Winter in der Zukunft: Schnee nur im Museum
Zum Glück fingen Straßenarbeiter im „Jahrhundertwinter“ 2040 die letzten in der Stadt gesichteten Schneeflocken und retteten sie für die Menschheit.
W ir schreiben das Jahr 2055. Kaum eine der unter Dreißigjährigen hat im Leben jemals Schnee gesehen. Entsprechend herrscht beim Betrachten alter Wochenschauen aus dem frühen 21. Jahrhundert, in denen Jackass-Typen in kackbuntem Outfit auf Brettern über eine offensichtlich koksartige Substanz bergab rutschen, amüsiertes Erstaunen vor. Daneben spricht eine Moderatorin von einem heftigem „Wintereinbruch“. Was labert die Alte? Und warum sehen die Straßen so aus, als wären sämtlichen Kunden vorm Baumarkt die Alpina-Eimer vom Gepäckträger gerutscht?
Das Schneemuseum am Gendarmenmarkt zeigt vergilbte Fotografien vom alten Berlin mit dem verschneiten Dach des längst abgerissenen Hauptbahnhofs. Im Vortragssaal erklären Naturforscher an Kunststoffmodellen verschiedene Formen von Schneekristallen, und im Keller des Gebäudes stehen die Besuchenden vor dem Allerheiligsten Schlange: Durch eine Panzerglasscheibe vor einem Gefrierschrank bestaunen sie „Deniz und Torben“ („Schnurz und Piepe“, wie angeblich die Berliner sagen), die zu Ehren der beiden aufmerksamen Straßenarbeiter benannt sind, die diese zwei letzten in der Stadt gesichteten Schneeflocken im „Jahrhundertwinter“ 2040 auffingen und so für die Menschheit retteten. Seitdem wurde derlei Wetterphänomen hierzulande nicht mehr beobachtet, und das wird wahrscheinlich auch so bleiben.
Noch reichlich Schnee gibt es dafür am Südpol. Das gilt jedoch nur für den antarktischen Winter. Im Sommer genießen die vor der Hitze in ihrer Heimat geflüchteten Digital Nomads in der Mitternachtssonne vor dem Penguin Backpackers Guesthouse einen vorzüglichen 2050er Riesling Dronning Maud vom Nordhang des Jøkulkyrkja.
Bei mir zu Hause läutet derweil der „Dry January“ das dritte Jahr ohne Niederschlag ein. Als Teil einer winzigen Minderheit der „Faktenknechte“ (O-Ton Mehrheit) hänge ich mit einem Ohr gebannt am Volksempfänger, wenn freitags immer die neueste Folge von „Fiese Mücke“ gesendet wird, dem Malaria-Podcast des NDR mit Dr. Finn Drosten, einem Großneffen des Virologen Christian Drosten.
Finn ergeht es dabei wie einst seinem berühmten Onkel: Jede seiner Aussagen wird ihm von einem Mob aus Homöopathen, Reichsbürgern und Kleinkünstlern um die Ohren geschlagen, die alles natürlich viel besser wissen als der Experte: Malaria gibt es nicht – das lehrt uns schließlich der gesunde Menschenverstand.
„Seit Dummheit hier im Rang einer Wissenschaft steht“, spottet mein polnischer Futurologe Zbigniew, „ist Deutschland endlich wieder das Land der Dichter und Denker.“
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