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Wie weiblich ist der Dancefloor?Noch mehr Frauen ans DJ-Pult

Geschlechterparität mag auf der Tanzfläche längst Realität sein, was DJs angeht, ist viel Luft nach oben. Ein Zustands­bericht am Beispiel Berlin.

Lässt das Vinyl knistern: Barbara Preisinger Foto: Mara von Kummer

Schnelle, harte Kicks, die den Puls hochtreiben, darüber das Echo eines Melodiefetzens, flirrend verzerrter Gesang, darunter mächtige Basstöne, die im Unterleib wummern. „Remote Controle“ von DJ Simina Grigoriu ist eine Ganzkörpererfahrung. Die Veröffentlichung ihrer neuen EP kündigt sie ihren 265.000 Followern auf Instagram so an: „Hi, it’s Simina. I am happy to announce my new project!“ In Leggins und Moonboots, mit einnehmendem Lächeln, zeigt sie sich vor dem Set-up ihres Studios. An der Wand hängt eine Weltkarte.

Noch vor zehn Jahren wäre dies ein ungewöhnliches Bild gewesen, denn in der Dance­floorszene gaben seit den späten 1980ern meist Männer den Ton an. Inzwischen hat sich die Lage gewandelt. Immer mehr Frauen nehmen die Turntables als DJs für sich ein und bereichern die elektronische Musikkultur mit ihren Perspektiven und Sounds.

Nächste Dates der DJs

Barbara Preisinger: 19. April 2025, „Deep in the Box“, Tresor, Berlin

Simina Grigoriu: 6. Juni 2025, „World Club Dome“, Frankfurt a. M.

Sherryaeri: 12. August 2025, „Spektrum Festival“, Hamburg

In fast 20 Jahren als DJ, Produzentin und Labelbetreiberin hat Grigoriu zu ihrer eigenen musikalischen Formensprache gefunden, die vor allem in den tiefen Frequenzen zu Hause ist: „Je tiefer der Sound wird, desto mehr fährt er in den Bauch, und genau das ist es, was die Hüften zum Schwingen bringt“, erklärt die in Berlin lebende rumänisch-kanadische Künstlerin. Ihre Musik beschreibt sie als „Techno mit Herz“.

CD vom Straßenhändler

Auslöser für Simina Grigorius Liebe zur elektronischen Musik war ein Zufallsfund: Als 11-Jährige kaufte sie einem Straßenhändler eine CD ab – es war das Album „The Experience“, der britischen Raver The Prodigy, die prägend für den englischen Dancefloor der 1990er waren.

Als Jugendliche folgten intensive Partynächte in den Techno-Clubs Torontos. Irgendwann entschied sie: „Ich will nicht nur zu dieser Musik tanzen. Ich will sie selber machen.“ Um die Jahrtausendwende eine mutige Entscheidung für eine junge Frau, denn in der Technoszene gaben damals Männer den Ton an. „Vielleicht eine von 15 DJs war weiblich“, erinnert sie sich.

265.000 Follower können nicht irren: Simina Grigoriu Foto: Lisa Wassmann

Heute gehört sie dazu. Nach ihrem Umzug nach Berlin im Jahr 2008 tourte sie von Basel bis Ibiza durch europäische Clubs und darüber hinaus. Parallel dazu begann sie, eigene Tracks zu veröffentlichen. 2016 gründete sie ihr eigenes Label Kuukou. 2022 wurde sie als einzige Frau auf der NFT-Plattform „Crypto-DJ“ verewigt – dort kann man limitierte digitale Sammelkarten mit den Gesichtern berühmter Techno-Künstler:innen erwerben.

Direkten Kontakt mit ihren Fans will sie trotzdem nicht missen. Ihre Mission wurzelt in den utopischen Anfängen der Techno-Bewegung: „Mit meiner Musik will ich Liebe und Euphorie verbreiten. Wenn die Leute ein Gefühl der Freiheit erleben, hab ich meinen Job gemacht. Und damit meine ich nicht das oberflächliche Freiheitsgefühl, nachdem man Ecstasy eingeworfen hat, sondern echtes Dopamin!“

