Wiener Schau zu Modedesigner Lang: Sei ganz du selbst, aber mach was draus!
Helmut Lang hielt das postindustrielle Feeling der 90er in seinem Design fest. Nun widmet ihm das Museum für angewandte Kunst eine Retrospektive.
Mit Helmut Lang wurde Mode in den 1990ern zum lustvollen Verwirrspiel zwischen Werbung, Kunst und Technologie. Formale Reduktion und genderübergreifende Sichtweisen seiner Kollektionen liefern Spielmaterial für eine Gesellschaft, die Identität gerade als Produktivkraft entdeckt. „Séance de Travail 1986–2005“, eine Retrospektive im Wiener Museum für angewandte Kunst, führt ins Archiv eines Designers, an dem sich die Branche bis heute abarbeitet.
Von Helmut Lang kennt man zumindest die linke Gesichtshälfte. Das von ihm gefertigte Porträt der Wiener Fotografin Elfie Semotan von 1994 zeigt den Kopf des Modemachers nur angeschnitten mit viel Weißraum. Grob gerastert in Schwarz-Weiß wird sein starrer Blick zusammen mit den gesperrt gesetzten fetten Lettern seines Namens zur Signatur für einen Prozess schöpferischer Zerstörung in der Mode.
Nach dem Karneval der 1980er Jahre samt Puffärmeln, Schulterpolstern und rokokohaft polarisierenden Inszenierungen im Verhältnis der Geschlechter versprachen Langs Stücke in Schwarz, Weiß und blassen Erdtönen Schönheit als fragilen Zustand inmitten postindustrieller Tristesse wiederzuentdecken.
Die Ausstellung zeichnet aus dem Archiv, das Lang dem Museum 2011 überlassen hat, die Praxis seiner Entwürfe und die Strategien ihrer Durchsetzung nach. „Séance de Travail“ hatte damals schon Lang seine Präsentationen in Paris genannt, die sich zunehmend von Laufstegparaden zu postdramatischen Inszenierungen eines Gesamtraums entwickelten.
„Helmut Lang. Séance de travail“. Museum für angewandte Kunst (MAK) Wien, bis 3. Mai 2026
Reduzierte Formen, geschickte Proportionen
Nach zwei Jahrzehnten war die Party vorbei. Umsätze brachen ein. 2005 verkaufte Lang den Rest seiner Firmenanteile, nachdem Prada schon seit 1999 Mehrheitseigentümer war. Seine Jeans-Linie, die Gebrauchskleidung in hochpreisige Objekte der Begierde verwandelte, wurde zurückgestutzt, um das zu tun, was Luxusmarken sonst tun: Handtaschen verkaufen. Als bildender Künstler zog er sich ins Privatissimum nach Long Island zurück.
Heute erzielen seine Stücke aus den 1990ern Höchstpreise. Sie sind die Basis für Sekundärkarrieren junger Sammler wie Michael Kardamakis in Berlin und David Casavant in New York, denen Zeitschriften inzwischen eigene Strecken widmen. Nicht nur die heutige Designergeneration recherchiert in den historischen Beständen. Casavants Verleih bedient die Fotoshootings illustrer Prominenz. Was sagt es über die Gegenwart aus, wenn Stars und Sternchen aussehen wollen wie ihre Antipoden in den 1990ern?
In reduzierten Formen und geschickten Proportionen umspielen Langs Stücke die Körper knapp, aber ohne Zwang. Die Wiener Schau zeigt bis in die Details von Accessoires und Unterwäsche, wie er um die Körper herum mit der Kleidung skulptural arbeitet, jede Linie neu denkt. Es ist die stetige Verfeinerung dessen, was der Wiener Barkeeper Peter Scepka als Autodidakt begann, bevor er Helmut Lang wurde. Er ließ nach eigenen Entwürfen einfache Kleidung für sich selbst fertigen.
Sein Minimalismus unterscheidet sich grundlegend von den früheren Reduktionsstrategien der Moderne. Diese gehen von der Produktion aus, normieren zur effizienteren Nutzung von Ressourcen. Lang denkt nachindustriell, entwickelt so etwas wie Passstücke, die sich bruchlos an die individuellen Körper schmiegen, als seien sie eigens für sie entwickelt. Sie locken mit dem Schein einer persönlichen Beziehung der Träger:innen zum Entwurf, werden zum Fetisch, der verspricht, übers gute Aussehen hinaus Identitätsentwürfe zu bezaubern. Für ihre Verwendung machen diese Stücke wenig Vorgaben. Was elegant wirkt, ist auch praktisch.
Alles ist verflüssigt
Langs Mode inszeniert sich nicht genderfluide in einem heutigen Sinn, zeigt sich aber deutlich verflüssigt. Hinter der vermeintlichen Uniformität der Entwürfe entsteht vielmehr Raum für neue Ambivalenzen und erotische Spielmöglichkeiten. Lang wird zum Designer einer Epoche, die Identität als individuellen schöpferischen Prozess denkt, der Befreiung verspricht und zugleich dem ökonomischen Kalkül unterwirft: Sei ganz du selbst, aber mach was draus!
Es überraschen Materialkombinationen. Textiles und Gummi, ein Gürtel aus Federn, das schicke Kondomtäschchen scheint mitten in der Aids-Krise sehr zeitgemäß. Es gibt Bomberjacken mit Epoxidharzschicht, Motorradknieschützer in Freizeithosen oder manchmal für gutes Geld einfach nur Nylon. Den Preis für die kreative und intellektuelle Leistung untermauert Lang nicht mehr mit der Wertigkeit ihrer Materialien. Vielleicht erklärt das auch seine Affinität zur Kunst. Nur sie kann Wasser in Wein verwandeln, Wert schöpfen losgelöst vom eingesetzten Wert.
Was seine Kritiker als Dekadenz zweiter Ordnung ankreiden, ist nicht irrationaler als die Gesellschaft, die es goutiert. Nach dem Bling-Bling der 1980er kam der Dünkel derer, die noch am einfachsten Material die Überlegenheit des Entwurfs zu erkennen wussten. Seine Kollektionen werden zu Lehrstücken über die stetige Ausdifferenzierung der „feinen Unterschiede“ in der Postmoderne.
Eine CD-ROM in der Hand
Geschickt changierte Helmut Lang zwischen Mode, Werbung, Kunst und neuen Technologien. 1998 halten die Mandarins der Branche statt Einladungen für die erste Reihe nur eine CD-ROM in der Hand, auf der sie seine im damals jungen Medium Internet gestreamte Präsentation nachschauen konnten.
In seiner Kommunikationsstrategie gehört er dennoch zur alten prädigitalen Welt. Die Kampagnen adressierten den Mainstream einer von Print- und Broadcastmedien erschlossenen Öffentlichkeit. Vielleicht ein letztes Mal wurde Mode Leitmedium einer Zeitdiagnose, bevor sie sich in den Wärmetod der Gegenwart verabschiedete, in der getrieben von der Nervosität des Finanzkapitals alle alles gleichzeitig tun.
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