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„Wir müssen den schlafenden Riesen wecken“

Die SPD hat ihren Entwurf für ein Vergesellschaftungsrahmengesetz vorgelegt. Sebastian Schlüsselburg setzt darin ganz auf den Artikel 15 im Grundgesetz. Damit sei auch ein neuer Mietendeckel möglich

Die Initiative DW & Co enteignen spricht von einem „verfassungspolitischen Amoklauf“ Foto: Florian Boillot

Interview Timm Kühn

taz: Herr Schlüsselburg, die SPD hat vergangene Woche mit einem neuen Konzept für einen Mietendeckel überrascht. Was ist Ihre Idee?

Sebastian Schlüsselburg: Wir haben kein Konzept für einen Mietendeckel 2.0 vorgelegt, sondern unseren Arbeitsentwurf für das kommende Vergesellschaftungsrahmengesetz. Die Öffentlichkeit hat sich dann besonders dafür interessiert, dass eine der Möglichkeiten, den Vergesellschaftungsartikel 15 im Grundgesetz anzuwenden, Preis-, Investitions- oder Gewinnvorgaben sind. Daraus könnte zum Beispiel ein neuer Mietendeckel werden.

taz: Um was geht es noch?

Schlüsselburg: Der Artikel 15 ist ein schlafender Riese. Der zentrale Begriff im Artikel ist die „Gemeinwirtschaft“. Die Überführung des Eigentums eines Unternehmens in Gemeineigentum ist Teil davon. Aber unterhalb des Eigentumsentzugs steht dem Staat ein ganzer Instrumentenkasten zur Verfügung. Hier ist viel mehr möglich, als das, was bisher diskutiert wird. Wir wollen gewissermaßen aufzeigen, dass Artikel 15 nicht nur den teuren Holzhammer beinhaltet, sondern auch das Florett oder Skalpell, mit dem wir mehr Menschen helfen können.

taz: Sie sprechen von einem „mehr“. Für viele wird sich der Verzicht auf Enteignungen eher nach einem „weniger“ anhören. Die Ber­li­ne­r:in­nen haben doch per Volksentscheid entschieden, dass sie die Enteignung der großen Immobilienkonzerne wollen. Warum sträubt sich die SPD so dagegen?

Schlüsselburg: Die SPD sträubt sich nicht, im Gegenteil. Die SPD war es, die im Erfurter Programm (von 1891; Anm. d. Red.) erstmals die Sozialisierung von Produktionsmitteln in ein Parteiprogramm geschrieben hat. Es waren Sozialdemokrat:innen, die dafür gesorgt haben, dass das bundesdeutsche Grundgesetz 1949 einen Artikel 15 bekommen hat.

taz: Das ist lange her.

Schlüsselburg: Und nun wird es aller Voraussicht nach die Berliner SPD sein, die mit der CDU das erste Mal in der Geschichte ein Rahmengesetz vorlegt, um Artikel 15 zum Leben zu erwecken. Das historische Verdienst der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen ist es, durch einen erfolgreichen Volksentscheid den Auftrag zur Anwendung des Artikels 15 im Wohnungsbereich formuliert zu haben. Aber vielleicht lohnt es sich, darüber nachzudenken, mit welchen Instrumenten wir mehr Leuten schneller und auch günstiger helfen können.

taz: Warum ist es Ihrer Meinung nach besser, sich im Mietenbereich etwa auf Preisgrenzen zu beschränken?

