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Wintersemester der UnisMit Abstand ins Hybridsemester

Nach dem Digitalsemester kündigen die Unis an, zum Normalbetrieb zurückzukehren. Präsenzveranstaltungen bleiben aber wohl die Ausnahme.

Immer noch zu: der Haupteingang der Humboldt-Universität zu Berlin Foto: Britta Pedersen/dpa

Berlin taz | „Die Einführungswoche wird auf jeden Fall anders als sonst“, sagt Paul Klär, angehender Masterstudent im Fach Wissenschaft-Medien-Kommunikation am Karlsruher Institut für Technologie. Die Stadt kennenlernen, andere Studierende treffen, an Kulturveranstaltungen teilnehmen – die meisten dieser Aktivitäten werden im kommenden Wintersemester wegen der anhaltenden Corona-Einschränkungen ausfallen müssen oder digital stattfinden.

„Dadurch geht einiges verloren“, so Klär, der im frisch gewählten Vorstand des Freien Zusammenschlusses von Stu­dent*in­nenschaften (fzs), dem Dachverband der deutschen Studierendenvertretungen, sitzt.

Nachdem der Beginn des Som­mer­semesters im April aufgrund der Coronapandemie verschoben werden musste, wird das kommende Wintersemester an den meisten deutschen Universitäten Anfang November starten – und damit drei Wochen später als üblich. Musste Ende März die gesamte Lehre nach Ausbruch der ­Coronapandemie innerhalb kürzester Zeit auf digitale Formate umgestellt werden, hatten die Hochschulen nun den gesamten Sommer Zeit, das kommende Semester zu planen.

So viel Präsenzlehre wie möglich, so viel digitale Lehre wie nötig – nach diesem Grundsatz wollen die meisten Universitäten im Wintersemester vorgehen. Dennoch ist damit zu rechnen, dass bis auf einige Ausnahmen die meisten Lehrveranstaltungen erneut digital stattfinden werden. „Die Hochschulen dürfen nicht zu Infektions-Hotspots werden“, stellt der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Peter-André Alt, klar.

Dennoch sei Präsenzlehre überall dort unabdingbar, „wo es um praktisches Lehren und Lernen geht, von der Medizin über die Natur- und Ingenieurwissenschaften bis zu Kunst und Musik“. Geschlossene Labore, Bibliotheken und Proberäume hatten insbesondere in diesen Fächern für große Einschränkungen gesorgt.

Persönlicher Austausch an Unis ist wichtig

Ein besonderes Augenmerk wollen die Hochschulen zudem auf Studienanfänger*innen und internationale Studierende legen. „Sie sollen so viel wie möglich in die Häuser kommen und Präsenzveranstaltungen besuchen können“, sagt Sabine Kunst, Präsidentin der Humboldt-Universität und Vorsitzende der Berliner Landesrektorenkonferenz. Natürlich nur mit Mund-Nasen-Schutz und ausreichend Abstand.

Wie wichtig der persönliche Austausch an den Hochschulen ist, zeigen Umfragen verschiedener Universitäten unter den Studierenden zu ihren Erfahrungen im Sommersemester. Dabei zeige sich, dass zwar die Mehrzahl mit dem Verlauf des digitalen Semesters zufrieden gewesen sei, aber „fast einhellig der Wunsch nach baldiger Rückkehr zur Präsenzlehre als Regelfall geäußert wird“, erklärt HRK-Präsident Alt. Der fehlende Austausch mit Kommiliton*innen und mit Lehrenden, die Einsamkeit vor dem Bildschirm, weniger Motivation und Konzentration oder die fehlende Trennung von Wohn- und Studienort mache vielen Studierenden zu schaffen.

In einer Online-Umfrage der Universität Bonn, an der über 5.000 der rund 30.000 Studierenden teilnahmen, gaben rund 76 Prozent der Befragten an, dass das Bilden von Lerngruppen in Präsenzsemestern besser funktioniere. Etwa 65 Prozent hatten im Vergleich zum Präsenzsemester Schwierigkeiten mit Konzentration und Motivation. Nur durchschnittlich sechs von zehn Befragten gaben an, in ihrer Umgebung ungestört lernen zu können.

„Studierende, die nicht über adäquate Arbeitsmöglichkeiten zu Hause verfügen, sollten auf Arbeitsplätze und Endgeräte zurückgreifen können, die die Hochschulen zur Verfügung stellen“, fordert Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Im Sinne des Leitbilds einer inklusiven Hochschule solle der Barrierefreiheit des Online-Studiums höchste Priorität eingeräumt werden.

„Auch das Hybridsemester kann eine zusätzliche Belastung für Studierende bedeuten“, sagt fzs-Sprecher Klär. Folgt eine digitale Lehrveranstaltung unmittelbar auf eine Präsenzveranstaltung, kann es zu zeitlichen Engpässen kommen. „Fehlen dann auch noch die Arbeitsplätze an den Hochschulen und in den Bibliotheken, können dadurch logistische Probleme entstehen“, sagt Klär.

Neben den Studierenden stehen auch die Lehrenden im kommenden Semester weiterhin vor besonderen Herausforderungen. „Der ausgesprochen hohe Mehraufwand in der Lehre wird auch im Hybridsemester bestehen bleiben“, sagt Andrea Geier, Professorin für Literaturwissenschaft an der Universität Trier. Dies sei insbesondere für befristet Beschäftigte problematisch.

