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„Wir müssen den Tiger reiten“

Ralf Fücks, Mitglied der Grundsatzkommission, teilt nicht die Frontalopposition gegen Globalisierung. Doch es bedarf ökologischer und sozialer Leitplanken für den Weltmarkt

taz: Für wen wäre es ein Grund zur Freude, Herr Fücks, wenn die Grünen in 19 Jahren so sein sollten, wie der Programmentwurf es vorschlägt?

Ralf Fücks: Die Grünen werden auch in 19 Jahren noch gebraucht. Denn der Kern grüner Politik, die ökologische Transformation der Industriegesellschaft und die globale Durchsetzung der Menschenrechte, ist noch lange nicht verwirklicht.

Also sind 2020 die Probleme immer noch da und die Grünen vielleicht auch?

Ich hoffe, dass ein paar dieser Probleme gelöst und wir zur grünen Volkspartei geworden sind. Wir haben nicht beliebig lang Zeit, um den Wettlauf mit der Klimakatastrophe zu gewinnen.

Wie sehen denn die spezifisch grünen Lösungen einer Partei aus, die als Alternative zum politischen System begann und jetzt per Programm zur Alternative im politischen System werden möchte?

Grüne Politik zielt auf fundamentale Veränderungen, die Methode aber ist reformerisch. Rechtsstaat, Demokratie und Marktwirtschaft sind Eckpunkte unserer Politik, auch wenn sie nicht bleiben können, wie sie heute sind.

Ein zentraler Punkt des Programms sind die Menschenrechte. Dort wird „humanitärer Interventionismus“ ebenso abgelehnt wie „Freibriefe für staatlichen Massenmord“. Ein schmaler Grat, auf dem die Grünen da wandeln.

Stimmt. Wir bewegen uns auf eine Weltgesellschaft zu, die das eherne Prinzip der nationalen Souveränität überwindet. Deshalb müssen wir eine globale Herrschaft des Rechts erreichen. Wir brauchen globale Normen für ziviles Verhalten. Dann braucht man aber auch Sanktionsmöglichkeiten, zum Beispiel gegen Genozide. Das garantiert die UNO derzeit noch nicht.

Und dieses Rechts- und Machtvakuum füllte die Nato mit dem Krieg gegen Serbien auf eine Art, die Grüne künftig ablehnen würden?

Die Kosovo-Intervention war eine Ausnahme von der Regel. Ob es weitere geben wird, hängt davon ab, ob es gelingt, funktionierende internationale Rechts- und Ordnungssysteme zu schaffen.

Im Programmentwurf der Grünen heißt es zum Thema Globalisierung: „Weltweite Finanzverflechtungen und die zunehmende Spaltung zwischen Arm und Reich entwickeln sich gleichzeitig.“ Erkennen Grüne Ursachen und Wirkungen nicht mehr?

Natürlich verkennen wir nicht, dass die internationalen Finanz- und Wirtschaftsmärkte in ihrer heutigen Verfassung die Spaltung zwischen Arm und Reich vertiefen. Die Antwort auf die Sprengung der Nationalökonomien ist aus grüner Sicht die Stärkung supranationaler Regeln und Institutionen. Wir brauchen ökologische und soziale Leitplanken für den Weltmarkt. Parallel dazu wollen wir regionale Wirtschaftskreisläufe fördern. Aber die Frontalopposition gegen die Globalisierung teilen wir nicht. Wir müssen den Tiger reiten.

INTERVIEW: SVEN-MICHAEL VEIT

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