Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine: „Wiederaufbau ist Widerstand“
Wiederaufbau im Krieg? Deutschland will mehr zivile Hilfe für die Ukraine. Grünen-Politikerin Deborah Düring ist offen für eine Reform der Schuldenbremse.
taz: Frau Düring, an diesem Dienstag und Mittwoch treffen sich Wirtschaft, Zivilgesellschaft und politische Vertreter:innen, um über den Wiederaufbau der Ukraine zu sprechen. Wie kann das funktionieren in Kriegszeiten?
Die 29-Jährige gehört seit 2021 der Grünen Fraktion im Bundestag an. Sie ist Sprecherin für Außenpolitik der Fraktion.
Deborah Düring: Wiederaufbau ist Widerstand, hat die stellvertretende Ministerin für Wiederaufbau in der Ukraine, Oleksandra Azarkhina, einmal gesagt. Die ukrainische Gesellschaft kämpft jeden Tag auf unterschiedliche Art und Weise gegen den russischen Angriffskrieg, und das sind natürlich die Soldatinnen und Soldaten an der Front, die dagegen kämpfen. Aber es sind eben auch die Ärztinnen und Krankenpflegerinnen, die in Krankenhäusern Verwundete behandeln. Es sind die Lehrerinnen und Lehrer, die Schülerinnen und Schüler weiterhin mit Bildung versorgen, damit die Ukraine auch perspektivisch gut ausgebildete junge Leute hat, die das Land wieder aufbauen.
Es sind Therapeutinnen und Sozialarbeiter, die psychosoziale Unterstützung für Traumatisierte leisten. Es sind also genau die Menschen, die Versorgungsstrukturen in Dörfern und in Städten reparieren oder aufbauen, die natürlich auch Häuser mit Strom brauchen, in denen sie wohnen können und Schulen, in die sie ihre Kinder schicken können. Der Wiederaufbau ist ein elementarer Teil, um eine resiliente Gesellschaft aufrechtzuerhalten.
Öffentlich wird vor allem über Waffenlieferungen gesprochen. Zivile Hilfe geht unter.
Für mich persönlich funktioniert das am Schluss nur zusammen. Es ist klar, dass wir die Ukraine militärisch unterstützen. Aber wir leisten auch mit deutschen Geldern etwa im Bereich des Wiederaufbaus auf unterschiedlichen Ebenen dauerhaft Unterstützung. Sei es, dass wir Generatoren zur Verfügung stellen, dass wir Finanzierung für den Aufbau von Häusern, Straßen und Energieinfrastruktur zur Verfügung stellen. Am Schluss ist es vielleicht nicht die große Schlagzeile, aber es ist doch ein sehr relevanter Faktor.
Schätzungen der Weltbank zufolge wird der Wiederaufbau rund 450 Milliarden Euro kosten. Wer soll das bezahlen?
Es ist klar, dass Russland für den Angriffskrieg und die Zerstörung verantwortlich ist. Die Bundesregierung arbeitet auch im Europarat daran, Russland zur Verantwortung zu ziehen, auch was die Wiedergutmachung angeht. Aber darauf wird die Ukraine nicht warten können. Deshalb ist es richtig, dass sich die internationale Gemeinschaft eng zur Finanzierung des Wiederaufbaus abstimmt, auch auf der Wiederaufbaukonferenz in Berlin.
In Deutschland kämpfen wir ja auch für mehr Geld in den entsprechenden Haushalten. Aber auch die eingefrorenen russischen Vermögen und deren Zinsen sind ein wichtiger Bestandteil in der Frage der Finanzierung. Drittens ist die Wirtschaft gefragt, weshalb die Wiederaufbaukonferenz auch einen Schwerpunkt auf die Rolle der Unternehmen setzt.
Die Budgets für die Ministerien Auswärtiges Amt und Entwicklungszusammenarbeit, die entscheidend für die Ukraine-Hilfen sind, sind derzeit hart umkämpft. Wären Sie dafür, die Schuldenbremse für den Krieg auszusetzen?
Ich bin in der Frage, wie wir das am Schluss finanzieren, sehr flexibel. Eine Reform der Schuldenbremse oder eine Aussetzung der Schuldenbremse sind zwei Optionen. Es gibt aber auch noch andere Optionen, und genau das gilt es jetzt zu prüfen.
Geld für die Ukraine ist auch gekoppelt an die Erfüllung bestimmter Kriterien, zum Beispiel den Kampf gegen Korruption. Sehen Sie Fortschritte?
Insgesamt müssen wir diesen Prozess in Bezug auf die Eingliederung in die EU sehen. Es geht um das Thema Korruptionsbekämpfung, aber auch um die Unabhängigkeit in der Energieinfrastruktur und damit den Fokus auf den Ausbau von erneuerbaren Energien. Wir unterstützen den dezentralen Wiederaufbau, in dem Kommunen und die lokale Zivilgesellschaft mitentscheiden, wie wiederaufgebaut wird.
Nach der Wiederaufbaukonferenz folgt das G7-Treffen in Italien, dann die Friedenskonferenz in der Schweiz. Eine Menge Termine für die Ukraine und ihre Verbündeten, die dem russischen Präsidenten Putin nicht gefallen werden. Sehen Sie Eskalationspotenzial?
Putin und seine Aussagen müssen wir immer sehr ernst nehmen. Gleichzeitig muss unsere Antwort darauf die vollste Unterstützung der Ukraine in allen Bereichen sein. Auch deshalb ist es wichtig, dass die Bundesregierung nicht nur auf militärische Hilfe setzt, sondern auch zivile, wie den kurz- und langfristigen Wiederaufbau.
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