Fürs Knistern schwärmen

Von Anfang an dabei war auch Barbara Preisinger. Erst in der Münchner Technoszene, wo sie beim Label Disko B arbeitete, dann nach ihrem Umzug nach Berlin prägte sie seit Ende der 1990er Jahre die Clublandschaft der Hauptstadt und legt regelmäßig in Clubs wie WMF, Maria am Ostbahnhof und Club der Visionäre auf. 2015 zog sie mit ihrer monatlichen Party-Reihe „Deep in the Box“ in den Tresor. Lampenfieber hat sie heute noch: „Zu Beginn bin ich immer ziemlich nervös, egal wo ich spiele.“

Erste Schritte als DJ tat sie in den früher üblichen Chill-out-Räumen, wo entspanntere Spielarten von elektronischer Musik aufgelegt, aber auch musikalisches Neuland erkundet wurde: „Ich hab mich erst mal mit experimentellen Sachen ausgetobt, die für den großen Dancefloor gar nicht so funktioniert hätten.“

Je hypnotischer, desto deeper

Was sie kann, hat sie sich selbst beigebracht oder von Kol­le­g:in­nen abgeguckt. „Es ging mir damals gar nicht um Karriere, sondern um Spaß.“ Inzwischen hat sich ihr Sound zu einer verspielten, tanzbaren Mischung aus hypnotischem Deephouse und minimalem Tech-House entwickelt. Als Kind der 90er legt Preisinger bis heute gerne auch ihre alten Platten auf. „Ich finde das Haptische daran immer noch großartig. Platten haben einen wärmeren Sound, ich mag auch ihr leichtes Rauschen und Knistern“, schwärmt sie.

Intersektionaler DJ-Aktivismus: Sherin Striewe alias Sherryaeri Foto: Bahrye Tatli

Dem digitalen Boom der frühen nuller Jahre setzte sie etwas Analoges entgegen und gründete 2009 Slices of Life, ein Label, das House- und Technotracks auf Vinyl presst – Dancefloormusik zum Anfassen. Als Frau an den Turntables provozierte sie in ihren Anfangsjahren bei Kollegen und Club-Gästen zweifelhafte Komplimente. „Da hab ich schon oft so was gehört wie: Für eine Frau ist das ja wirklich super, was du machst. Solche Sprüche sind in den letzten Jahren zum Glück weniger geworden.“

Das liegt auch daran, dass Frauen an den Decks alltäglich sind. Laut einer Studie des Netzwerkesfe­ma­le:pres­su­rewaren in 175 weltweiten elektronischen Musikfestivals des Jahres 2023 immerhin 29,8 Prozent der Auftretenden weiblich. Im Jahr 2012 waren es gerade mal 9,2 Prozent.

Fe­ma­le:pres­su­re räumt allerdings ein, dass nicht alle Institutionen gleichermaßen Wert auf Geschlechtergerechtigkeit legen: „Größere Festivals haben tendenziell einen geringeren Anteil an weiblichen und nichtbinären Acts. Öffentlich finanzierte Festivals und Festivals mit künstlerischen Leiterinnen haben einen höheren Anteil an Künstlerinnen.“

Der Kampf um Parität ist trotzdem noch nicht ausgefochten. Zudem sagen Zahlen wie diese nichts darüber aus, ob Musikerinnen vertreten sind, die queer oder nichtweiß sind und deshalb neben ihrem Geschlecht auch aufgrund von Hautfarbe oder Sexualität diskriminiert werden können.

Um gerade diesen doppelt-marginalisierten Identitäten zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen, nutzt die Berliner DJ Sherin Striewe unter dem Künst­le­r*in­nen­na­men Sherryaeri Auflegen als kreative politischen Praxis – oder wie es auf Striewes Website heißt: als „aktivistische Waffe für intersektionalen Feminismus“. Sherin Striewe ist im Vorstand von Music Women* Germany und gründete die Event­reihe „Rage ’n’ Bounce“, bei der FLINTA* an einem sichereren Ort tanzend ihre Wut über das Patriarchat rauslassen dürfen.

In Frankfurt kuratiert Striewe das Kollektiv Crémant.Cava. Booty Bounce – kurz CCBB, dessen Partys eine Bühne bieten für (queere) BI*­PoC FLINTA*, also vom Patriarchat marginalisierte Geschlechtsidentitäten. Striewe glaubt, dass deren Stimmen im Mainstreambetrieb oft untergehen.

