Windkraft-Ausbau in Berlin: Aufziehende Turbulenzen
Der Senat hat acht Flächen bestimmt, auf denen Windräder errichtet werden könnten. Ob sich dort wirklich bald die Rotorblätter drehen, ist jedoch offen.

Acht Gebiete will die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung als besonders geeignet für die Aufstellung von Windrädern ausweisen und dafür den Berliner Flächennutzungsplan ändern. Damit soll die gesetzliche Vorgabe erfüllt werden, nach der alle Bundesländer einen bestimmten Anteil ihrer Fläche für diesen Zweck „planerisch sichern“ müssen.
Für die Flächenländer schwankt dieser Anteil zwischen 1,8 und 2,2 Prozent, im Stadtstaat Berlin sind es nur 0,25 Prozent bis Ende 2027 und 0,5 Prozent bis Ende 2032. Das entspricht rund 450 Hektar und damit immerhin den Ausmaßen des ehemaligen Flughafens Tegel.
Erst mit der Freischaltung der Daten für die Öffentlichkeitsbeteiligung werden die genauen Umrisse der acht Flächen ersichtlich sein. Seit einigen Wochen steht immerhin grob fest, wo sie sich befinden: etwa am nördlichen Pankower Stadtrand, im Forst nördlich des Müggelsees, auf den Gatower Rieselfeldern in Spandau, am Teufelsberg im Grunewald sowie im Waldgebiet Jungfernheide am Rand des bereits erwähnten Ex-Flughafens.
Umweltverbände warnen vor falschen Weichenstellungen
Heißt das, dass sich schon in einigen Jahren riesige Rotorblätter über beliebten Naherholungsgebieten drehen? Dass Lichtungen in den darbenden Berliner Wald geschlagen werden, um den Klimazielen Genüge zu tun? Nein: So schnell mahlen die Mühlen bekanntlich nicht. Es ist aber auch nicht auszuschließen, dass neben Kiefern und Eichen bald auch Turbinen in den Berliner Forsten wachsen – weshalb Umweltorganisationen schon vor falschen Weichenstellungen warnen.
Laut der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die federführend in der Sache ist, hat sich der Senat „zum Ziel gesetzt, die bundesgesetzliche Vorgabe zu erfüllen“ – denn anderenfalls greife „ein im Gesetz verankerter Automatismus, der zukünftig eine sinnvolle räumliche Steuerung der Windenergienutzung schwieriger macht“. Gemeint ist: Wenn ein Bundesland seine Windenergie-Vorranggebiete nicht rechtzeitig definiert, wird der Bau von Windkraftanlagen auf der gesamten Fläche dieses Bundeslandes zulässig.
Berlin hat gar keine Einschränkungen erlassen
Genau das haben die Länder in den vergangenen Jahren immer weiter erschwert, insbesondere durch Regelungen zum Mindestabstand von Windparks zur nächstgelegenen Wohnbebauung. Herausragendes Beispiel ist Bayern, wo jahrelang die „10H-Regelung“ galt, nach der, vereinfacht gesagt, ein Windrad mindestens um das 10-Fache seiner Höhe von Wohngebäuden entfernt sein musste. Das würgte den Bau neuer Anlagen praktisch ab.
Aber wie der hiesige Landesverband des BUND schon vor einigen Jahren in einem Positionspapier hervorhob, ist dieses Szenario für Berlin nicht wirklich erheblich. Denn als einziges Bundesland hat es gar keine derartigen Einschränkungen für Windenergie aufgestellt. Würde Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) nicht tätig, bliebe einfach der Status quo erhalten.
Sind die Vorzugsflächen aber erst einmal ausgewiesen, tritt der von Senator Gaebler erwähnte Automatismus in Kraft: Dann werden alle übrigen Flächen im Land „entprivilegiert“. Das bedeutet zwar nicht, dass die Errichtung von Windrädern an anderen Stellen verboten wäre, aber es bedürfte immer eines bezirklichen Bebauungsplans – eine viel höhere Hürde gegenüber heute. Wobei Gaebler zugleich zu Recht feststellt, dass umgekehrt die Ausweisung der Windenergiegebiete nicht zwangsläufig bedeute, dass dort unmittelbar nach der Änderung des Flächennutzungsplans Windräder errichtet würden. Eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung werde auch weiterhin notwendig sein.
Warum nicht auf Gewerbeflächen?
Die Berliner Umwelt- und Naturschutzorganisationen arbeiten aktuell noch an einer gemeinsamen Position zum Thema. Einige von ihnen wie der Nabu nahmen in der Vergangenheit eine deutlich kritischere Haltung gegenüber dem Windkraftausbau ein als andere, etwa der BUND. Letzterer pocht immer auch auf die klimapolitische Notwendigkeit der erneuerbaren Energien.
