„Wir haben es satt“-Kongress in Berlin: Wie sich die Bewegung verändert
Die Bewegung für eine neue Agrarpolitik braucht konkrete Forderungen, sagt Demo-Organisator Jochen Fritz. Und weniger Panikmache.
taz: Herr Fritz, am Wochenende diskutiert die Bewegung für eine Agrarwende auf dem „Wir haben es satt“-Kongress in Berlin über ihre Strategie. Warum brauchen wir eine neue Landwirtschaftspolitik?
Jochen Fritz: In den letzten zehn Jahren haben über 100.000 Höfe aufgegeben. Und die Politik reagiert nicht. Jetzt fusionieren Bayer und Monsanto. Da sehen wir die Rechte der Bauern in Gefahr. Hier geht es um die Frage: Wer hat die Macht übers Saatgut?
Warum brauchen Umwelt und Tiere eine neue Agrarpolitik?
Legehennen werden routinemäßig die Schnäbel, Schweinen die Schwänze gekürzt. Immer mehr Pflanzen- und Tierarten sterben aus. Unsere Ernährung trägt massiv zum Klimawandel bei.
Was hat die Bewegung bisher erreicht?
Viele Ställe sind nicht gebaut worden. Es ist eine Riesenbewegung gegen Massentierhaltung entstanden. Das Baugesetzbuch wurde so geändert, dass es für gewerbliche Betriebe nicht mehr leicht ist, außerhalb von geschlossenen Ortschaften zu bauen. Die bienenschädliche Pestizidgruppe Neonicotinoide ist vorübergehend nicht mehr zugelassen. Auf jeden Fall haben wir ein Umdenken in der Gesellschaft angestoßen.
Was meinen Sie damit?
Vielen Leuten ist wieder wichtig, wo ihr Essen herkommt. Und es gibt eine Mehrheit für strengere Umwelt- und Tierschutzregeln in der Landwirtschaft. Auch das Höfesterben ist den Menschen nicht egal.
Die Politik hat sich doch kaum verändert. Die Tierschutzvorschriften etwa sind so lax wie eh und je.
Der 42-Jährige ist Leiter der Kampagne „Meine Landwirtschaft“, die seit 2011 jeden Januar in Berlin eine Großemonstration gegen die Agrarindustrie organisiert. Im Nebenerwerb bewirtschaftet der Agraringenieur einen Biohof.
Ja, die Politik bewegt sich erschreckend langsam. Aber die Energiewende hat ja auch 40 Jahre gebraucht. Wir brauchen einen langen Atem.
Was muss die Bewegung anders machen, um mehr politische Veränderungen zu bewirken?
Daran wollen wir während des Kongresses arbeiten. Ich persönlich glaube: Wir müssen vom Satthaben zum Einmischen kommen. Wir müssen genauer in unseren Forderungen werden. Im Wahljahr 2017 sollten wir konkretere Gesetzesänderungen einfordern.
Zum Beispiel?
Dass man Pestizide und die Antibiotika in der Tierhaltung um mindestens 50 Prozent reduziert. Man müsste die Zahl der Tiere pro Hektar in besonders belasteten Regionen senken.
Sollte die Agrarbewegung mehr Allianzen jenseits des eigenen Dunstkreises schließen?
Absolut. Das haben wir zu manchen Themen, zum Beispiel zum Pestizidthema mit Wasserwerkern, zu Antibiotika mit Humanmedizinern. Doch das Bündnis müsste generell wachsen. Da sind auch die Gewerkschaften eingeladen. Wir sind schon in Kontakt.
Muss die Bewegung auf falsche Behauptungen und Übertreibungen verzichten, um weitere Unterstützerkreise zu erschließen?
Die inhaltliche Auseinandersetzung hat sich in den letzten Jahren verändert, und wir arbeiten daran weiter. Aber man kann sich nicht davon verabschieden, Dinge einfach darzustellen. Sonst erreichen wir die Menschen nicht. Und es ist nicht so simpel wie „Atomkraft nein danke“. „Agrarwende jetzt“ ist viel komplexer.
Von welchen Argumenten sollte sich die Bewegung verabschieden?
Es geht um Bilder, wie das Chlorhühnchen beim geplanten Freihandelsabkommen TTIP zwischen EU und USA. Für mich ist das Chlorhühnchen ein Symbol für die industrialisierte Landwirtschaft, bei der man am Ende mit Chlor behandeln muss, weil das ganze System zu viele Keime erzeugt. Aber: Es wird niemand umfallen, wenn man ein Chlorhühnchen isst. Das sind Bilder, die man produziert hat, um ein Thema zu vermitteln. Da haben wir gelernt, dass wir sprachlich etwas verändern müssen. Und das haben wir in dem Punkt auch getan.
Viele Agraraktivisten behaupten auch, dass der EU-Handelsvertrag mit Kanada (Ceta) der deutschen Landwirtschaft schade. Stimmt das?
Ceta schadet erst mal den kanadischen Milchbauern. Die haben nämlich einen Milchpreis, von dem sie existieren können. Wenn jetzt Europa mehr Käse dahin liefern kann, dann wird da drüben ein Preisdruck entstehen.
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Ceta den europäischen Milchbauern nützt, weil sie neue Exportkontingente bekommen, oder?
Wir müssen von dieser Exportorientierung runter. Was haben wir gewonnen, wenn dafür Berufskollegen in Kanada aufgeben müssen?
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