoche, das bedeutet, dass jemand mit Steuerklasse 1/0 nun 948 netto bekommt. Das sind rund 100 Euro unterhalb der Pfändungsgrenze, die ein "bescheidenes Leben" gewährleisten soll.

  • „Fehler“ ist eine krude Untertreibung. In Wirklichkeit ist diese Reform drastisch teurer als vorherige Regelung und sie hat eigentlich kein einziges Ziel erreicht, welche man vorher feierlich verkündet hatte. Inzwischen leben unglaublich viele Menschen dauerhaft in diesem System und finden anscheinend kaum normale Arbeit, um da rauszukommen. Tatsächlich stagniert das Arbeitsvolumen - die Menschen werden also in verarmende Teilzeitarbeit gezwungen. Ich frage mich, warum Gabriel nicht mit der Union das System wieder einstampft?

     

    Aber: Diese Regierung will eine bestimmte Form von Armut - eine Armut, die geprägt ist von Perspektivlosigkeit, von der Abhängigkeit vom Staat und der abschreckenden Wirkung auf die anderen Arbeitnehmer. Am Ende wurden Gewerkschaften und Tarifverträge noch nie so nachhaltig ausgehebelt, wie durch Hartz-IV.

     

    Immerhin die SPD ist heute keine Volkspartei mehr und kann keinen Kanzler mehr stellen, außer in Konstellationen mit vielen anderen Parteien. Wenigstens dort war diese ‚Reform‘ schmerzlich und in Thürigen/Sachsen ist die SPD heute eine Minipartei. In vielen Wahllokalen in Berlin und Hamburg schmelzen die Stimmen der Partei auch dahin. Fragt sich nur, was an die Stelle irgendwann tritt.

  • Hoffentlich bekommt die Verräterpartei SPD alsbald das, was sie verdient: Den letzten Sargnagel. Neoliberale Parteien haben wir bereits genug!

  • "Wirtschaftsminister über Hartz-Reformen" - Wie kommt die taz dazu, immer und immer wieder etwas, das tatsächlich reaktionär ist, "Reformen" zu nennen? Und dann auch noch die übliche Nummer mitzumachen, diese Dinger mit dem Namen eines verurteilten Verbrechers zu belegen?

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    "...damit dieser unfaire Niedriglohnsektor sich nicht derart ausbreitet."

     

    Dann lobt er die vermeintlich positive Auswirkung von HartzIV auf die Arbeitslosigkeit. Die ist aber v.a. dem Niedriglohnsektor zu verdanken. Und der Umverteilung der Vollzeitstellen auf Teilzeit- oder Prekärarbeitsverhältnisse.

    • @10236 (Profil gelöscht):

      Richtig.

       

      Der andere Punkt, der reiner Blödsinn ist:

       

      "Zudem hätten diejenigen, die jahrzehntelang gearbeitet hätten und dann unverschuldet arbeitslos geworden seien, nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes bei Hartz IV nicht genauso behandelt werden dürfen wie diejenigen, die nie gearbeitet hätten. "

       

      Dann hätte man die, die "nie gearbeitet haben" (damit meint er ja sozialversicherungspflichtige Erwerbsarbeit, alles andere zählt sowieso nichts) entweder noch schlechter stellen müssen.

      Oder man hätte den anderen mehr zahlen müssen und damit natürlich wieder deren finanziellen Anreiz zur Rückkehr in den Arbeitsmarkt gesenkt (Lohnabstandsgebot).

       

      Insofern ist diese (nachträgliche) Forderung, abgesehen davon, dass sie natürlich ganz gut ins "divide et impera" passt, logisch genauso unmöglich wie die Vermeidung des gemeinen Niedriglohnsektors, wenn man mit Gewalt die Arbeitslosenzahlen senken will.