Wirtschaftskrise in Ägypten: Leere Bäuche, volle Häfen
Ägypten gehen die Dollardevisen aus: Importe können nicht mehr bezahlt werden, die Preise steigen rasant. Hilfe erhofft sich Kairo von den Golfstaaten.
Hassan ist kein Einzelfall in Ägypten. Seit Mitte Januar, als die ägyptische Währung um weitere 13 Prozent gegenüber dem US-Dollar abgewertet wurde, gibt es in der Hauptstadt Kairo nur ein Thema: die Preissteigerungen.
Die katastrophale wirtschaftliche Lage im Libanon hat es in letzter Zeit immer wieder in die Schlagzeilen geschafft, manchmal auch die leeren Supermarktregale in Tunesien. Doch nun steht mit Ägypten das bevölkerungsreichste arabische Land mit seinen über 100 Millionen Einwohnern vor enormen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen.
Die ägyptische Währung hat seit vergangenem März die Hälfte ihres Wertes verloren. Die Menschen kämpfen mit einer Inflationsrate von über 20 Prozent. Für das erste Quartal 2023 haben einige Ökonomen sogar 25 Prozent prognostiziert.
Ägypten hat 155 Milliarden Dollar Schulden
Besonders dramatisch sind die Preissteigerungen bei Lebensmitteln. Die sind im letzten Jahr im Schnitt um mehr als ein Drittel teurer geworden – bei anhaltend niedrigen Löhnen für die Mehrheit der Ägypter. Der Grund für die Entwertung des Pfundes: Dem ägyptischen Staat gehen die Dollar aus.
Auf 155 Milliarden Dollar belaufen sich dessen Schulden und Zinsdienste im laufenden Finanzjahr, berichtet die arabische Bloomberg-Publikation Asharq. Linderung sollte ein mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) auf 46 Monate verteilter Kredit geben, dessen erste Tranche von über 300 Millionen Dollar allerdings fast von den Schulden aufgefressen wurde.
Die negative Handelsbilanz trägt das ihre dazu bei. Laut der Tageszeitung Al-Shoruk sitzen derzeit in ägyptischen Häfen Waren im Wert zwischen 6 und 7,7 Milliarden Dollar fest. Da es im Bankensystem nicht genug Dollar gibt, können die Waren nicht ausgelöst werden. Die Entwertung des Pfundes sorgt hier aber für etwas Erleichterung. Laut der Zentralbank sind seitdem 925 Millionen Dollar auf den Markt geflossen.
Der ehemalige Militärchef und heutige Präsident Abdel Fattah al-Sisi hat die Schuld immer wieder von sich gewiesen und den Ukrainekrieg und die Coronapandemie für die wirtschaftliche Misere verantwortlich gemacht. Er ruft sein Volk auf, nicht in Panik zu verfallen. „Schwätzt nicht so viel Unsinn“, forderte er in einer Rede von seinen Landsleuten. Stattdessen sollten die Ägypter auf ihn und seine Minister hören, führte er weiter aus.
Immer lautere Kritik an al-Sisi
Doch die Kritik im Land wird immer lauter, selbst im Parlament, das dem Präsidenten gegenüber als hörig gilt. „Seit Jahren haben wir davor gewarnt: Wenn ihr so weitermacht, werden wir am Ende mit dem Rücken zur Wand stehen und genau das passiert jetzt“, erklärte die stellvertretende Sprecherin Maha Abdel Nasser in einer Rede im Parlament.
Auch so manche Aussage von Regierungsvertretern, die versuchen, die Lage schönzureden, lässt sie nicht gelten. „Als würden viele sich nur vorstellen, dass sie nicht mehr genug Essen kaufen können, als ob der Dollar nur in ihrer Fantasie in den Himmel geschossen ist“, sagte Abdel Nasser.
Auch wenn die Regierung die Krise auf äußere Faktoren schiebt: Viele Ökonomen sehen das Ganze als hausgemachte Krise. Teure Prestigeprojekte wie der noch nicht fertige Bau einer neuen Hauptstadt haben die Dollarreserven des Landes zusammenschmelzen lassen.
Und selbst wenn Hilfe aus dem Ausland kommt, ist sie inzwischen an härtere Bedingungen geknüpft. Der IWF etwa fordert „kritische strukturelle Veränderungen“. Für weitere Kredite verlangt er erstmals, dass sich das Militär aus der Wirtschaft zurückzieht. Denn in den letzten Jahren ist die Armee zu einem der größten Unternehmer im Land in zahlreichen Sektoren der Wirtschaft avanciert und hat den Privatsektor zurückgedrängt. Es dürfte al-Sisi nicht leichtfallen, hier zum Rückzug zu blasen, da das die Institution angreift, die seine wichtigste Machtbasis darstellt.
Auch aus dem Golf ist frisches Geld nicht garantiert
Bleibt die Hoffnung auf Hilfe aus den reichen Golfstaaten, die fürchten, dass Instabilität im bevölkerungsreichsten arabischen Land auch ihre autokratischen politischen Systeme gefährden könnte. Die haben zumindest klargemacht, dass sie ihre Einlagen in der ägyptischen Zentralbank in Höhe von 7,7 Milliarden Dollar verlängern.
Aber frisches Geld vom Golf ist alles andere als garantiert. Die Golfstaaten kaufen derzeit lieber profitable ägyptische Unternehmen auf, als ihr Geld in das schwarze Loch des Staates zu stecken. Inzwischen wird auch öffentlich diskutiert, ob es weise ist, Ägypten mit mehr Geld zu versorgen. Osama al-Schahin etwa, ein kuwaitischer Parlamentarier, warnte seine Regierung, blind weiteres Geld in die ägyptische Wirtschaft zu stecken, und forderte, dass die dort eingelegten öffentlichen kuwaitischen Gelder wieder abgezogen werden.
Für die Regierenden in Ägypten bedeutet das alles eine Gratwanderung. Nach innen müssen sie die Probleme herunterspielen und beruhigen, nach außen, vor allem in Richtung der Golfstaaten, aber auch gegenüber internationalen Institutionen müssen sie die Dramatik der Lage betonen – in der Hoffnung, dass diese Ägypten als zu groß erachten, um es wirtschaftlich abstürzen zu lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Verbotskultur auf Social Media
Jugendschutz ohne Jugend