Um die zusätzliche Belastung durch ein Semester unter Coronabedingungen für Lehrende und Studierende abzufangen, hatte Geier Ende März einen offenen Brief für ein „Nicht-Semester“ mitinitiiert, der in wenigen Tagen von mehreren Tausend Universitätsbeschäftigten unterzeichnet wurde. Die Forderung lautete: Die Lehre soll – sofern unter den Ausnahmebedingungen möglich – stattfinden, aber das Semester nicht formal zählen. Dadurch sollten insbesondere berufstätige Studierende und Lehrende auf sogenannten Hochdeputatsstellen, also jene mit einem besonders hohen Lehr- und Prüfungsaufwand, entlastet werden.

Inwiefern wurden die Forderungen von der Politik umgesetzt? „Einiges ist erfüllt worden“, stellt Geier fest. In den meisten Bundesländern sei die Regelstudienzeit verlängert worden, sodass sich pandemiebedingte Verzögerungen nicht negativ auf den Studienverlauf und die Bezugsdauer von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) auswirken.

Das Berliner Abgeordnetenhaus hat am 17. September eine Änderung im Hochschulrecht beschlossen, die außerdem vorsieht, dass Studierende mehr Zeit für das Ablegen von Prüfungen bekommen. Wer eine Prüfung im Sommersemester abgelegt und nicht bestanden hat, kann diese wiederholen. Diese Regelung gilt ebenfalls für das kommende Wintersemester. Die Forderung von Stu­die­ren­den­ver­tre­ter*in­nen, auch bei bestandenen Prüfungen eine Wiederholung zur Notenverbesserung zu ermöglichen, wurde jedoch nicht aufgenommen.

Die BAföG-Zahlen gehen zurück

Von der Verlängerung der Regelstudienzeit profitieren allerdings nur diejenigen Studierenden, die einen BAföG-Anspruch haben. Der Anteil der geförderten Studierenden lag im vergangenen Jahr bei nur 11 Prozent. Mit einem Rückgang von 5,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr erreichte die Anzahl der BAföG-­Em­pfänger*innen im Jahr 2019 damit ein historisches Allzeittief.

Während Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) den Rückgang der Gefördertenzahlen mit der guten wirtschaftlichen Lage im Jahr vor der Coronapandemie begründet, machen Studierendenorganisationen und Gewerkschaften zu niedrige Freibeträge und Förderzahlungen sowie die hohen Hürden bei der Antragstellung für den Trend verantwortlich.

Die Coronakrise hat viele Studierende in Finanznöte gebracht. In vielen studentischen Beschäftigungsfeldern sind Nebenjobs weggebrochen, allein im Gastgewerbe gab es bis Ende Juni mehr als 300.000 Minijobs weniger. Um Studierende in finanzieller Not abzusichern, hatte das Bundesbildungsministerium einen vorübergehenden Notfonds aufgelegt.

Die meisten Studierenden hatten bei der Beantragung der Nothilfe unter 100 Euro auf ihrem Konto

Wer über Kontoauszüge nachweisen konnte, durch weggebrochene Einnahmen weniger als 500 Euro auf dem Konto zu haben, bekam von Juni bis September eine Überbrückungshilfe von bis zu 500 Euro pro Monat ausgezahlt. Dieses Geld muss nicht zurückgezahlt werden. Über unverzinste Darlehen bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) sollten sich alle anderen Studierenden über Wasser halten. Bisher haben laut Bildungsministerium Zehntausende Studierende Kredite in Höhe von insgesamt fast 1 Milliarde Euro beantragt. Die Zahl der Anträge ist fast viermal so hoch wie im Vorjahr.

Vorhaben sei „absolut realitätsfremd“

Bei Gewerkschaften, Oppositionsparteien und Studierendenvertretungen stieß das Vorhaben von Bildungsministerin Karliczek auf harsche Kritik: Als „absolut realitätsfremd“ bezeichnet fzs-Sprecher Klär die Bedingung, erst bei einem Kontostand von unter 500 Euro einen Zuschuss zu erhalten.

Im Durchschnitt wurden über 400 Euro pro Antrag an die Studierenden ausgezahlt. „Dass die meisten Studierenden bei der Beantragung der Nothilfe unter 100 Euro auf ihrem Konto hatten, zeigt eindrücklich, wie dringend viele Studierende auf die Unterstützung angewiesen sind“, sagt Klär. Viele Studierende seien vor die Wahl gestellt worden, sich zu verschulden oder ihr Studium abzubrechen.

Wie viele Studierende in Deutschland ihr Studium tatsächlich aufgrund der Pandemie abbrechen mussten, ist schwer einzuschätzen. Aus einer Anfrage des Berliner Abgeordneten Tobias Schulze (Linkspartei) an den Senat geht hervor, dass die Abbruchzahlen in den Monaten Februar bis Juni in der Hauptstadt um rund 20 Prozent höher lagen als im Vorjahr.

Da die Auswirkungen der Pandemie die Studierenden erst trafen, als der reguläre Rückmeldezeitraum für das Sommersemester abgeschlossen war, ist damit zu rechnen, dass noch mehr ihr Studium abbrechen.

Nach nur vier Monaten liefen die Coronahilfen für Studierende bereits Ende September aus. Während vor steigenden Infektionszahlen gewarnt wird und die Auswirkungen der Pandemie auf den Arbeitsmarkt noch lange nicht überwunden sind, erklärt die Bildungsministerin die Corona­krise für Studierende damit quasi für beendet. Die Planungen für das anstehende Hybridsemester zeigen jedoch: Auch die Universitäten sind vom Normalbetrieb noch weit entfernt.

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