Schlüsselburg: Wir haben in Berlin im Jahr 2025 die Situation, dass wir aufgrund des internationalen Finanzkapitalismus gar nicht mehr genau wissen, wem eigentlich welche Wohnungen gehören. Wir wissen das nur bei einigen großen Konzernen, etwa bei Vonovia. Wenn wir Artikel 15 für die Enteignung anwenden, müssen wir es aber genau wissen und formulieren, sodass das Gesetz vor dem Verfassungsgericht hält. Wäre es so einfach, hätte die Initiative wohl schon längst ihr Gesetz vorgelegt. Die Wohnungen in „andere Formen der Gemeinwirtschaft“ zu überführen, wie es im Grundgesetz heißt, ist da vielleicht nicht nur rechtssicherer, sondern auch einfacher. Und es erwischt im positiven Sinne alle Mie­te­r:in­nen auf dem Markt, weil wir allen privaten Ver­mie­te­r:in­nen verbindliche Vorgaben machen können.

taz: Nach dem Volksentscheid hat die SPD eine Ex­per­t:in­nen­kom­mis­si­on einberufen. Dann hat Franziska Giffey lieber auf den Bürgermeisterinnentitel verzichtet, als mit Linken und Grünen zu koalieren. Jetzt kommt ein Rahmengesetz, das erst zwei Jahre nach Beschluss in Kraft treten soll. Und dann, irgendwann, soll Artikel 15 vielleicht doch noch angewendet werden – aber es soll nicht enteignet werden. Können Sie nicht verstehen, dass Ak­ti­vis­t:in­nen von Verschleppung sprechen?

Schlüsselburg: Ich kann verstehen, dass die Leute ungeduldig sind. Je­de:r Berliner:in, die unter den aktuellen kapitalistischen Marktbedingungen zur Miete wohnt, leidet. Was den Mietenden nicht hilft, ist dieser Vorwurf der Verschleppung, insbesondere, wenn er von Grünen und Linken formuliert wird.

taz: Warum?

Schlüsselburg: Erstens, weil das Eckpunktepapier für das Rahmengesetz, was wir jetzt beschlossen haben, das gleiche ist, was auch schon Bestandteil des Koalitionsvertrages von Grünen, Linken und SPD war. Und zweitens sind wir doch mit dem sehr mutigen Versuch, über den Mietendeckel den Wohnungsmarkt zu regulieren, auf die Fresse geflogen. Der Mietendeckel hat damals bei vielen Menschen Hoffnungen und Begeisterung geschürt und, als Karlsruhe den Deckel gekippt hat, für Politikverdrossenheit und Enttäuschung gesorgt.

taz: Deswegen braucht es zunächst das Rahmengesetz?

Foto: privat

Sebastian Schlüsselburg,

42, ist Jurist und seit 2016 direkt gewähltes Mitglied des Abgeordnetenhauses. Im Oktober 2024 trat er aus Linkspartei aus, wo er zuletzt Sprecher für Haushalt, Finanzen und Recht war. Seit Januar 2025 ist er Mitglied der SPD-Fraktion.

Schlüsselburg: Genau. Wir brauchen die Rückmeldung vom Verfassungsgericht, welche der Kriterien und Paragrafen, die wir in das Gesetz hineinschreiben, mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Würden wir jetzt direkt mit einer sofortigen Rechtsänderung zur Anwendung schreiten, könnte Karlsruhe das Gesetz komplett abwickeln – und das wäre in Zeiten, in denen die Demokratie ohnehin schon permanent von rechts unter Beschuss steht, gefährlich.

taz: Warum soll auf Landesebene überhaupt ein neuer Mietendeckel möglich sein? Karlsruhe hat doch klar gesagt: Dafür hat Berlin keine Gesetzgebungskompetenz.

Schlüsselburg: Es gibt zu Artikel 15 noch überhaupt keine Gesetze oder Rechtsprechung, weder auf Landes- noch auf Bundesebene. Da haben die Länder völlig freie Hand. Worauf man aber tatsächlich achten muss, ist, die Spielregeln der Gewinnmaximierung so klar zurückzuweisen, dass wirklich eine neue Form der Gemeinwirtschaft im Wohnungswesen entsteht. Eine Preisvorgabe für eine bestimmte Zeit wird da nicht reichen. Wir brauchen einen Mix an Maßnahmen, damit klar ist, dass wir uns grundlegend von der profitorientierten Wirtschaftsweise wegbewegen.

taz: Auch die Initiative spricht dieses Problem an. Sie sagt, dass ein Mietendeckel nicht unter Artikel 15 fallen könne, weil Preis­obergrenzen keine grundsätzliche Abkehr vom kapitalistischen Wirtschaftsprinzip sind, wie es aber der Begriff „Gemeinwirtschaft“ erfordert. Die Initiative bezeichnet deshalb Ihren Vorschlag als „verfassungsrechtlichen Amoklauf“.