Big-Bufti-Bounce: DJ Aylin Akpinar Foto: Aylin Akpinar

Erste Reihe reserviert

„Die Clubszene hat ein riesiges Potenzial für gesellschaftlichen Wandel. Schaut man in die Geschichte von Techno, HipHop und House, stellt man fest, dass diese Musik von Schwarzen aus dem Widerständigen herauskam – vor allem auch von queeren Schwarzen“, erklärt Striewe die Motivation hinter den beiden Herzensprojekten. „Bei CCBB haben wir die Regel, dass die ersten Reihen vor dem DJ Pult für BI*­PoC FLINTA* reserviert sind. „Wir wollen keine Cis-Dudes vornedran und keine weißen Menschen.“

Leute, die laut Striewe mehr Privilegien haben, sollen so lernen, auch mal zurückzutreten. Und Leute, die es nicht gewohnt sind, in der ersten Reihe stehen zu dürfen, werden empowert. „Vielen BI*­PoC FLINTA* wurde beigebracht, dass ihr Platz am Rand ist. Wortwörtlich.“

Auch was für Musik gespielt werde, mache in Sachen Inklusion einen großen Unterschied: „Ich spiele viele Tracks, die aus meiner eigenen Identität kommen. Ich bringe auch arabische Musik oder Deutschrap mit und öffne damit Räume für migrantisierte Menschen. Ich spiele bewusst genreübergreifend, weil es mir wichtig ist, so viele Lebensrealitäten wie möglich auf die Tanzfläche einzuladen. Als Bildungsreferent*in/Trainer*in ermutigt Sherin Striewe auch andere, DJing als Mittel der Selbstwirksamkeit zu entdecken.

Als DJ habe ich mir stets Männer vorgestellt. Mich selbst nie

Aylin Akpinar

Zu ihnen gehört auch die 19-jährige Aylin Akpinar aus Berlin-Moabit, die im Verein „Wir im Brunnenviertel“ im Bezirk Wedding ihren Bundesfreiwilligendienst absolviert. Während eines Workshops, der Begegnungen zwischen jüdischen und muslimischen Jugendlichen vermittelte, probierte sie sich erstmals am DJ-Deck aus und war sofort Feuer und Flamme – auch, weil sie die seltene Gelegenheit witterte, mittels Musik Raum zu ­nehmen und das Wort zu ergreifen: „Bei dem Wort DJ habe ich mir immer einen Mann vorgestellt, ich hätte nie gedacht, dass ich selbst diesen Weg einschlage.“

Aylin brennt für einen Mix aus türkischer Popmusik und K-Pop. Mit ihrem eigenwilligen DJ-Mix möchte sie auch Sprachbarrieren überwinden: „Man muss nicht immer den Text verstehen oder die Sprache sprechen, um ein Lied zu fühlen.“

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2 Kommentare

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  • Natürlich sollten Frauen gleiche Rechte haben; auch auf Macht, Egoismus, Prominenz, Banalität und Dummheit. Bei mir steht aber die Ablehnung von Macht, Egoismus, Prominenz, Banalität und Dummheit im Vordergrund. Mich interessiert mehr die mitmenschliche Solidarität und die gemeinsame Verantwortung für die Welt. Darum kann ich auch nicht jedem Verlangen nach Gleichberechtigung uneingeschränkt zustimmen.

  • Na huch, plötzlich ist der Dancefloor ein feministisches Schlachtfeld. Die taz fragt, wie „weiblich“ er ist – und liefert einen Artikel, der so klingt, als würde Techno erst seit Simina Grigoriu wirklich fühlen. Vorher war das wohl alles nur dumpfes Männerwummern mit Bart.

    Natürlich, Frauen am DJ-Pult? Super. Aber muss man wirklich gleich behaupten, erst ihre Perspektive würde dem Beat Tiefe verleihen? Als ob ein Y-Chromosom automatisch 4-to-the-floor ohne Gefühl bedeutet. Simina „mit Herz“ vs. anonyme Männer mit Autopilot-Modus – das ist schon eine hübsche Kiste Klischees.

    Dann die Studie: 29,8 % weibliche Acts. Schockierend! Oder vielleicht einfach ein Symptom davon, dass manche schlicht andere Prioritäten haben? Vielleicht grillen manche lieber auf dem Balkon statt durchzudrehen im Berghain – und das ist okay.

    Es klingt, als wäre der DJ-Pult ein Thron, von dem Männer vertrieben werden müssen, nicht ein Mischpult für alle. Vielleicht wäre weniger Gender-Symbolik und mehr Fokus auf Sound und Skills ganz hilfreich. Denn Techno hat keine Geschlechtsorgane – nur Bass. Und der ist für alle da.