Wirkungsorientiertes Haushalten: Eine Demokratie, die liefert
Es ist möglich, den Staat durch wirkungsorientiertes Haushalten vom Kopf auf die Füße stellen. Das gilt auch jenseits der Bauernproteste.
H aushaltsfragen, so scheint es, sind demokratische Schicksalsfragen, das zeigt sich auch auf den Straßen. Derzeit sind es die Bauern, die die großen Städte des Landes lahmlegen. Aber muss das so sein? Muss es diese Konfrontationen geben, die am Ende schädlich sind für alle? Oder gibt es einen anderen Weg, übers Haushalten zu reden und die Verteilung von Geld – demokratische Kernaufgabe – zu praktizieren?
Wir wollen hier einen ganz anderen Ansatz vorstellen, der nicht nur ein neues Verständnis von Haushalten bedeutet, sondern eine Weiterentwicklung der Demokratie für das 21. Jahrhundert – einer Demokratie, die flexibler ist, offener, weniger ideologisch, weniger konfrontativ, sehr viel mehr interessiert an Ergebnissen, pragmatisch und funktional. Einer Demokratie, die liefert.
Momentan wird die Debatte ausgefochten zwischen denen, die mehr, und denen, die weniger sparen wollen – meist entlang eingeübter parteipolitischer Selbsterzählungen. Wenn die Politik aber übers Sparen debattiert, geht es vor allem um Zahlen – und viel zu wenig um Ziele und Wirkung oder darum, was wir als Gesellschaft mit dem Geld erreichen wollen. Die Debatte steckt in einer staatspsychologischen Sackgasse, bevor sie richtig angefangen hat.
Um die Verteidigungshaltung von Ämtern, Ministerien und Interessengruppen zu überwinden, gibt es jenseits des Sparens oder Nichtsparens eine dritte Möglichkeit, die im Grunde den bisherigen Haushaltsprozess umkehrt: zuerst und zentral darüber zu debattieren, was mit dem Geld erreicht werden soll. Erst danach würden die Ausgaben festgelegt.
Das würde bedeuten, dass die Regierung sich auf gemeinsame Wirkungsziele im jeweiligen Koalitionsvertrag einigte und in einem verbindlichen Format wie beispielsweise einem Haushaltsgesetz festlegte. Als Folge würden zuerst Wirkungsziele und nicht bestehende Ressortinteressen gegeneinander abgewogen und priorisiert – also Klimaschutz und Verkehrswende statt Umweltamt und Straßenverkehrsamt.
Die einzelnen Ressorts, Ministerien und Ämter würden dann auf ihrer jeweiligen Ebene in einen Wettbewerb treten, wer das wirkungsvollste Programm zur Zielerreichung hat. Umweltamt und Straßenverkehrsamt wären gezwungen, in gemeinsamen Programmen und Prozessen zu denken – denn nur so können übergreifende Ziele bestmöglich erreicht werden. Erst danach werden die Gelder auf die Programme und Projekte verteilt.
Auf allen Ebenen
Ähnliche Ansätze gibt es nicht nur in Österreich und Finnland, sondern bereits in kleineren Kommunen in Deutschland. Hier führen begrenzte Ressourcen und schlankere Verwaltungsorganisationen zu zielorientierten und pragmatischen Haushaltsaufstellungen über parteiideologische Befindlichkeiten hinweg. Es werden klare Prioritäten gesetzt – eine autofreie Innenstadt oder ein großflächiger Ausbau von Windkraft zur eigenen Bedarfsdeckung – und ämterübergreifend umgesetzt.
Gleiches sollte auch für größere Kommunen, Städte und Landkreise gelten. Zuerst sollte durch den Gemeinde- oder Stadtrat festgelegt werden, auf welche Wirkungsziele sich die jeweilige Gemeinde fokussiert. Will man zuerst die Verkehrswende vorantreiben oder die Energieversorgung umstellen? Die Ämter müssten Programme entwerfen und Umsetzungspfade vorschlagen – die Gelder würden also an die Ziele und nicht an die Ämter gekoppelt.
Auch auf Landes- und Bundesebene hätte eine wirkungsorientierte Haushaltsstruktur transformativen Charakter. Hier sollte statt der berüchtigten Haushaltswoche im Bundestag zuerst eine Ziel- oder Wirkungswoche abgehalten werden. Die Gelder würden nicht in unflexible Einzelpläne gegossen, aus denen sie kaum mehr zu befreien sind. Das bedeutete, dass die Diskussion sich nicht um den Abbau von Subventionen oder Sozialleistungen dreht, sondern darum, welche Vorhaben, Förderprogramme und Subventionen die gemeinsamen Ziele erreichen. Die Diskussion über die Dieselsubventionen in der Landwirtschaft würde gezwungenermaßen vom Ziel her geführt werden. Auseinandersetzungen finden immer noch statt, aber fokussiert auf die Frage, wie etwa die Ziele der Ernährungssicherung Deutschlands, der fairen Bezahlung der Landwirt:innen und der Reduktion der Treibhausgase erreicht werden könnten. Erst danach würde bewertet, ob die Subvention von Diesel im Agrarsektor der wirksamste Weg ist.
Zur Rechenschaft verpflichtet
Gleichzeitig muss gelten: Wer sich Ziele setzt, muss daran auch gemessen werden. Es braucht einen Haushaltsausschuss, der nicht nur beschließt und anschließend seine Budgets vergisst, sondern die Werkzeuge dazu hat, die Regierung zu begleiten und zu prüfen, wie die Gelder ausgegeben werden. Damit würde auch die Macht des Parlaments gegenüber der Regierung oder Exekutive gestärkt – ein weiterer Demokratisierungseffekt. Gleichzeitig sollten sowohl die Kämmerer als auch der Bundesrechnungshof in den Kompetenzen und Methodiken befähigt und ermächtigt werden, Evaluationen und Kosten-Wirkung-Analysen durchzuführen, und Letzterer zu einem Bundeswirkungshof aufgewertet werden.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das den Nachtragshaushalt von 2021 für verfassungswidrig erklärte, eröffnet damit die Debatte und auch eine große Chance, um das Haushaltssystem, also die Logik der Staatsausgaben, endlich den Anforderungen unserer Zeit anzupassen. Die Grundsätzlichkeit, mit der gerade breit diskutiert wird, hat das Möglichkeitsfenster weit aufgestoßen. Jetzt sollten wir es nutzen.
Die Entscheidungstragenden sollten sich jetzt an einem anderen, mittlerweile zwei Jahre alten Urteil des Bundesverfassungsgerichts orientieren und das Wohl der zukünftigen Generationen im Blick haben. Um dieses zu sichern, braucht es ein Haushaltssystem, das die Wirkung ins Zentrum rückt.
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