Wieder Deutscher in der Türkei inhaftiert: Wegen Kritik auf Facebook
Ein 56-jähriger Münchner wird am Flughafen Ankara festgenommen, weil er türkeikritische Äußerungen gepostet haben soll. Er ist kein Einzelfall.
In der Türkei ist erneut ein deutscher Staatsbürger aus politischen Gründen vorübergehend festgenommen worden. Wie das Auswärtige Amt bestätigte, wurde der 56-jährige Adnan S. bereits am 27. Dezember auf dem Flughafen in Ankara festgenommen. Er wollte zur Beerdigung seiner Mutter. Grund für die Festnahme sind angebliche Einträge bei Facebook, die von den türkischen Behörden als „Propaganda für eine Terrororganisation“ eingestuft werden.
Adnan S., der in München lebt, soll in einem pro-kurdischen Verein aktiv sein dessen Facebook Seite auch seine Festnehme bekanntgab. Laut Süddeutscher Zeitung soll Adnan S. bei seiner Vernehmung gesagt haben, er könne sich an seine Facebook-Posts, in denen angeblich ein unabhängiges Kurdistan gefordert wird, nicht erinnern. Er lehne aber jede Gewalt ab und habe mit einem Kampf um ein unabhängiges Kurdistan nichts zu tun.
Adnan S. wurde inzwischen wieder auf freien Fuß gesetzt, darf aber die Türkei nicht verlassen und muss sich jeden Tag bei der Polizei melden. Ein Gericht soll in den kommenden Tagen entscheiden, ob er ausreisen darf.
Neben Adnan S. sitzen fünf weitere Deutsche aus politischen Gründen in der Türkei in Untersuchungshaft oder sind bereits verurteilt. Allein im Oktober und November wurden zwei deutsche Staatsbürger – die Sängerin Hozan Cane und der aus Gießen stammende Patrik Kraicker – jeweils zu mehr als sechs Jahren Haft verurteilt, weil das Gericht sie der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation (PKK oder YPG) für schuldig hielt.
Bereits im September war der Hamburger Taxifahrer Ilham A. ebenfalls in erster Instanz wegen eines Facebook-Posts, der als Terrorpropaganda gewertet wurde, zu drei Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt worden. Er ist aber wegen eines laufenden Berufungsverfahrens auf freiem Fuß.
Jeweils ohne bislang vor Gericht gestellt worden zu sein, sitzen der 33-jährige Adil Demirci seit April 2018 und der 74-jährige Enver Altayli seit eineinhalb Jahren in U-Haft. Altayli werden Verbindungen zur Gülen-Bewegung angelastet; er war früher Mitarbeiter des türkischen Geheimdienstes.
Im Gegensatz zu ihnen waren 2017 und 2018 andere deutsche Gefangene, darunter der Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner, der Welt-Korrespondent und frühere taz-Redakteur Deniz Yücel sowie die Journalistin Mesale Tolu freigelassen worden. Sie durften nach Deutschland ausreisen. Trotz einer daraufhin begonnenen Entspannung in den Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei sagte Außenminister Heiko Maas (SPD) bei seinem letzten Besuch in Ankara, könne es keine Normalisierung geben, solange noch Deutsche aus politischen Gründen in der Türkei im Gefängnis sitzen.
Die Reaktionen auf die letzten Festnahmen sind eher verhalten. Die deutsche Botschaft und die geografisch zuständigen Konsulate kümmern sich um die Betroffenen, ohne groß darüber zu reden. Bereits im Oktober hatte das Auswärtige Amt seine Reisewarnungen für die Türkei allerdings noch einmal verschärft und ausdrücklich auf das Risiko von Äußerungen in sozialen Medien hingewiesen: „Äußerungen, die in Deutschland von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, können in der Türkei Anlass zu einem Strafverfahren geben.“ Man müsse davon ausgehen, dass auch nichtöffentliche Kommentare in sozialen Medien durch Denunziation zur Kenntnis türkischer Behörden gelangen können. In der Türkei sind nach Aussagen des Innenministeriums 2018 rund 42.400 Profile in sozialen Medien untersucht und gegen 18.300 Nutzer Verfahren eingeleitet worden.
Die vorübergehende Festnahme von Adnan S. und die anderen politisch motivierten Verfahren haben außer für die Betroffenen erst einmal keine weiteren Konsequenzen. Nach Angaben des türkischen Tourismusministeriums waren Deutsche in 2018 mit 3,5 Millionen wieder die zweitgrößte Besuchergruppe nach den Russen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers