Wirecard-Chef festgenommen: Kontrolleure versagten jahrelang

Beim Dax-Konzern Wirecard sind 1,9 Milliarden Euro verschwunden. Wirtschaftsprüfer und die Aufsichtbehörde Bafin haben nichts gemerkt.

Braun wirft seinen Schatten voraus

Ex-Wirecard-Chef Markus Braun, als seine Firma noch ein bewunderter Dax-Konzern war Foto: Frank Hoermann/Sven Simon/imago

BERLIN taz | Der Wirtschaftskrimi rund um das DAX-Unternehmen Wirecard geht weiter: Der ehemalige Firmenchef Markus Braun wurde festgenommen. Allerdings kann er gegen eine Kaution von 5 Millionen Euro wieder freikommen, wie das Münchner Amtsgericht am Dienstag entschied. Der Vorwurf lautet auf Bilanzfälschung und Marktmanipulation, denn in den Büchern von Wirecard klafft ein Loch von mindestens 1,9 Milliarden Euro. Auf Manipulationen des Börsenkurses stehen bis zu fünf Jahre Haft.

Wirecard wurde 1999 gegründet und hilft Internethändlern dabei, die Zahlungen ihrer Onlinekunden abzuwickeln. In seinen besten Zeiten war das Unternehmen an den Börsen mehr als 16 Milliarden Euro wert und durfte daher 2018 in den deutschen Aktienindex DAX aufsteigen, der die dreißig wichtigsten Firmen in der Bundesrepublik listet.

Allerdings kursierten schon seit mehr als einem Jahrzehnt Gerüchte, dass Wirecard seine Bilanzen fälscht. Bereits im Juni 2008 warfen Aktionärsschützer der Firma eine „höchst intransparente“ Kapitalflussrechnung vor. Vor allem die Angaben zu ausländischen Tochterfirmen seien mangelhaft. Es sei gar nicht klar, „womit die Firma ihr Geld verdient“, monierte die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger damals.

Diese Analyse erweist sich nun als prophetisch: Am vergangenen Freitag musste Wirecard-Chef Markus Braun zurücktreten, weil sich 1,9 Milliarden Euro nicht auffinden ließen. Am Montag räumte Wirecard dann ein, dass dieses Geld „höchst wahrscheinlich nicht existiert“. Damit hatte sich ein Viertel der Wirecard-Bilanz als Luftbuchung herausgestellt.

Trotz des Milliardenschadens haften die Prüfer nur mit 4 Millionen Euro

Die fehlenden 1,9 Milliarden Euro sollten sich angeblich auf Konten in den Philippinen befinden, um damit Geschäfte mit „Drittparteien“ abzuwickeln. Denn Wirecard besitzt nicht für alle Länder eine Lizenz, um dort Zahlungsdienstleistungen anzubieten, weswegen man mit anderen Firmen kooperiert.

Die angeblichen Wirecard-Konten auf den Philippinen wurden zum Schluss von einem Treuhänder namens Mark Tolentino verwaltet. Und zumindest Tolentino existiert tatsächlich: Er war einst im philippinischen Verkehrsministerium für Eisenbahnbau zuständig – und wurde dann von Präsident Duarte höchstpersönlich gefeuert wegen angeblich „fragwürdiger Geschäfte“.

Spätestens seit diesem Sonntag herrscht Gewissheit, dass auf den Philippinen keinerlei Finanzvermögen von Wirecard lagert. Trocken merkte die dortige Zentralbank an: Das Geld habe „nie das philippinische Finanzsystem erreicht“.

Bankanalysten wundern sich, warum der Betrug nicht schon vor Jahren aufgefallen ist. Schließlich wurde die Wirecard-Bilanz jedes Jahr von der renommierten Wirtschaftsprüfung Ernst & Young abgesegnet. „Es ist ganz leicht nachzuprüfen, ob Cash auf Konten existiert“, sagt ein professioneller Beobachter, der seinen Namen nicht in der Zeitung sehen will.

Riesige Verluste, aber kaum Schadensersatz

Erst im Juni 2020 verweigerte Ernst & Young erstmals ein Testat, als Medien und externe Prüfer längst gravierende Mängel bei Wire­card publiziert hatten. Daher dürften nicht nur auf Wirecard, sondern auch auf Ernst & Young stürmische Zeiten ­zukommen. Es ist damit zu ­rechnen, dass Aktionäre und Banken gegen die Prüfgesellschaft auf Schadenersatz klagen. Doch viel Geld können sie nicht erwarten. „Bei Wirtschaftsprüfungen liegt die Haftungsgrenze bei 4 Millionen Euro, selbst wenn sie einen Milliardenschaden anrichten“, kritisiert Gerhard Schick von der Bürgerbewegung Finanzwende.

Schick fordert daher eine „Gesamtreform“ der Prüfer. Bereits nach der Finanzkrise 2008 habe die EU-Kommission ein „sehr gutes“ Grünbuch erstellt. „Aber damals hat die Lobby der großen Wirtschaftsprüfer jede Reform blockiert.“

Zu den zentralen Schwachpunkten gehört, dass sich die Unternehmen ihre Prüfer selbst aussuchen und bezahlen – was Gefälligkeitsgutachten wahrscheinlich macht. Zudem sind Unternehmensberatung und Prüfung nicht getrennt, sodass die Wirtschaftsprüfer kein Interesse haben, allzu stark zu kontrollieren und Kunden zu verärgern, weil dann lukrative Berateraufträge wegbrechen könnten.

Aber nicht nur die Wirtschaftsprüfer haben versagt, auch die Finanzaufsicht Bafin hat sich komplett kompromittiert. Am Montag musste Bafin-Chef Hufeld einräumen: Man sei „nicht effektiv genug gewesen“. Finanzminister Scholz (SPD) wurde am Dienstag drastischer: Die Fehler bei der Bafin müssten „schleunigst identifiziert und abgestellt werden“.

Bafin ignorierte Hinweise gegen Wirecard

Die Bafin ist unter anderem dafür zuständig, Marktmanipulationen aufzudecken. Dennoch ignorierte sie beharrlich alle Hinweise, dass es bei Wirecard zu Unregelmäßigkeiten kam. Stattdessen zeigte die Bafin im April 2019 zwei Journalisten der britischen Financial Times an, die über einen möglichen Bilanzbetrug bei Wirecard berichtet hatten.

Bisher ist völlig unklar, ob Wirecard noch eine Zukunft hat. Denn niemand weiß, ob das Unternehmen in den vergangenen Jahren überhaupt Gewinne gemacht hat. Wirecard ließ nur wissen, dass auch die Geschäftsabschlüsse der vergangenen Jahre vom jetzigen Skandal „betroffen sein könnten“.

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