Schlüsselburg: Ich fände es gut, wenn wir alle Vorschläge, die im Moment gemacht werden, konstruktiv diskutieren und weiterentwickeln. Und wenn ich mir die Literatur zu Artikel 15 angucke, dann sagen auch die konservativen Kommentator:innen: Ja, die Bundesländer können eingreifen, wenn der Eingriff eine so entsprechende Qualität hat, dass er dem Kriterium der Gemeinwirtschaft entspricht. Ich glaube wirklich, dass wir in diesem Bereich die meisten Spielräume haben. Es über Artikel 15 zu versuchen, ist besser, als sich darauf zu beschränken, die Lobbypartei CDU auf Bundesebene anzubetteln, doch bitte die Länderöffnungsklausel für einen Mietendeckel nicht länger zu blockieren. Wir müssen zweigleisig fahren.

Revolution, aber legal?!

Der Vergesellschaftungsartikel

Deutschland ist kein kapitalistischer Staat – zumindest nicht laut Grundgesetz. Artikel 15 erlaubt explizit, „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel“ gegen Entschädigung „in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft“ zu überführen.

Der Volksentscheid

Angewandt wurde der Artikel noch nie. Am 26. September 2021 entschieden jedoch 57,6 Prozent der Berliner:innen per Volksentscheid: Die großen Wohnungskonzerne der Stadt sollen vergesellschaftet werden. Umgesetzt wurde das bisher nicht. (tk)

taz: Mit dieser „Lobbypartei CDU“ regieren Sie auch in Berlin. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass Sie mit der CDU einen neuen Mietendeckel durchkriegen?

Schlüsselburg: Gerade sind wir an dem Punkt, dass wir mit der CDU zusammen in der letzten Plenarsitzung am 18. Dezember dieses Jahres ein Rahmengesetz vorlegen werden. Das rechne ich der CDU auch hoch an, dass sie hier Wort hält. Dieses Gesetz werden wir im Frühjahr beschließen. Und wenn die CDU dann meint, im Wohnungsbereich sei keine Regulierung über die unzureichende Bundes-Mietpreisbremse hinaus nötig, dann nehme ich das zur Kenntnis. Wir als SPD werden sicherlich einen Vorschlag für ein erstes Anwendungsgesetz machen – und dafür bei den Ber­li­ne­r:in­nen werben. Dann werden wir ja sehen, was überzeugt und welche Mehrheiten im Abgeordnetenhaus zustande kommen.

taz: Das klingt ja alles recht kämpferisch, aber die SPD hat in den letzten Jahren sehr oft links geblinkt, um dann rechts abzubiegen. Halten Sie es für glaubwürdig, dass die SPD das Mietenthema jetzt vor den Wahlen wieder in den Mittelpunkt stellt?

Schlüsselburg: Dass die Glaubwürdigkeit der SPD beim Mieterschutz gelitten hat, das ist ja offensichtlich, da müssen wir nicht drum herumreden. Wir konnten auf Bundesebene wegen FDP und CDU unser Versprechen, die Öffnung der Mietendeckelklausel, nicht durchsetzen. Da ist viel Vertrauen verloren gegangen. Aber ohne die SPD wird es weder in Berlin noch im Bund eine Konstellation für mehr Mietenschutz geben. Deshalb stellen wir uns hin und fragen: Was können wir als Lan­des­po­li­ti­ke­r:in­nen tun? Und ich glaube, mit dem Artikel 15 Grundgesetz den schlafenden Riesen zu wecken, seine ganze Pracht den Menschen bewusst zu machen, ist ein Schritt in die richtige Richtung.

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