Eine Nabu-Sprecherin sagte der taz, man stehe den Plänen der Senatsverwaltung „sehr kritisch“ gegenüber, „denn Vorranggebiete für den Windenergieausbau wurden weitestgehend in Landschaftsschutzgebiete oder Wälder gepackt“. Dagegen seien Industrie- und Gewerbeflächen fast komplett ausgespart worden. Diese müssten stattdessen zur Nutzung für Windkraft umgewidmet werden, bestehende rechtliche Hürden gelte es abzubauen.
Dagegen sei Windenergie in Wäldern abzulehnen, denn diese Ökosysteme würden dadurch „massiv in ihrer Funktion gestört“. Das liege nicht nur am Platzbedarf der Windräder selbst, sondern auch an den Zuwegungen und Abstandsflächen, die der Brandschutz erfordere. Das sieht auch der BUND so: Gegen Windräder in Berlins Wäldern sprächen „die damit verbundenen Konflikte mit dem Natur- und Artenschutz“, aber auch die „überragende Bedeutung für die Naherholung“, heißt es im Positionspapier.
Nicht nur von den NaturschützerInnen ist Gegenwind für Gaebler zu erwarten. Auch einige der betroffenen Bezirke haben sich schon fehlendes Verständnis signalisiert. So lehnte der Spandauer Umweltstadtrat Thorsten Schatz (CDU) den Standort in den Gatower Rieselfeldern – einem Landschaftsschutzgebiet – kategorisch ab. Das Büro des Stadtrats für Stadtentwicklung von Charlottenburg-Wilmersdorf, Christoph Brzezinski (ebenfalls CDU), teilte der taz auf Anfrage mit, man bewerte den Standort am Teufelsberg im Grunewald „nach wie vor als sehr kritisch“, auch wenn er nach dem jüngsten Planungsschritt nun kleiner ausfalle.
Die von Brzezinski vorgebrachten Argumente entsprechen im Prinzip denen von Nabu und BUND: Es seien eine „gravierende Beeinträchtigung der Freiraum- und Erholungsfunktion“ und ein „hoher Erschließungsaufwand des Waldgebietes“ zu befürchten. Auch gebe es angesichts der den Teufelsberg dominierenden historischen Radarstation Konflikte mit dem denkmalrechtlichen Umgebungsschutz. Und: Das Gebiet grenze an ein Vogelschutzgebiet und ein Flora-Fauna-Habitat-Gebiet.
Windräder als Einnahmequelle
Eine etwas andere Herangehensweise hat die grüne Bezirksbürgermeisterin von Pankow, Cordelia Koch. Sie hatte vor zwei Wochen nach Bekanntwerden der neuen Flächenplanung zu Bedenken gegeben, dass der Bezirk pro Windrad 150.000 Euro Jahrespacht einnehmen könne – ein gewichtiges Pro-Argument. Auf taz-Nachfrage räumt Koch ein, dass mit diesem Betrag nicht pauschal zu rechnen sei, es aber durchaus um ansehnliche Summen gehe. Konkret schwebt ihr die Zahl von vier neuen Anlagen am Standort Buchholz-Nord vor. Dort, unweit des Berliner Rings, drehen sich schon heute einige der wenigen Bestands-Windräder Berlins.
Auch der energiepolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Stefan Taschner, findet, es mache am meisten Sinn, Windkraftanlagen zu „clustern“, also bestehenden Exemplaren weitere hinzuzufügen. Das sei in Hinblick auf den Artenschutz vorzuziehen, weil sich Tiere schon an die Anlagen gewöhnt hätten. Das von Gaebler vorgeschlagene Gebiet Wartenberg/Falkenberg, das in den Bezirken Pankow und Lichtenberg liegt, sieht er hingegen kritisch – in der näheren Umgebung nisteten Störche, für die Windräder ein Problem sein könnten.
Andererseits, so Taschner, stünden die Grünen „klar auf der Seite von Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey“, die sage, dass Berlin seinen Beitrag zur Windenergienutzung nicht einfach komplett dem umgebenden Bundesland aufhalsen könne. Die Anpassung der Flächenplanung sei „ein wichtiges Zeichen gegenüber den Brandenburgern.“
Im Prinzip hätte Berlin tatsächlich die Möglichkeit gehabt, auf Kosten des Nachbarlands um weitere Windkraft herumzukommen: Stadtstaaten hatten laut Gesetz die Möglichkeit, bis zu 75 Prozent des Areals auf Flächenländer zu übertragen. Diese Überlegung gab es für Berlin – allerdings lief die entsprechende Frist 2024 ab. Offenbar trug auch der vorgezogene Bundestags-Wahlkampf dazu bei, dass dieses Projekt liegenblieb.
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