Jackass 3D: Ein Fetisch neuer Sichtbarkeiten

Johnny Knoxville und seine Crew tun sich spektakulär weh und filmen sich dabei. Das ist noch nichts neues. Neu ist, dass das alles in 3D gefilmt wird.

Philip John Clapp alias Johnny Knoxville in Berlin bei der Premiere von "Jackass 3D". Bild: dapd

An einem der vielen Anfänge der Filmgeschichte stand eine einfache wissenschaftliche Frage: Hat das Pferd im Galopp zu irgendeinem Zeitpunkt alle Hufe in der Luft? Was das bloße menschliche Auge nicht zu erfassen vermag, hob Eadweard Muybridge 1872 mittels einer seriellen Fotoschaltung ins Regime der Sichtbarkeit. Medientechnologie erschließt den Sinnen, was ihnen ansonsten immer schon entwischt ist.

Mit Medientechnologie geht auch der nunmehr dritte "Jackass"-Kinostreich von der Crew um Johnny Knoxville hausieren: 3D steht hier schon verheißungsvoll im Titel. Das werbeträchtige Immersionsversprechen der 3D-Technik ist allemal ein Grund, eine zuletzt etwas brachliegende Marke wieder zu beleben:

Die waghalsigen Stunts der Knoxville-Factory sind auch im zehnten Jahr noch immer zwischen Stierkampfexperiment, debilem Kastrationshumor, brachialem Technikmissbrauch und derber Fäkallust angesiedelt, sie gelingen noch immer gerade dann, wenn sie katastrophal nicht gelingen, und richten sich damit noch immer gegen jedes bürgerliche und auch sonstige Geschmacksempfinden.

Dies allein wäre noch kein Grund zur Rückkehr auf die Leinwand, doch 3D-gestärkt fliegt einem die Scheiße nun endlich richtig um die Ohren. Da erbricht sich nicht nur der Kameramann regelmäßig ins teure Gerät, vor der Pressevorführung lagen Brechtüten aus.

"Jackass 3D" entwickelt einen regelrechten Fetisch neuer Sichtbarkeiten: Super-SloMo-Verfahren, die einen minutiösen Nachvollzug von Bewegungsabläufen im Millisekundenbereich gestatten, finden allenthalben spektakuläre Anwendung, als lägen zwischen Muybridge und Jackass noch keine 140 Jahre.

Die Stuntleute überantworten ihre Körper damit nicht nur regelmäßig der Domäne herber Schmerzerfahrungen, sondern geben damit noch deren unwillkürlichste Regungen und Reaktionen dem Kinoauge preis. Die Wogen und Wellen eines übergewichtigen, nackten Männerkörpers etwa, auf den schockartig ihn übersteigende Kräfte einwirken, werden zur lustvoll ausgekosteten filmischen Sensation erhoben: das Leiden anderer betrachten.

Was Digitalknipsen mit zweistelligen Megapixelzahlen, die jedes Nasenhaar skrupellos der Intimsphäre entreißen, bereits erahnen lassen, wird bei "Jackass 3D" zur Gewissheit: Von der Digitaltechnologie geht für das Menschenbild keine neue Klassik aus. Und Nietzsches Forderung nach einer fröhlichen Wissenschaft hat mit einem Mal einen ganz neuen Klang.

So wird "Jackass 3D" allem schmerzhaften Herumgealbere zum Trotz Mittel der Erkenntnis - und der Subversion: Der Zurichtung des Körpers unter dem Wellness- und Gesundheitsdiktat, das nicht vom Wohlbefinden des Einzelnen, sondern von dessen Arbeitsbefähigung her denkt, entziehen sich die Mitglieder der Jackass-Crew, indem sie in ihr "Humankapital" unter konsequenter Eigenmissachtung fröhlich sabotieren.

Dass zur Wertschöpfung der Resultate dieser Strategie schon wieder eine sich stets flexibel erweisende Kulturindustrie bereit steht, ist freilich eine andere Geschichte.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.