Wildschweine in Berlin und Brandenburg: Es gibt Wildschwein!
Zu viele Wildschweine – wo ist das Problem? Die Berliner könnten die Tiere einfach verspeisen. Ihr Fleisch ist gesund und so gut wie Biofleisch.
Es gibt also zu viele Wildschweine in Berlin, gemeinhin als „Hauptstadt der Wildschweine“ betitelt. „Seit Ende der 1990er Jahre hat auch in Berlin die Zahl der Wildschweine deutlich zugenommen“, berichtete die ARD schon vor zwei Jahren in der Wissenschaftssendung „Planet Wissen“: „Schätzungen gehen von insgesamt etwa 5.000 Tieren rund um Berlin aus.“ Tendenz steigend.
Doch wo ist das Problem? Man könnte die Wildschweine ganz so wie Obelix kurzerhand verspeisen. Die Italiener machen das längst so. Auch dort sind die Wälder voller Wildschweine, weshalb man ihr Fleisch in vielerlei Varianten auf den Speisekarten von Restaurants und in den Auslagen von Metzgereien findet – das ganze Jahr über.
Mit deutscher Wildschweinküche (etwas eintönig und eh aus der Mode gekommen) hat das nicht viel zu tun. „Nichts ist schwer an den Gerichten“, schrieb das Zeit Magazin im Winter letzten Jahres über das italienische Wildschweinwunder. „Ein wenig Olivenöl, Gemüse, Gewürze, mehr braucht es nicht.“ Und weiter: „Die Fasern zerfallen auf der Zunge und bleiben doch saftig. Kein noch so leichter Fehlgeschmack, keine Strenge.“ Ach! Darum: Berliner, esst mehr Wildschwein!
Ein Eigenversuch, Rezepte gibt es im Internet schließlich mehr als genug, ergibt: Es stimmt! Mit Wildschweinfleisch lässt sich zum Beispiel ein Gulasch voller Raffinesse zaubern. Das Fleisch kann man sich aus der Tiefkühltruhe des Supermarkts holen; es stammt dann meist aus Spanien, Osteuropa oder Übersee – und damit eventuell aus Gehegen – und hat mitunter eine mindere Qualität. Oder man kauft es frisch in einem Fachgeschäft – ein Kilo Gulasch kostet um 18 Euro –, das Fleisch kommt dann direkt vom Jäger, also aus dem Wald.
Der Haken: In Berlin darf kein Schwarzwild geschossen werden. Das ist einerseits blöd. Andererseits macht das nichts, denn in Brandenburg sieht die Sache ganz anders aus. „Wildschweine sind in Brandenburg das ganze Jahr über jagdbar“, erklärt Erich Einecke der taz am Telefon.
Erich Einecke ist Inhaber des Wildfleischverkaufs im Gasthaus am Gorinsee in Schönwalde, einem Ortsteil von Wandlitz. Seit 25 Jahren macht seine Familie in Wild. Einecke ist Jäger und schießt das Wild selbst, das er anbietet, auch Wildschweine. Bei ihm kann man Rollbraten, Filet und Gulasch vom Wildschwein kaufen, auch Wildschweinnacken oder -keule, ebenso Wildschweinschmalz und verschiedene Wildwurstspezialitäten wie Bratwurst. Es gibt außerdem einen Partyservice.
Wie gesund ist Wildschweinfleisch? Erich Einecke kommt bei der Frage als Erstes auf aktuelles Geschehen zu sprechen: „Alle haben gerade Angst wegen der Afrikanischen Schweinepest. Die ist zwar für den Menschen ungefährlich, man könnte das Fleisch weiterhin essen, aber das lässt die Lebensmittelüberwachung nicht zu.“ Das Problem derzeit: „Wenn die Schweinepest nach Deutschland hinüberschwappen sollte, die Gefahr besteht ja seit zwei Jahren, ist der Weg von den Wildschweinen zum Hausschweinebestand nicht weit. Das wäre ein großer volkswirtschaftlicher Schaden, deshalb wird ja mit allen Mitteln an der Grenze zu Polen mit Zäunen und so weiter dagegen gekämpft.“
Zurück zur Frage: Wie gesund ist Wildfleisch?
Wildfleisch ist sehr fettarm. Es ist reich an B-Vitaminen, die den Stoffwechsel unterstützen und das Herz schützen, und enthält lebenswichtige Spurenelemente wie Eisen (für den Sauerstofftransport zu den Zellen), Zink (stärkt das Immunsystem und Selen (bindet freie Radikale).
Die Stiftung Warentest hat bereits vor Jahren darauf hingewiesen, dass Wildbret auch „Gefahren bergen“ kann: „Regelmäßig wird vor hohen Bleigehalten gewarnt.“ Grund dafür sind die bei der Jagd übliche Bleimunition und kleinste Splitter, die eventuell beim Herausschneiden des Schusskanals übersehen werden. Blei ist giftig und reichert sich im menschlichen Körper an, höhere Konzentrationen könnten die Blutbildung stören, innere Organe und das Nervensystem schädigen. Zugleich gab es Entwarnung für Normalverbraucher: Allzu oft würde man Wildfleisch ja nicht essen. „Menschen, die etwa zehn Wildmahlzeiten im Jahr verspeisen, hätten kein erhöhtes Gesundheitsrisiko durch Blei“, wird das Bundesinstitut für Risikobewertung zitiert.
Die Belastung mit radioaktivem Cäsium, so die Stiftung Warentest, wäre eher ein Problem in den durch das Reaktorunglück 1986 in Tschernobyl und den darauffolgenden radioaktiven Regen verseuchten Waldgebieten in Bayern, Baden-Württemberg und Thüringen.
Bio ist es sowieso
Aus Gründen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes darf Wildschweinfleisch (wie auch anderes Wildbret) pro Kilogramm nicht mehr als 600 Becquerel aufweisen. Die Jäger in den betroffenen Gebieten sollen das selbst messen. Grundsätzlich sind die Jäger ohnehin für die hygienische Unbedenklichkeit des Fleisches verantwortlich, also auch für die vorgeschriebene Trichinenuntersuchung (auf Parasiten) durch den zuständigen Amtstierarzt.
Eine ganz andere Angelegenheit ist der Geschmack von Wildbret: Viele Menschen mögen kein Wildschweinfleisch und essen generell kein Wild. Was würde Erich Einecke denen entgegnen? „Natürlich gibt es einen typischen Wildgeschmack, aber der ist nicht übermäßig stark und eine ganz natürliche Sache, das Wild muss ja auch nach Wild schmecken, es muss ja auch einen Unterschied zu anderen Fleischsorten geben. Und Wild essen ist ja keine alltägliche Geschichte, es ist eine Bereicherung, weil es mal etwas anderes ist.“
Und bio ist es sowieso: „Es ist natürlich in der freien Natur aufgewachsen, hat sich viel bewegt – wie bei anderen Wildarten.“ Keine Medikamente, kein Stress, kein künstliches Futter – wegen eines Wildschweins muss kein Stückchen Amazonas sterben. Ökologischer und nachhaltiger geht es kaum. Das wahre Biofleisch.
Wildbratwurst gab es übrigens im vergangenen Herbst einmal eine Woche lang in der taz-Kantine zu essen – sie war ein echter Erfolg.
Treibjagd in der Schorfheide: Schwerpunktthema Wildschweine in der gedruckten taz.berlin am Wochenende
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